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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Ratgeber zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

(Stand: 2020)

Vorbemerkung

Das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)" ist als Art. 1 des "Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung" vom 14.08.2006 (im Folgenden "Umsetzungsgesetz") am 17.08.2006 im Bundesgesetzblatt verkündet worden (BGBl. I S. 1897) und nach seinem Art. 4 am Tag nach der Verkündigung, also am 18.08.2006, in Kraft getreten.
Durch das Umsetzungsgesetz sind folgende Richtlinien in deutsches Recht transformiert werden:

  • Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.06.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Antirassismusrichtlinie),
  • Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Rahmenrichtlinie Beschäftigung),
  • Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (Gender-Richtlinie),
  • Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (Gleichstellungsrichtlinie).


Nach den Vorgaben dieser vier Richtlinien bestimmt § 1 AGG: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
Unter den Begriff "sexuelle Identität" fallen nach der Gesetzesbegründung "homosexuelle Männer und Frauen ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen" (BT-Drs 16/1780 S. 31).
Das Gesetz hat einen arbeitsrechtlichen Teil (ab § 6), der für alle Merkmale gilt, und einen zivilrechtlichen Teil (ab § 19), bei dem das Merkmal „Weltanschauung“ nicht mit aufgeführt ist. Da das AGG auch für Benachteiligungen wegen des Geschlechts und einer Behinderung gilt, sind die bisherigen Diskriminierungsverbote wegen des Geschlechts in §§ 611 a,  611b und 612 Abs. 3 BGB und wegen einer Schwerbehinderung in § 81 Abs. 2 SGB IX aufgehoben worden.
Nach den Richtlinien hätten im zivilrechtlichen Teil auch die Merkmale „Religion, Behinderung, Alter und sexuellen Identität“ ausgespart werden dürfen. Darüber ist zwei Legislaturperioden lang gestritten worden.
Wir sind sehr froh, dass die SPD und Justizministerin Zypries ihre Meinung im Verlauf der Diskussion geändert und sich mit Erfolg für die Aufnahme der Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuellen Identität in den zivilrechtlichen Teil des Gesetzes eingesetzt haben. Das ist umso bemerkenswerter, als der Widerstand der Konservativen und der CDU/CSU gegen das Gesetz ähnlich heftig war und noch immer ist, wie ihr Widerstand gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz.
Die Schwulen in den alten Bundesländern haben ein solches Antidiskriminierungsgesetz seit Ende der 70er Jahre immer wieder gefordert. Es ist sehr schön, dass diese Forderung nach 35 Jahren nun endlich erfüllt ist. Das AGG entspricht zwar nicht in allen Punkten unseren Wünschen, aber wir sind mit ihm einen großen Schritt vorangekommen.

1. Arbeits- und Beamtenrecht

Die Gleichstellung von verpartnerten Arbeitern und Angestellten einerseits und von verpartnerten Beamten und Richtern andererseits mit ihren verheirateten Kollegen ist in Deutschland unterschiedlich weit fortgeschritten.

-- 1.1. Arbeiter und Angestellte

Für die verpartnerten Arbeiter und Angestellten hätte die Gleichstellung durch eine entsprechende Änderung der Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge bewirkt werden müssen. Das ist bisher nur zum Teil geschehen.

---- 1.1.1. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.04.2004

Trotzdem sind verpartnerte Arbeiter und Angestellte durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.04.2004 (6 AZR 101/03; NZA 2005, 57) praktisch schon jetzt mit ihren verheirateten Kollegen gleichgestellt.
Das Bundesarbeitsgericht hat einem verpartnerten Angestellten denselben Ortszuschlag zugesprochen wie einem verheirateten Angestellten und zur Begründung ausgeführt, die Lebenspartnerschaft erfülle alle Merkmale, an die der Tarifvertrag typisierend den Bezug eines höheren familienstandsbezogenen Vergütungsbestandteils anknüpfe. Dieser Familienstand sei im Stufensystem des Ortszuschlags nicht berücksichtigt. Mit dem Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft und dessen familienrechtlicher Ausgestaltung durch das Lebenspartnerschaftsgesetz sei die Tarifnorm nachträglich lückenhaft geworden. Die Lebenspartnerschaft sei zwar keine Ehe. Gleichwohl könne die Tariflücke entsprechend dem Regelungskonzept und dem mit der Gewährung des Ortszuschlags verbundenen Zweck systemkonform nur durch die Gleichstellung von verpartnerten mit verheirateten Angestellten geschlossen werden.
Was das Bundesarbeitsgericht zum Ortszuschlag ausgeführt hat, lässt sich ohne weiteres auf alle sonstigen tariflichen Vergünstigungen für verheiratete Beschäftigte übertragen, also die Ansprüche auf Sonderurlaub, Reise- und Umzugskosten, Familienheimfahrten, Trennungsgeld, Beihilfe usw. Die Ausführungen des Bundesarbeitsarbeitsgerichts gelten aber auch für die Auslegung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen über Hinterbliebenenrenten für verheiratet Beschäftigte.

