WIR BLEIBEN DRAN: ERGEBNISSE UND BESCHLÜSSE DES 37. LSVD⁺-VERBANDSTAGS

Empfang bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Vortag
Es war dem Verband eine Ehre, dass wir am Vortag des diesjährigen LSVD⁺-Verbandstags, Freitag, 04. April 2025, den Empfang bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nachholen konnten, der im Jubiläumsjahr 2020 wegen der Pandemie ausfallen musste. Anlässlich des 35-jährigen Bestehens des LSVD+ lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 180 am Verbandstag teilnehmende Mitglieder zu einem Empfang im Schloss Bellevue ein. In seiner Rede wies er auf anhaltende queerfeindliche Diskriminierungen hin und dankte dem Verband für seine Arbeit: „Toleranz und Verständnis, das ist es, wofür der "LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt“ in Deutschland seit 35 Jahren aktiv ist. Sie kämpfen für Rechte der queeren Community und für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde – und setzen sich damit ein für die Werte unserer freiheitlichen Demokratie. Dafür möchte ich Ihnen heute meinen Respekt bekunden, aber viel wichtiger noch: Danke sagen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Leidenschaft und Ihre Energie an 365 Tagen des Jahres!“
Der Bundesvorstand dankte dem Bundespräsidenten einerseits für seinen Einsatz für LSBTIQ* und betonte andererseits die anhaltende Verantwortung der Politik, sich weiterhin für die vollkommene rechtliche Gleichstellung und Akzeptanz der queeren Community einzusetzen. Vorstandsmitglied Alexander Vogt betonte die besondere Bedeutung der Zivilgesellschaft in schwierigen Zeiten: „Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass kommende Generationen in einer freien Gesellschaft heranwachsen, die Vielfalt schätzt und respektiert, in der sie sich sicher fühlen können ohne das Gefühl, nicht zu ihrer Identität stehen zu können und in der es keine Angst vor Ausgrenzung gibt – weder in der Schule, noch auf der Straße, noch im Beruf. Der Demokratieförderung kommt dabei eine große Rolle zu. Die Zivilgesellschaft und damit das Volk ist die erste, nicht die unterste Ebene einer Demokratie.“
Alva Träbert aus dem Bundesvorstand lenkte den Blick insbesondere auf die Verantwortung Deutschlands für die LSBTIQ*-Communitys weltweit: „Die Menschenrechtslage für LSBTIQ* hat sich in Afghanistan, Georgien, Iran, Irak, Russland sowie mehreren afrikanischen Staaten dramatisch zugespitzt. Autokratische Regime instrumentalisieren queerfeindlichen Hass für ihre politischen Ziele. […] Während wir hier sprechen, befinden sich etwa 400 queere afghanische Personen und ihre engsten Angehörigen in Islamabad. […] Bei einer unkoordinierten und überstürzten Beendigung des Bundesaufnahmeprogramms zahlen queere Menschen den höchsten Blutzoll. […] Ich habe die Hoffnung, dass Sie, dass wir diese 400 Personen, die sich auf das Wort der Bundesregierung verlassen haben, nicht in den sicheren Tod schicken werden. […] Die Anliegen, die wir in den letzten 35 Jahren ins Parlament und auf die Straße getragen haben, waren vielfältig – dennoch bleibt der rote Faden: Wir haben uns nie für Sonderrechte eingesetzt, sondern immer gegen Unrecht. Es gibt viel zu feiern, und auch noch viel zu tun.“

Am Samstagvormittag startete der Verbandstag im Refugio. Zu Beginn begrüßten Patrick Müller-Kampa für den Landesverband Berlin-Brandenburg sowie Erik Jödicke und Alva Träbert für den Bundesvorstand die Anwesenden. Darüber hinaus hielt Stefan Evers, Bürgermeister und Finanzsenator von Berlin ein Grußwort. Bereits am Samstag fasste der Verbandstag den Beschluss über den Antrag des Landesverbandes Rheinland-Pfalz zum Thema Gedenkarbeit. Außerdem wurde der Antrag des Bundesvorstands „LSVD⁺ erklärt Solidarität mit Community in Ungarn“ anlässlich des Verbots der Budapest Pride mit großer Mehrheit verabschiedet. Für ein Solidaritätsfoto mit den Aktivist*innen vor Ort kamen Mitglieder der zivilgesellschaftlichen Organisation „Freie Ungarische Botschaft“, die auch bei der Erstellung des Antrags beteiligt waren.
