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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Verfolgte LSBTI-Geflüchtete schützen

Systematische Information über LSBTI-Verfolgung als Asylgrund im Asylverfahren und über den besonderen Schutzbedarf bei der Unterbringung

Der LSVD fordert das BAMF und die für die Unterbringung zuständigen Bundesländer auf, alle Geflüchteten frühzeitig, systematisch und flächendeckend darüber zu informieren, dass die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität ein Asylgrund ist, und dass LSBTI-Geflüchtete als besonders schutzbedürftige Gruppe ihren besonderen Schutzbedarf anmelden können.

In zahlreichen Ländern dieser Welt droht lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen (LSBTI) Geflüchteten Gefahr für Freiheit, Leib und Leben. Als Bürgerrechtsverband verteidigt der LSVD mit Nachdruck das Grundrecht auf Asyl, das in der Genfer Flüchtlingskonvention, in der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU und im deutschen Grundgesetz verankert ist. Hierzu fordert der LSVD das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die für die Unterbringung während des Asylverfahrens zuständigen Bundesländer auf, alle Geflüchteten frühzeitig, systematisch und flächendeckend darüber zu informieren, dass Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität Asylgrund ist, sowie darüber, dass LSBTI-Geflüchtete als besonders schutzbedürftige Gruppe ihren besonderen Schutzbedarf anmelden können.

Auf politischer Ebene braucht es zusätzlich Änderungen im Asylverfahrensrecht. So muss endlich eine kostenfreie, unabhängige und qualifizierte Asylverfahrens- und Rechtsberatung vor jedem Asylverfahren eingeführt werden.

Hintergrund

Da praktisch alle nach Deutschland kommenden Geflüchteten aus Ländern stammen, in denen LSBTI sein als Verbrechen, Krankheit, Sünde oder Schande angesehen wird, ist ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität - selbst wenn diese beispielsweise bei Bürgerkriegsflüchtlingen nicht einziger oder Hauptfluchtgrund war - immer von großer Relevanz im Asylverfahren. Gleichzeitig sorgt die erlebte und verinnerlichte gesellschaftliche Tabuisierung, Kriminalisierung und Marginalisierung dafür, dass viele LSBTI-Geflüchtete sich derart für ihre Identität schämen oder Angst vor Gewalt und Diskriminierung nach einem Outing haben, dass sie ihre Asylgründe während der Anhörungen nicht vorbringen. (FAQs: Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Geflüchtete. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen)

Auch die durch das BAMF vorangetriebene Beschleunigung der Asylverfahren sorgt dafür, dass LSBTI es in den nunmehr nur wenigen Tagen zwischen Antragstellung und Anhörung sehr oft nicht schaffen, sich über ihre Rechte in Deutschland zu informieren, Vertrauen in staatliche Institutionen zu finden und Kontakt zu spezialisierten Verfahrens- und LSBTI-Beratungsstellen herzustellen.

Aufgrund ihrer negativen Vorerfahrungen ist für viele LSBTI-Geflüchtete die Vorstellung, ein Staat könnte ihnen gerade wegen ihrer Identität Schutz gewähren, außerhalb des Vorstellbaren, die Vorstellung, staatliche Stellen könnten sie deswegen verfolgen oder indiskret mit ihrer LSBTI-Identität umgehen, hingegen erlebte Realität. Konsequenz sind negative Asylbescheide für tatsächlich vor Verfolgung geflohene LSBTI, und damit verbunden Abschiebungen in LSBTI-Verfolgerstaaten sowie jahrelange Klageverfahren und bis zu zweijährige Aufenthalte in großen Landesunterkünften.

Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlingssammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Für sie ist meist die Angst vor Verfolgung nach Ankunft in Deutschland nicht vorbei. Vielmehr ist Gewalt gegen geoutete LSBTI-Personen in diesen Einrichtungen keine Ausnahme, sondern für sehr viele bittere Erfahrung. Daher gelten LSBTI-Geflüchtete entsprechend der bundesweiten "Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften" als besonders schutzbedürftige Gruppe, ähnlich wie beispielsweise Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung. Entsprechend der europäischen Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU ist Deutschland nicht nur zur Verankerung gesetzlicher Schutzmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Personen verpflichtet, sondern auch dazu, Maßnahmen zur Identifizierung dieser besonderen Schutzbedarfe zu ergreifen. Solche bundesweit verbindlichen Regelungen gibt es bis heute nicht. Aufgrund der beschriebenen Vorerfahrungen mit Staat und Gesellschaft sowie aus Scham und Angst outen sich geflüchtete LSBTI-Personen aber nur in einem Teil der Fälle gegenüber dem BAMF oder den Mitarbeitenden in den Unterkünften. Einziger Weg zur Schutzbedarfserhebung stellt somit die systematische Information zum besonderen Schutzbedarf LSBTI während des Asylverfahrens und entlang des gesamten Unterbringungsverlaufs dar, also von der Antragsstellung bis hin zur Anhörung, von der Erstaufnahme bis hin zur kommunalen Gemeinschaftsunterkunft. LSBTI-Geflüchtete haben oft ein Leben lang gelernt, sich zu verstecken. Damit sie sich öffnen und überhaupt Schutzmaßnahmen ergriffen werden können, bedarf es somit intensiver vertrauensbildender Maßnahmen.

Dass so viele LSBTI-Geflüchtete sich gegenüber offiziellen Stellen nicht outen, ist nicht ihr individuelles Verschulden, sondern Ausdruck erfahrener staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung und Marginalisierung. Um LSBTI-Geflüchteten ein faires Asylverfahren zu ermöglichen und ihren Schutzbedarf zu erheben, fordert der LSVD vom BAMF und von den Bundesländern konkret folgende Maßnahmen:

Konkrete Forderungen

1) sichtbare Information zum besonderen Schutzbedarf LSBTI und zum Asylgrund LSBTI-Verfolgung in allen Flüchtlingsunterkünften und BAMF-Außenstellen

2) standardmäßiges Einbinden vom besonderen Schutzbedarf LSBTI und vom Asylgrund LSBTI-Verfolgung in Erstgespräche und Erstinformationen gegenüber allen Geflüchteten

3) sichtbares Einbinden von Akzeptanz gegenüber LSBTI-Personen in allen Hausordnungen und Leitbildern

4) systematischer Hinweis in allen Aufnahmeformularen auf die Möglichkeit, den besonderen Schutzbedarf LSBTI gegenüber den Mitarbeitenden diskret anmelden zu können

5) systematischer Hinweis auf die Relevanz der sexuellen Orientierung bzw. der geschlechtlichen Identität für das Asylverfahren bei Antragsstellung

6) dies verbunden mit der Information, dass Unterkunfts- sowie BAMF-Mitarbeitende auch mit Bezug auf die Information zur sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität an die gesetzliche Schweigepflicht gebunden sind

7) Hinweis bei Asylantragsstellung - explizit auch mit Bezug auf LSBTI-Themen - auf die Möglichkeit, für die Anhörung eine*n Sonderbeauftragte*n für geschlechtsspezifische Verfolgung beantragen zu können

8) eine LSBTI-Ansprechperson in jeder Flüchtlingsunterkunft

9) systematische Information über LSBTI-spezifische Beratungs- und Gruppenangebote

[beschlossen auf dem 31. LSVD-Verbandstag am 31.03.2019 in Berlin]

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