---- 1.1.2. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Sie greifen aber nicht, wenn die Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen erst nach dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 01.08.2001 abgeschlossen oder geändert worden sind, ohne dass die verpartnerten Beschäftigten mit ihren verheirateten Kollegen gleichgestellt worden sind.
Hier greift das AGG ein, das die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität in Beschäftigung und Beruf verbietet (§ 7 AGG). Allerdings knüpfen die Vergünstigungen für verheiratete Beschäftigte nicht an ihre sexuelle Identität, sondern an ihren Familienstand an. Das bewirkt aber eine mittelbare Diskriminierung der verpartnerten Beschäftigten wegen ihrer sexuellen Identität (Schmidt in FS Wissmann, 2005, 80, 84; Rengier, BB, 2005, 2574, 2577 f.; ders. NZA 2006, 1251, 1252), weil sich das Rechtsinstitut der Ehe typischer Weise an heterosexuelle Menschen richtet und die eingetragene Lebenspartnerschaft typischerweise an homosexuelle Menschen, denen auf diese Weise eine rechtliche Absicherung einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ermöglicht wird (so die Amtliche Begründung des Lebenspartnerschaftsgesetzes, BT-Drucks. 14/3751 S. 33). Diese mittelbare Diskriminierung verpartnerter Beschäftigter ist durch § 3 Abs. 2 AGG ebenfalls verboten, "es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen".
Als rechtmäßiges Ziel, das diese Diskriminierung rechtfertigen könnte, käme allenfalls die Förderung der Ehe in Betracht, weil die Ehe eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll (BVerfG, 3. Kammer des ersten Senats, Beschl. v. 04.10.1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058). Hier muss man aber unterscheiden. Es geht in diesen Fällen nicht um die Rechtfertigung von Mehrzahlungen an verheiratete Beschäftigte, sondern um ihre Versagung gegenüber verpartnerten Beschäftigten. Diese Versagung ist nicht geeignet, die Ehe zu fördern. Gleichgeschlechtlich ausgerichtete Menschen können durch Gehaltsabzüge nicht dazu veranlasst werden, auf die Eingehung einer Lebenspartnerschaft mit einem gleichgeschlechtlichen Partner zu verzichten und stattdessen eine Ehe mit einem verschiedengeschlechtlichen Partner einzugehen (Rengier, BB 2005, 2574, 2578; ders. NZA 2006, 1251, 1252; vgl. dazu auch EGMR, 1. Kammer, v. 24.07.2003 - 40016/98, Fall Karner v. Österreich, Rn. 37 ff.). Der Schutz der Ehe erfordert keine Benachteiligung eingetragener Lebenspartner (BVerfG, Urt. v. 17.07.2002 – 1 BvF 1, 2/01; BVerfGE 105, 313, 346, 348). Er kann daher die Benachteiligung gleichgeschlechtliche Lebenspartner nicht rechtfertigen (Rengier, Fn. 9.; Bergwitz, ZTR 2004, 512, 515 f.; Blomeyer/Otto/Rolfs, BetrAVG, 4.Aufl., Anh. § 1 Rn 207-208; Schmidt in FS Wissmann, 2005, 80, 88 ff.; a.A. BVerwG, Urt. v. 26.01.2006 zum Familienzuschlag - 2 C 43/04; BVerwGE 125, 79, m. Aufs. Stüber, Stephan, NJW 2006, 1774; ders. FPR 2006, 117. Thüsing, BetrAV 2006, 704, 706, meint, die Hinterbliebenenversorgung für Lebenspartner sei nicht das gleiche Entgelt wie die Hinterbliebenenversorgung für Lebenspartner, weil sich beide Lebensbünde in wesentlichen Fragen unterscheiden entsprechend der Verpflichtung des Grundgesetzes zum besonderen Schutz von Ehe und Familie. Das ist eine Argumentation nach dem Muster: Nicht sein kann, was nicht sein darf.).

---- 1.1.3. Hinterbliebenenrenten

Das gilt auch für die Hinterbliebenenrenten. § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmt allerdings, dass "für die betriebliche Altersvorsorge ...... das Betriebsrentengesetz“ gilt.
Diese Bestimmung war in dem ursprünglichen rot-grünen ADG nicht enthalten. Sie ist erst in den Entwurf des AGG eingefügt und dort wie folgt begründet worden (BT-Drs 16/1780 S. 32):

„Es wird klargestellt, dass für die betriebliche Altersversorgung die auf der Grundlage des Betriebsrentengesetzes geregelten Benachteiligungsverbote gelten. Darüber hinaus bleibt die Richtlinie 86/378/EWG (geändert durch die Richtlinie 96/97/EG) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit maßgeblich.“

Danach ist unklar, ob das Betriebsrentengesetz die Regelungen des AGG verdrängen oder ob es neben dem AGG gelten soll.
Denn tatsächlich enthält das Betriebsrentengesetz keinerlei Regelungen zum Diskriminierungsschutz. In § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG wird lediglich bestimmt, dass Versorgungsverpflichtungen, die auf betrieblicher Übung oder dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen, der Verpflichtung aus einer Versorgungszusage gleichstehen. Gleichbehandlung ist aber etwas anderes als Diskriminierungsschutz. Während das Gleichbehandlungsgebot bedeutet, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist und somit lediglich einen "billigenswerten" Grund für eine Ungleichbehandlung verlangt, verbieten absolute Diskriminierungsverbote jede ungleiche Behandlung aufgrund eines bestimmten Merkmals - unabhängig vom Vorliegen eines "billigenswerten" Sachgrundes. Allenfalls besonders schwerwiegende "zwingende" Gründe können eine Diskriminierung rechtfertigen.
Außerdem lässt § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters im Bereich der betrieblichen Versorgungssysteme in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen zu.  Diese Regelung wäre sinnlos, wenn die betriebliche Altersversorgung aus dem Anwendungsbereich des AGG ausgenommen sein soll.
§ 10 Abs. 3 Nr. 4 AGG stimmt mit Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG überein, der entsprechende Ausnahmen bei den betrieblichen Versorgungssystemen zulässt. Diese Ausnahmeregelung zeigt, dass die betriebliche Altersversorgung nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt. Das folgt auch aus der Begründungserwägung 13 der Richtlinie, die für den Begriff des "Arbeitsentgelts" ausdrücklich auf Art. 141 EGV und die Richtlinie 75/117/EWG verweist. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH gehört aber die betriebliche Altersversorgung zum "Arbeitsentgelt" i.S.d. Art. 141 EGV (ex Art. 119 EWG-Vertrag) und der Richtlinie 75/117/EWG (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 13.05.1986 - 170/84, Rs. Bilka; Slg. 1986, 1607; NJW 1986, 3020; Urt. v. 17.05.1990- C-262/88, Rs. Barber;  Slg. I 990, 1889; NJW 1991, 2204). Davon geht auch das BAG aus (vgl. z.B. Urt. v. 20.11.1990 - 3 AZR 613/89, Rs. Bilka; BAGE 66, 264; Urt. v. 07.09.2004 - 3 AZR 550/03; NZA 2005, 1239).
§ 2 Abs. 2 Satz 2 AGG kann deshalb sinnvollerweise nur so ausgelegt werden, dass das AGG ergänzend zum Betriebsrentengesetz gilt. Dafür spricht auch der Vergleich mit § 2 Abs. 4 AGG. Dort wird bestimmt, dass für Kündigungen "ausschließlich" die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Zusatz "ausschließlich" fehlt in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG (Reichenbach/Grüneklee, BetrAV 2006, 708 f.; Thüsing, BetrAV 2006, 704).
Nur so ist das AGG mit den EU-Richtlinien vereinbar. Zu einer solchen „richtlinienkonformen“ Auslegung sind die deutschen Gerichte nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet (vgl. z.B. Urt. v. 05.10.2004 - C-397-403/01, Rs. Pfeiffer, Slg. I 2004, 8835, NJW 2004, 3547, Rn. 113 f. m.w.Nachw.; Thüsing a.a.O.).
Die Arbeitgeber und die Versorgungsträger dürfen deshalb bei den Hinterbliebenenrenten nicht zwischen Ehegatten und Lebenspartnern unterscheiden. Wenn sie hinterbliebenen Ehegatten eine Hinterbliebenenrente gewähren, dürfen sie das bei hinterbliebenen Lebenspartnern nicht ablehnen. Das stellt - wie unter 1.1.2. dargelegt - eine mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Identität dar, die durch § 7 i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 2 AGG verboten ist und die nicht durch den Zweck "Förderung der Ehe" gerechtfertigt werden kann. Die entsprechenden Bestimmungen in den Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Verträgen sind nach § 7 Abs. 2 AGG  unwirksam (Steinmeyer, BetrAV 2006, 602; Reichenbach/Grünklee, a.a.O. 711; Rengier, NZA 2006, 1251, 1252 ff.).
Im AGG ist nicht geregelt, was an die Stelle der diskriminierenden Vereinbarungen tritt. Nach der Rechtsprechung muss in solchen Fällen nach oben angepasst werden (siehe unten 1.1.7). Hinterbliebene Lebenspartner können deshalb von den Arbeitgebern und den Versorgungsträgern dieselbe Hinterbliebenenrente verlangen wie hinterbliebene Ehegatten.