Vielfalt bewahren und Zivilgesellschaft stärken
Wie ein roter Faden zog sich das Thema „Zivilgesellschaft in schwierigen Zeiten“ durch den diesjährigen Verbandstag - auch mit Beschluss "Zivilgesellschaftliches Engagement stärken". Um von Erfahrungen der Zivilgesellschaft mit dem Rechtspopulismus in Polen zu lernen, war Prof. Dr. Jakub Urbanik, Rechtsprofessor an der Universität Warschau und Mitglied unserer Partnerorganisation Miłość Nie Wyklucza zu einer Gastrede eingeladen.
Das Panel zu „Zivilgesellschaftliches Engagement in schwierigen Zeiten“, moderiert von Henny Engels aus dem Bundesvorstand, bot vielseitige Inspirationen: Wiebke Judith von ProAsyl berichtete vom Druck auf die engagierte Zivilgesellschaft im Flucht- und Migrationsbereich, der sich in der nächsten Zeit wahrscheinlich noch verstärken wird. Gerd Wiegel vom Deutschen Gewerkschaftsbund verwies auf die Best Practice der Demokratiegruppen, die vor Ort Gespräche mit Personen führen, die noch nicht gefestigt in ihren rechtsextremen Einstellungen sind. Patrick Dörr aus unserem Bundesvorstand wies auf die Angriffe auf CSDs und die Instrumentalisierung der LSBTIQ*-Community für gesellschaftliche Spaltung durch internationale queerfeindliche Netzwerke hin. Das Problem sei zudem, dass menschenverachtende Positionen auch von demokratischen Parteien übernommen würden in der Hoffnung, die AfD zu schwächen – aber das Gegenteil sei der Fall. Die Zivilgesellschaft müsse sich in praktischer Solidarität üben, die Bindung der eigenen Mitgliedschaft stärken und in den nächsten Jahren noch breitere intersektionale Bündnisse für die Anliegen von einzelnen diskriminierten Gruppen schmieden. Für diese essenzielle Arbeit und ihre nachhaltige Absicherung sei ein Demokratiefördergesetz notwendig. Das Publikum verwies unter anderem auf die Bedeutung positiver Gegen- und Zukunftsnarrative sowie Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche.
Queerpolitischer Status quo, Themenschwerpunkte des LSVD⁺-Bundesverbands und beschlossene Anträge
Alva Träbert dankte im Namen des Bundesvorstands Sven Lehmann für seinen Einsatz im Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung: „Eine Demokratie wird widerstandsfähiger, wenn vielfältige Perspektiven sie formen und gestalten. Eine einzige Person kann natürlich nie vollkommen repräsentativ für diese gesamte Community sprechen. Aber wir brauchen starke queere Stimmen in der Exekutive, um für unsere Anliegen Raum zu schaffen, um anderen Türen zu öffnen, damit unsere Vielfalt eben auch auf dieser Ebene der politischen Teilhabe sichtbar und wirksam sein kann. In deiner Rolle warst du eine solche starke Stimme.“ Sven Lehmann bedankte sich für die Zusammenarbeit, beglückwünschte zur gelungenen Anpassung des Verbandsnamens und rief dazu auf, im LSVD+ Mitglied zu werden und zu bleiben.
In den letzten Jahren hat unser Verband entscheidende Schritte für die Öffnung des Verbands getan, begonnen mit dem Verbandstag 2023 „Wir für alle“ und der Namensanpassung im letzten Jahr. Diese Strategie der Verbandsvielfalt wurde auch beim diesjährigen Verbandstag weiter beraten: Die Anwesenden tauschten sich in Arbeitsgruppen an vier Tischen zu den Schwerpunkten „Neue Themenvielfalt im LSVD+" und „Neue Zugangswege in den LSVD+“ aus. Die Erkenntnisse und Handlungswünsche nimmt der Vorstand in seine Arbeit mit.