---- 1.1.4. Hinterbliebenenrenten der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL)

Das ist auch für Hinterbliebenenrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) von Bedeutung. Die Zusatzversorgung ist im Tarifvertrag Altersversorgung (ATV) geregelt. Nach § 10 ATV erhalten nur Ehegatten eine Hinterbliebenenrente. Die Tarifvertragsparteien haben diese Vorschrift nicht an das Lebenspartnerschaftsgesetz angepasst, so dass überlebende Lebenspartner nach dem Wortlaut der Bestimmung keine Hinterbliebenenrente erhalten. Dasselbe ergibt sich aus der Satzung der VBL.
Die VBL erbringt Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst Leistungen eines betrieblichen Rentensystems (BGH, Beschl. v. 09.07.2003 - IV ZR 100/02, VersR 2004, 364, 367; Urt. v. 20.09.2006 - IV ZR 304/04; FamRZ 2006, 1832, 1833). Auf sie ist daher das AGG anwendbar. Deshalb darf die VBL bei der Hinterbliebenenrente nicht zwischen Ehegatten und Lebenspartnern unterscheiden. Sie muss hinterbliebenen Lebenspartner dieselbe Hinterbliebenenrente gewähren wie hinterbliebenen Ehegatten.
Der Bundesgerichtshof ist anderer Meinung und hat die Klage eines Betroffenen durch Urteil v. 14.02.2007 - IV ZR 267/04, FamRZ 2007, 805, abgewiesen. Der Kläger hat gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Zur Frage der Anwendbarkeit des AGG auf die Hinterbliebenenrente der VBL hat der BGH lediglich ausgeführt (Rn. 24):

"Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz setzt diese Richtlinie in nationales Recht um. Dabei geht es hinsichtlich des Schutzes eingetragener Lebenspartner in den hier zu entscheidenden Fragen der betrieblichen Altersversorgung nicht über die Richtlinie hinaus. Vielmehr verweist § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG auf das Betriebsrentengesetz, das keine Änderung zugunsten eingetragener Lebenspartner erfahren hat."

Zu der breiten Diskussion in der Literatur, dass § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG europarechtswidrig ist und europakonform ausgelegt werden muss, hat der BGH in seinem Urteil nichts gesagt.
Cisch/Börm schreiben in BB 2007, 602, 606, zu dem Urteil:
"Der BGH hat kürzlich entschieden, es liege kein Benachteiligung wegen der sexuellen Identität i.S.d. der Richtlinie 2000/78 EG vor, wenn Lebenspartner i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes nach der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) anders als Verheiratete aus der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen werden. Die Satzung der VBL knüpfe an den Familienstand an und die Ehe dürfe im Hinblick auf die Fortpflanzung und Erziehung eigenen Nachwuchses bevorzugt werden. Streitig ist aber, ob eine solche Schlussfolgerung zutreffend ist. Entscheidend dürfte der mit der Hinterbliebenenversorgung verfolgte Versorgungszweck sein. Lebenspartner i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes sind der Ehe vergleichbaren Unterhaltsverpflichtungen unterworfen. Die Förderung der Familie wird sich dagegen als alleiniger Versorgungszweck i. d.R. in einer Versorgungszusage nicht wieder finden. Auch wenn der BGH eine Vorlagefrage an den EuGH im Hinblick auf das zitierte Urteil nicht für erforderlich hielt, bleibt in der Sachfrage dennoch eine weitere Entscheidung des EuGH abzuwarten. Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat nämlich in einem anderen Fall dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Lebenspartner i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes aus einer Hinterbliebenenversorgung einer berufsständischen Pflichtversorgung nach Maßgabe der Richtlinie 2000/78 EG ausgeschlossen werden dürfen."

---- 1.1.5. Die Vorlegungssache Maruko

In der von Cisch/Börm erwähnten Vorlegungssache Tadao Maruko gegen die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, die beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-267/06 anhängig ist, hat der Generalanwalt inzwischen seine Schlussanträge vorgelegt. In dieser Vorlegungssache geht es um die Frage, ob die die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen auch hinterbliebenen Lebenspartnern ihrer Versicherten eine Hinterbliebenenrente gewähren muss. Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen die in den vorstehenden Abschnitten dargelegte Rechtsauffassung bestätigt, die bisher von den deutschen Gerichten abgelehnt worden ist, nämlich:


  • das es eine durch die EU-Richtlinie 2000/78/EG verbotene mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellt, wenn Lebenspartner weniger Arbeitsentgelt erhalten als Ehegatten und

  • dass die Begründungserwägung 22, nach der die Richtlinie nicht auf Leistungen anwendbar ist, die vom Familienstand abhängen, dem nicht entgegensteht.

Der EuGH pflegt in aller Regel den Schlussanträgen seiner Generalanwälte zu folgen. Das ist hier umso wahrscheinlicher, weil der Generalwalt in seiner Stellungnahme mit Recht hervorgehoben hat:

  • dass die Rechtssache im Zusammenhang mit dem weitreichenden Prozess der Anerkennung der Homosexualität als unverzichtbarer Schritt auf dem Weg zur Durchsetzung der Gleichberechtigung und Achtung aller Menschen steht (Rn. 2),

  • dass der Grundsatz der Gleichbehandlung – zusammen mit dem des freien Verkehrs –  ein Grundsatz ist, der in der europäischen Rechtsordnung die längste Tradition aufweist und dort am tiefsten verwurzelt ist (Rn. 83) und

  • dass das Verbot der Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung wegen seines grundlegenden Charakters von anderer Dimension ist als das Diskriminierungsverbot auf Grund des Alters (Fn. 82).

Es ist kaum vorstellbar, dass der EuGH dies anders sehen und bewerten wird. Mit seinem Urteil ist zum Jahreswechsel zu rechnen.
Wenn das Urteil, wie erwartet, ausfällt, sind damit die ablehnenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zum Familienzuschlag und des Bundesgerichtshofs zur Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes durch die VBL hinfällig. Das Urteil wird auch für alle anderen Vergünstigungen für verpartnerte Beschäftigte gelten wie Beihilfe, betriebliche Hinterbliebenenrenten, Hinterbliebenenpensionen, Trennungsgeld, Reise- und Umzugskosten, Familienheimfahrten, Sonderurlaub usw. Denn alle diese Leistungen gelten europarechtlich als „Arbeitsentgelt“. Unter diesen Begriff fallen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 141 Abs. 2 EGV (ex Art. 119 EGV) und zu den Richtlinien über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen alle gegenwärtigen oder künftigen Leistungen, die der Arbeitgeber oder Dienstherr dem Beschäftigten aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses gewährt unabhängig davon, ob sie aufgrund eines Arbeitsvertrags, kraft einer Rechtsvorschrift oder freiwillig gewährt werden. Entscheidend ist der Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 17.05.1990- C-262/88 [Rs. Barber], Slg. 1990, I-1889; NJW 1991, 2204).

---- 1.1.6. Kündigungen

Nach § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen "ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz". In dem ursprünglichen Entwurf hatte es geheißen: Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes“.
Diese Ausnahme ist mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar. Danach gelten die Diskriminierungsverbote (u.a. wegen der sexuellen Ausrichtung) auch für "die Entlassungsbedingungen". Unter den Begriff "Entlassungsbedingungen" fallen auch Kündigungen (vgl. EuGH, Große Kammer, Urt. v. 11.07.2006 - C-13/05, Rs. Navas, Chacón Navas, NJW 2006, 839).
Im Falle eines Widerspruchs zwischen dem nationalen Recht und einer Richtlinie müssen die nationalen Gerichte das nationale Recht so auslegen, dass Widersprüche zur Richtlinie möglichst vermieden werden (vgl. z.B. Urt. v. 05.10.2004 - C-397-403/01, Rs. Pfeiffer, Slg. I 2004, 8835, NJW 2004, 3547, Rz 113, 114, m.w.Nachw.).
Das hat das Bundesarbeitsgericht inzwischen getan (Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07). Es ist unter Hinweis auf den Regelungszusammenhang der Norm, die Gesetzesgeschichte, den Zweck der Regelung und das Erfordernis der europarechtskonformen Auslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass § 2 Abs. 4 AGG der Anwendung der materiellen Diskriminierungsverbote in ihrer näheren gesetzlichen Ausgestaltung (§ 1 bis § 10 AGG) im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem KSchG nicht im Wege steht.
Danach sind die Diskriminierungsverbote des AGG - einschließlich der ebenfalls im AGG vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen - bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, dass sie Konkretisierungen des Begriffs der Sozialwidrigkeit darstellen. Das gilt auch für das Verbot der Benachteiligung wegen der sexuellen Identität.
Dies bedeutet ua., dass der Grundsatz des Kündigungsrechts, demzufolge rechtswidrige Kündigungen als unwirksam angesehen werden und dass die Unwirksamkeit gerichtlich nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes geltend zu machen ist, unangetastet bleibt und nicht etwa eine „Diskriminierungsklage“ neben die Kündigungsschutzklage treten oder etwa die besonderen Beschwerderechte nach dem AGG irgendetwas an der kündigungsrechtlichen Dogmatik ändern sollen.
Vielmehr sollen Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote des AGG nach den kündigungsrechtlichen Maßgaben gewertet werden, also für den Bereich des Kündigungsschutzgesetzes im Zusammenhang mit der Frage erörtert werden, ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist oder nicht. Dagegen sollen die Diskriminierungsverbote nicht als eigene Unwirksamkeitsnormen angewendet werden.
Ob und inwieweit mit der Einpassung der Diskriminierungsverbote in das Kündigungsschutzrecht zugleich andere Rechte von durch Kündigung diskriminierten Beschäftigten - vgl. §§ 13, 14, 15, 16 AGG - ausgeschlossen sein sollen, hat das BAG offen gelassen.

---- 1.1.8. Mobbing

Das AGG hat das Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) aufgehoben.
Stattdessen bestimmt nun § 3 Abs. 3 AGG, dass Belästigungen als Benachteiligungen wegen eines Diskriminierungsmerkmals gelten, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem der Diskriminierungsmerkmale in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Bloße einmalige Vorfälle genügen deshalb nicht.

Anders bei sexuellen Belästigungen. Hier reichen auch einmalige Vorfälle aus. Als sexuelle Belästigung gilt ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten. Dazu gehören auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen. Der "Täter" muss damit bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere dass ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Wenn es zu solchen Belästigungen kommt, muss der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung ergreifen (§ 12 Abs. 4 AGG). Tut er das nicht, können die Betroffenen eine angemessene Entschädigung in Geld (= Schmerzengeld, siehe unten 1.1.10) verlangen.
Ergreift der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist (§ 14 AGG).
Das alles gilt natürlich auch, wenn sich Beschäftigte weigern, mit einer lesbischen Kollegin oder einem schwulen Kollegen zusammenzuarbeiten. 

---- 1.1.9. Nichtigkeit benachteiligender Vereinbarungen

Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, nichtig. Nicht geregelt ist, was an die Stelle der diskriminierenden Vereinbarung tritt. Nach der Rechtsprechung muss in solchen Fällen nach oben angepasst werden (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 20.03.2003 - C 187/00 - Rs. Kutz-Bauer, Rn. 72 ff.; Slg. I 2003, 2741; NZA 2003, 506; BAG, Urt. v. 07.09.2004 - 3 AZR 550/03; NZA 2005, 1239). Das heißt, wenn der jüngste Arbeitnehmer erfolgreich gegen eine Entgeltregelung klagt, die an das Alter oder die Betriebszugehörigkeit (mittelbare Diskriminierung wegen des Alters) anknüpft, hat er Anspruch auf das Entgelt der letzten Altersstufe.