Der zweite Tag des Verbandstages begann zunächst mit der Diskussion und Beschlussfassung über die vorgelegten Anträge „Keine Sprachverbote beim Thema Gender“, (Bundesvorstand, Landesverbände Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) „Antrag zum Umgang mit der AfD“ (Bundesvorstand) und „Queersensible Bildung“ (Landesverband Rheinland-Pfalz). Zudem wurde der Antrag des Bundesvorstands „Reproduktive Gerechtigkeit – Für Entkriminalisierung, rechtliche Absicherung und sichere Versorgung“ beschlossen. Darüber hinaus wurden Anpassungen an der Satzung, Geschäfts- und Finanzordnung vorgenommen.
Anschließend wurden im Rahmen der Vorstellung des Tätigkeits- und Finanzberichts durch Andre Lehmann und Philipp Braun Schlaglichter auf die queerpolitischen Highlights und die Aktivitäten des Bundesvorstands im letzten Jahr geworfen: „Innerhalb eines Jahres hat sich die politische Gesamtwetterlage dramatisch verändert. […] Wir merken, dass die relativen Schönwetterjahre mit kontinuierlichen Fortschritten vorbei sind. In diesem Bewusstsein und mit der Motivation, dass wir uns nie wieder kleinkriegen lassen dürfen, hat der Bundesvorstand im vergangenen Amtsjahr seine Projekte vorangetrieben und die Tagespolitik begleitet. Bei allen politischen Herausforderungen dieser Tage, gibt es ein Thema, bei dem wir im vergangenen Jahr einen Meilenstein der Queerpolitik erreichen konnten: Am 12. April 2024 hat der Deutsche Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. […] Gerade in diesen Zeiten ist die Arbeit auf Bundesebene auch vom Thema Flucht und Asyl geprägt. Unsere Arbeit für die Rechte von LSBTIQ*-Geflüchteten ist eine Frage der Menschlichkeit, verbunden mit einem klaren Auftrag gegenüber Politik und Gesellschaft. Besonders am Herzen liegt uns der Schutz afghanischer LSBTIQ*-Personen, die unter dem Regime der Taliban in Lebensgefahr sind. Wir haben intensiv daran gearbeitet, dass sie im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms nach Deutschland kommen können.“ Bei dieser Gelegenheit bedankte sich der Verbandstag bei Jörg Hutter aus dem Bundesvorstand für sein herausragendes Engagement für die Aufnahme gefährdeter LSBTIQ* aus Afghanistan.
Wahlen zum Bundesvorstand und Verabschiedung von Mara Geri und Mikhail Tumasov
Mara Geri und Mikhail Tumasov traten nach zwei Jahren Vorstandsarbeit nicht erneut für eine neue Amtszeit an. Wir danken Mara für ihr großes Engagement für die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes und in der Pressearbeit des Verbands. Wir sagen Misha danke für seine Expertise zu den Themen Flucht und Queerfeindlichkeit sowie für seine eingebrachten Kenntnisse über Russland und die Kaukasus-Region. Wir sagen von ganzem Herzen Danke.
Weiterhin gehören dem 15-köpfigen ehrenamtlichen Gremium die im letzten Jahr gewählten Henny Engels, Patrick Dörr, Erik Jödicke, Andre Lehmann, Julia Monro, Tim Stefaniak, Alva Träbert und Alexander Vogt an. Philipp Braun und Jörg Hutter wurden für eine weitere zweijährige Amtszeit bestätigt. Neu im Bundesvorstand begrüßen wir Leon Dietrich, Christian Gladel, Angela Hermann, Christina Klitzsch-Eulenburg und Michelle Kortz.
Kerstin Thost
LSVD⁺ -Pressesprecher*in
Fotografische Einblicke
Mehr Fotos werden in der kommenden Woche bereitgestellt. Die Fotos von "Bundesregierung / Steffen Kugler" dürfen nicht heruntergeladen werden - eine Nutzung ist mit der Bundesbildstelle bilderdienst@bpa.bund.de zu vereinbaren.