---- 1.1.10. Kein Einstellungsanspruch

Wenn gescheiterten Bewerbern der Nachweis ihrer Diskriminierung gelingt, können sie nur Schadensersatz (= Verdienstausfall usw.) und Entschädigung (= Schmerzensgeld) verlangen, nicht dagegen den Abschluss des Arbeitsvertrages oder die Übertragung der Beförderungsstelle (§ 15 Abs. 6 AGG).
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Benachteiligung schon dann gegeben ist, wenn Personen, die an sich für die Tätigkeit geeignet wären, von vornherein wegen eines in § 1 AGG aufgezählten Merkmals nicht für die Einstellung in Betracht gezogen und deshalb für ein Vorstellungsgespräch nicht eingeladen werden (BAG, Urt. 27.04.2000 – 8 AZR 295/99; AuA 2000, 281; s. auch BVerfG, Beschl. v. 16.11.1993 1 BvR 258/86; BVerfGE 89, 276, 288 ff.).

---- 1.1.11. Schadensersatz und Entschädigung nur bei Verschulden?

Nach § 15 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nur dann zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Das widerspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. u.a. EuGH, Urt. v. 08.11.1990 – C-177/88 – Rs. Dekker, Slg. I 1990, 3941, NJW 1991, 628 Rn. 25; Urteil v. 22. 04.1997 - C-180/95 – Rs. Draehmpaehl; Slg. I 1997, 2195; NJW 1997, 1839, Rn. 18), wonach ein Mitgliedstaat, der sich für eine Sanktion in Form einer Entschädigungsregelung entschieden hat, diese nicht von einem Verschulden abhängig machen darf (Thüsing, NZA 2005, 32, 35; 2006, 774, 775; Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1091).
Nach § 15 Abs. 2 AGG kann der der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene "Entschädigung" in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Die Entschädigung stellt also ein Schmerzensgeld dar. Der Entschädigungsanspruch ist eine eigenständige, vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängige Verpflichtung (BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Das gebietet außerdem die europarechtskonforme Auslegung der Vorschrift (Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 896; Willemsen/Schweibert, NJW 2006, 2583, 2589).
Der Eintritt eines immateriellen Schadens wird bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vermutet (BT-Drucks. 16/1780, S. 38). Die Folgen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot müssen dabei nicht die Schwere einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des oder der Beschäftigten erreichen (BT-Drucks. 16/1780 a.a.O; Bauer/Evers a.a.O.)
Nach § 15 Abs. 3 AGG braucht der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen "Entschädigung" nur zu leisten, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Aus der Verwendung des Wortes "Entschädigung" und der Stellung der Vorschrift hinter Absatz 2 folgt, dass diese Haftungsbeschränkung nur für den Anspruch auf Entschädigung nach § Abs. 2 AGG gilt und nicht auch für den Anspruch auf Schadensersatz. Für diese Auslegung spricht außerdem, dass die Haftungsbeschränkung aus den oben dargelegten Gründen gegen das Europarecht verstößt. Die Vorschrift muss deshalb möglichst einengend ausgelegt werden.
Der Wortlaut von § 15 Abs. 1 und 3 AGG ist so eindeutig, dass die Gerichte die Bestimmungen nicht europarechtskonform dahin auslegen können, dass der Schadensersatzanspruch nicht von einem Verschuldensnachweis abhängig ist. Ob die Gerichte nach den Grundsätzen der Mangold-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 22.11.2005 - C-144/04; Slg. I 2005, 9981; NJW 2005, 3695; BAG, Urt. v. 26.04.2006 - 7 AZR 500/04; NZA 2006, 1162) die eurorechtswidrige Einschränkung außer Betracht lassen dürfen oder sogar müssen, ist ungeklärt.
§ 15 Abs. 1 und 3 AGG verstoßen außerdem hinsichtlich des Merkmals Geschlecht gegen Art. 8e Abs. 2 der geänderten RL 76/207/EWG und hinsichtlich des Merkmals Behinderung gegen Art. 8 Abs. 2 RL 200/78/EG. Danach darf das Schutzniveau bei der Umsetzung der Richtlinien nicht abgesenkt werden.
Das Verbot der Benachteiligung wegen des Merkmals Geschlecht war bisher in den §§ 611a, 611b und 612 Abs. 3 BGB geregelt. Diese Vorschriften sind durch Art. 3 Abs. 14 des Umsetzungsgesetzes aufgehoben worden. Nach § 611a Abs. 2 BGB konnten Beschäftige eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, wenn der Arbeitgeber bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts verstoßen hatte. Der Anspruch setzte kein Verschulden des Arbeitgebers voraus.
Dasselbe ergab sich für schwerbehinderte Beschäftigte aus § 81 Abs. 2  Nr. 2 SGB IX, wenn sie bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden waren. Diese Vorschrift ist durch Art. 3 Abs. 10 des Umsetzungsgesetzes so geändert worden, dass sie nur noch das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter wiederholt und im Übrigen auf die Reglungen des AGG verweist.

---- 1.1.12. Höhe des Schadensersatzes

Der Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG auf Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot ist der Höhe nach nicht beschränkt. Das heißt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer diskriminierenden Handlung nicht eingestellt wird, hat er grundsätzlich Anspruch auf die entgangene Vergütung. Ein erhaltenes Arbeitslosengeld oder Ähnliches muss er sich natürlich anrechnen lassen.
Außerdem ist der Anspruch zeitlich nicht begrenzt. Der Arbeitnehmer kann deshalb die entgangene Vergütung oder eine Aufstockung seines niedrigeren Verdienstes bei einem anderen Arbeitgeber bis zum ersten hypothetischen Kündigungstermin fordern. Einen solchen gibt es aber nicht, wenn ein Arbeitnehmer wegen seiner sexuellen Identität oder wegen eines anderen Diskriminierungsmerkmals nicht eingestellt worden ist. Zwar wäre eine  hypothetische Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG in den ersten sechs Monaten ohne Begründung zulässig. Sie würde aber ebenfalls wegen des verbotenen Diskriminierungsmerkmals erfolgen und wäre deshalb - trotz § 2 Abs. 4 AGG - ebenfalls unzulässig.
In der Literatur wird vorgeschlagen, den Schadensersatzanspruch in solchen Fällen entsprechend §§ 9, 10 KSchG zu begrenzen.

---- 1.1.13. Fristen

Der Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG auf Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot und auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss gemäß § 15 Abs. 4 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt normalerweise zu dem Zeitpunkt, in dem die Beschäftigten von der Benachteiligung Kenntnis erlangen. Im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs beginnt die Frist aber bereits mit dem Zugang der Ablehnung.
§ 21 Abs. 5 enthält für die Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Verletzung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots eine ähnliche Regelung. Dort heißt es zusätzlich: „Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. In der Amtlichen Begründung wird dazu gesagt (BT-Drucks. 16/1780 S. 47):

„Es handelt sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die drei  Monate nach Entstehung des Anspruchs abläuft. Satz 2 stellt klar, dass nach Fristablauf der Anspruch nur geltend gemacht werden kann, wenn der Benachteiligte erst nach Fristablauf von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt, ohne dass dies von ihm zu vertreten ist.“  (Hinweis: Die Frist ist aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf zwei Monate verkürzt worden, BT-Drucks. 16/2022, S. 6).

In § 15 Abs. 4 AGG fehlt der Zusatz, dass die Ansprüche trotz Fristablaufs noch geltend gemacht werden können, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Deshalb können die Ansprüche von Bewerbern auf Schadensersatz und Entschädigung durch Ablauf der Ausschlussfrist bereits untergegangen sein, bevor diskriminierte Bewerber erfahren, dass sie bei der Ablehnung benachteiligt worden sind. Das ist mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht vereinbar. Danach dürfen Klagefristen die Effektivität der Rechtsdurchsetzung nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH (Fünfte Kammer), Urt. 02.02.2001 - C-52 u. 53/99 (Rs. Camarotto u. Vignone); Slg. I 2001,  1395 Rn. 30).
Die anschließende Klage muss innerhalb von drei Monaten erhoben werden, nach dem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist (§ 61b ArbGG). 
Die Frist für eine Kündigungsschutzklage beläuft sich nach §§ 4, 13 KschG auf drei Wochen
Nach § 15 Abs. 5 AGG bleiben aber Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt. Dasselbe bestimmt § 32 AGG. Danach gelten die allgemeinen Bestimmungen, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. In der Begründung zu § 15 Abs. 5 AGG wird gesagt (BT-Drucks. 16/1780 S. 38): „In Betracht kommen insbesondere Ansprüche auf Unterlassung nach § 1004 BGB und auf Ersatz des materiellen Schadens nach den §§ 252, 823 BGB“.
Die Ansprüche auf Verdienstausfall nach §§ 823, 252 BGB und auf Unterlassung nach § 1004 BGB sind zusätzlich gegeben, wenn der Arbeitgeber schuldhaft gehandelt hat. Denn das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Auch verletzt eine Benachteiligung wegen der sexuellen Identität regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Er wird herabgewürdigt, in dem ihm die Chance einer gleichberechtigten Teilnahme am Arbeitsleben einzig aufgrund seines Soseins abgesprochen und genommen wird. 
Diese zusätzlichen Ansprüche sind nach § 15 Abs. 5 AGG nicht fristgebunden. Auch § 61b ArbGG greift nicht ein. Diese Vorschrift gilt nur für "Klagen auf Entschädigung nach § 15 AGG".

-- 1.2. Beamte, Richter und Soldaten

§ 24 AGG bestimmt, dass die Vorschriften des Gleichbehandlungsgesetzes für Beamte und Richter "unter Berücksichtigung ihrer besonderer Rechtstellung entsprechend“ gelten. Für Soldaten gilt Gleiches aufgrund des Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetzes (SoldGG).
Dadurch werden allerdings diskriminierende Vorschriften in anderen Bundesgesetzen wie z.B. die Vorschriften über den Familienzuschlag im Bundesbesoldungsgesetz und über die Hinterbliebenenpension im Beamtenversorgungsgesetz nicht außer Kraft gesetzt. Denn das Gleichbehandlungsgebot gilt nur für das Handeln der Verwaltung gegenüber Beamten, Richtern und Soldaten wie z.B. für ihre Einstellung, ihre Beförderung und ihre Entlassung.
Um das zu unterstreichen, hat das Umsetzungsgesetz § 8 des Bundesbeamtengesetzes über die Auslese von Beamtenbewerbern um das Verbot der Benachteiligung wegen der sexuellen Identität erweitert. Dieselbe Vorschrift soll in § 8 des Beamtenstatusgesetzes aufgenommen werden, das das Beamtenrechtsrahmengesetz ersetzen soll (BT-Drucks. 16/4027 v. 12.01.2007und 16/4038 v. 16.01.2007). Für Soldaten ergibt sich dasselbe aus § 3 Abs. 1 des Soldatengesetzes.
Auch § 67 des Bundespersonalvertretungsgesetzes über die Grundsätze für die Behandlung der Beschäftigten ist um das Verbot der Benachteiligung wegen der sexuellen Identität erweitert worden. Die Parallelvorschrift des § 75 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetzes war auf unser Drängen schon anlässlich der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes entsprechend geändert worden.
Wenn der Europäische Gerichtshof in der Vorlegungssache Maruko, wie erwartet, zugunsten der Lesben und Schwule entscheiden sollte - siehe oben 1.1.5. - müssen der Bund und die Länder ihre Beamtengesetze und Beihilfevorschriften so ändern, dass verpartnerte Beamte dieselben Vergünstigungen erhalten wie ihre verheirateten Kollegen (Familienzuschlag, Beihilfe, Hinterbliebenenpensionen, Trennungsgeld, Reise- und Umzugskosten, Familienheimfahrten usw.) Verpartnerte Beamte können sich dann auf erhebliche Nachzahlungen freuen, da Deutschland schon seit dem 03.12.2003 mit der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG n Verzug ist.

2. Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot

§ 19 AGG unterscheidet bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse (Wohnungsmiete, Hotel-Übernachtung, Aufenthalt in einer Gastwirtschaft, Disco, Versicherungsvertrag usw.) zwischen den einzelnen Diskriminierungsmerkmalen:

  1. Die Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist grundsätzlich bei allen zivilrechtlichen Schuldverhältnissen unzulässig, sofern es um "den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen" geht, "die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum" (§§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 2 AGG). Güter und Dienstleistungen stehen der Öffentlichkeit bereits dann zur Verfügung, wenn ein Angebot zum Vertragsschluss durch Anzeigen in Tageszeitungen, Schaufensterauslagen, Veröffentlichungen im Internet oder auf vergleichbare Weise öffentlich gemacht wird. Es kommt nicht darauf an, wie groß die angesprochene Öffentlichkeit ist, sondern nur darauf, dass die Erklärung über die Privatsphäre des Anbietenden hinaus gelangt (so die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/1780, S.32; allgemeine Meinung, a.A. Meier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2580)

    Die Frage der Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft stellt sich deshalb nur bei mittelbaren Benachteiligungen (§ 3 Abs. 2 AGG), z.B. Ablehnung eines Ausländers als Mieter wegen häufiger Besuche durch andere Familienmitglieder (Großfamilie).
  2. Die Benachteiligung wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist unzulässig, wenn es sich bei den Schuldverhältnissen um Rechtsgeschäfte handelt
    1. die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte, § 19 Abs. 1 Nr. 1 erster Halbsatz AGG, z.B.: Einkauf im Supermarkt, Kino) oder
    2. bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz AGG, z.B.: Hotelübernachtung, Aufenthalt in Gastwirtschaft, Disco). Nach der Gesetzesbegründung sollen unter Ziffer 2 auch Wohnungsanbieter fallen, die eine Vielzahl von Wohnungen anbieten (BT-Drucks. 16/1780, S. 42.) oder
    3. die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben (§ 19 Abs. 1 Nr. 2  AGG).

    In §§ 19 ff. AGG fehlt des Merkmal "Weltanschauung". Das ist aber praktisch ohne große Bedeutung, weil das Merkmal "Religion" umfassend verstanden wird. Darunter versteht man nicht nur die Zugehörigkeit zu anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern jede religiöse Überzeugung im Sinne einer Vorstellung über die Existenz von Gegebenheiten jenseits des sinnlich Erfahrbaren. Geschützt ist somit jede nicht primär politische Weltanschauung. Durch die in letzter Minute erfolgte Streichung des Merkmals "Weltanschauung" sollte verhindert werden, dass sich Rechtsradikale auf das AGG berufen.  

    Ausnahmen vom Diskriminierungsschutz bestehen in folgenden Fällen:

    • bei der Vermietung von Wohnraum aus stadt- und wohnungspolitischen Gründen (§ 19 Abs. 3 AGG),
    • bei besonderen Nähe- und Vertrauensverhältnissen. Nach dem Gesetz kann dies bei Mietverhältnissen insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen (§ 19 Abs. 5 S. 1 und 2 AGG).
    • bei der Vermietung von Wohnraum zum dauernden Gebrauch, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnung vermietet (§ 19 Abs. 5 Satz 3 AGG).

    Die erste Ausnahme (19 Abs. 3 AGG) verstößt hinsichtlich der Merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht gegen die Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG, weil diese Richtlinien solche Einschränkungen nicht zulassen.

    Die zweite Ausnahme (§ 19 Abs. 5 S. 1 und 2 AGG) ist nicht mit der Richtlinie 2000/43/EG zu vereinbaren. In der Begründungserwägung 4 dieser Richtlinie heißt es zwar:

    „Ferner ist es wichtig, dass im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt.“

    Der Text der Richtlinie selbst enthält aber keine entsprechende Einschränkung. Die „vereinsamte“ Begründungserwägung 4 berechtigt deshalb nicht zu solchen Beschränkungen des Diskriminierungsschutzes.

    Die Benachteiligung wegen der Merkmale "Geschlecht,  Religion, Behinderung, Alter und sexuellen Identität ist außerdem erlaubt, wenn dafür ein sachlicher Grund vorliegt (§ 20 Abs. 1 Satz 1 AGG). Das wird in § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5  AGG konkretisiert. Diese Ausnahme verstößt hinsichtlich des Merkmals Geschlecht gegen die RL 2004/113/EG. Nach Art 4 Abs. 5  RL 2004/113/EG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts nur erlaubt, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, die Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitszustellen, und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind

    Diese Voraussetzung ist z.B. gegeben, wenn in Frauenkneipen oder -Discos nur Frauen und in Gay-Saunen nur Männer zugelassen werden.

    Anders verhält es sich, wenn ein Gastwirt Lesben oder Schwule aus seiner Kneipe weist, weil sie Händchen gehalten und/oder geschmust haben. Das ist eine Diskriminierung wegen der sexuellen Identität, die unter § 19 Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz AGG fällt, wenn der Gastwirt solches Verhalten bei seinen heterosexuellen Gästen duldet. Die Betroffenen können den Gastwirt auf Unterlassung und auf eine angemessene Entschädigung in Geld (= Schmerzensgeld) verklagen. Die Ansprüche müssen innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 21 AGG).

    Werden dagegen Lesben und Schwule als Bewerber für eine Wohnung mit der Begründung zurückgewiesen, man vermiete nicht an Frauen, an Lesben bzw. an Schwule, können sie sich regelmäßig nicht auf das AGG berufen, es sei denn, dass es sich um eine größere Wohnungsgesellschaft handelt (mehr als  50 Wohnungen).

-- 2.1. Lebens- und Krankenversicherungen

Bisher haben sich mindestens 75 % der privaten Lebens- und Krankenversicherungen geweigert, mit schwulen Männern Verträge abzuschließen, weil sie das "AIDS-Risiko" fürchten. Sie haben aber nicht nach der sexuellen Identität der Antragsteller gefragt oder vor dem Vertragsabschluss einen HIV-Antikörpertest verlangt, sondern den Vertragsabschluss ohne Begründung abgelehnt, wenn der Antragsteller verpartnert war oder wenn er in seinem Antrag einen anderen Mann als Begünstigten benannt hatte. Die Abgelehnten wurden in eine „Schwarze Liste“ aufgenommen mit der Folge, dass sich auch alle anderen Versicherer weigerten, mit ihnen einen Vertrag abzuschließen.
Diese Praxis ist aufgrund des AGG so nicht mehr möglich. Wenn Lebens- und Krankenversicherungen Vertragsabschlüsse mit schwulen Männern weiterhin ohne Begründung ablehnen, ist das angesichts ihrer bisherigen Praxis ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der sexuellen Ausrichtung der Antragsteller.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG ist in Zukunft eine unterschiedliche Behandlung schwuler Männer (Ablehnung oder höhere Prämien) nur noch möglich, "wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen."
Das wird in der Gesetzesbegründung wie folgt erläutert (BT-Drucks. 16/1780 S. 45):

"Satz 3 regelt die Voraussetzungen, unter denen Versicherungen die Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität als Risikofaktoren bei der Festlegung der Prämien und Leistungen heranziehen können. Diese muss auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhen, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass als Risikomerkmale ohnehin nur solche Umstände geeignet sind, die zu vertretbaren Kosten statistisch erfassbar sind und einen deutlichen statistischen Zusammenhang mit der Schadenserwartung haben (Wandt, Geschlechtsabhängige Tarifierung in der privaten Krankenversicherung, VersR 2004, 1341, 1342).
Der Begriff 'anerkannte Prinzipien risikoadäquater Kalkulation' kann als eine Zusammenfassung der Grundsätze gesehen werden, die von Versicherungsmathematikern bei der Berechnung von Prämien und Deckungsrückstellungen anzuwenden sind. Diese Grundsätze haben gesetzliche Grundlagen (z. B. § 11 VAG, § 65 VAG sowie aufgrund dieser Vorschrift  erlassene Rechtverordnungen, § 341f HGB für die Lebensversicherung). Es sind bestimmte Rechnungsgrundlagen, mathematische Formeln und kalkulatorische Herleitungen zu verwenden, wobei hierbei, falls vorhanden oder bei vertretbarem Aufwand erstellbar, auch statistische Grundlagen (z. B. Sterbetafeln) heranzuziehen sind. Ferner muss auf anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer zurückgegriffen werden. Insgesamt trifft die Versicherungen damit eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast."

Danach dürfen die Lebens- und Krankenversicherungen "Risikozuschläge" für schwule Männer nur verlangen, wenn sie  versicherungsmathematisch belegen können,
  • dass schwule Männer ein statistisch signifikant höheres Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren und an AIDS zu erkranken als heterosexuelle Männer, und dass schwule Männer infolgedessen durchschnittlich einen bestimmten Prozentsatz höherer Krankheitskosten verursachen bzw.
  • dass ihre Lebenserwartung um eine bestimmte Zahl von Jahren geringer ist.

Das ist den Lebens- und Krankenversicherungen aus folgenden Gründen nicht möglich:
  • Es ist nach wie vor nicht bekannt, wie viel Prozent der männlichen Bevölkerung Deutschlands schwul ist. Die Aussagen darüber, wie viele schwule Männer es in Deutschland gibt, gehen noch immer weit auseinander.
  • Die Statistiken über Todesursachen (Sterbetafeln) unterscheiden nicht zwischen heterosexuellen und schwulen Männern.
  • Die Zahlen über die an AIDS verstorbenen schwulen und heterosexuellen Männer sind nicht zuverlässig. Bei AIDS-Kranken wird regelmäßig nicht AIDS als Todesursache angegeben, sondern die Krankheitserscheinung (opportunistische Infektion), die die unmittelbare Todesursache war.
  • Man weiß zwar ungefähr, wie viel Neuinfektionen bei Schwulen und Heterosexuellen in den vergangenen Jahren jeweils festgestellt worden sind. Man weiß aber nicht, wann sich diese Männer angesteckt haben. Das kann Jahre zurückliegen. Das Risikoverhalten der Schwulen hat sich aber über die Jahre stark verändert und verändert sich noch immer.


Zunächst sah es so aus, als ob die Lebens- und Krankenversicherer statt der Ablehnung der Verträge nun von schwulen Männern umfangreiche Gesundheitsuntersuchungen einschließlich eines HIV-Antikörpertests verlangen würden. Auch das ist eine Benachteiligung wegen der sexuellen Identität (Thüsing/Hoff, VersR  2007, 1, 2).  
Inzwischen scheint sich das Problem aber insgesamt erledigt zu haben. Wir erhalten keine Hinweise und Anfragen mehr wegen Benachteiligung von schwulen Männern durch Lebens- oder Krankenversicherungen.

3. Beweislast

Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sehen vor, dass sich der Beklagte entlasten muss, wenn Benachteiligte Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung vermuten lassen. Nach § 22 AGG tritt die Umkehrung der Beweislast dagegen erst ein, wenn Benachteiligte solche Tatsachen beweisen.
Die Fassung der Vorschrift beruht auf der Empfehlung des Rechtsausschusses und ist von ihm wie folgt begründet worden (BT-Drs. 16/2022, S. 13):

„Die Diskussion des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat gezeigt, dass der – bereits in § 611a BGB – verwendete Begriff der „Glaubhaftmachung“ oftmals dahingehend missverstanden wird, er beziehe sich auf § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) und lasse die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel zu. Es ist insoweit eine sprachliche Neufassung zur Bestimmung des Beweismaßes erfolgt. Dies ist eine erforderliche Klarstellung für die Praxis; eine Rechtsänderung ist damit nicht verbunden. Die Vorgaben der einschlägigen Richtlinien werden nach wie vor erfüllt.“

Das ist tatsächlich nicht der Fall. „Bewiesen“ sind nur solche „Vermutungstatsachen“, von denen das Gericht so überzeugt ist, dass vernünftige Zweifel schweigen. Die Wahrscheinlichkeit muss bei über 90 % liegen. Für eine Glaubhaftmachung genügt es dagegen, dass das Gericht die fraglichen Tatsachen für überwiegend wahrscheinlich hält. Es genügt deshalb, dass die Wahrscheinlichkeit über 50 % liegt .
Eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift ist angesichts ihres eindeutigen Wortlauts nicht möglich. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für diesen abweichenden Wortlaut entschieden (a.A. Windel, ZGS 2007, 60, 62).
§ 22 AGG verstößt außerdem hinsichtlich der Merkmale Geschlecht und Behinderung gegen das Gebot, dass das Schutzniveau bei der Umsetzung der Richtlinien nicht abgesenkt werden darf (siehe oben 1.1.10 a.E.). Nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. und § 81 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügte für die Umkehrung der Beweislast die Glaubhaftmachung von Vermutungstatsachen.

4. Sozialrecht

Das Umwandlungsgesetz hat in den Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs ein Benachteiligungsverbot eingefügt (§ 33 c SGB I). Es gilt aber nur für die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Behinderung. Außerdem ist das Benachteiligungsverbot durch den Zusatz eingeschränkt, dass aus ihm Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden können, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind.
Die "Grundsätze der Vermittlung" in § 36 SGB III sind durch das Umsetzungsgesetz dahin ergänzt worden, dass die Agentur für Arbeit Einschränkungen, die der Arbeitgeber für eine Vermittlung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder der sexuellen Identität des Ausbildungssuchenden und Arbeitssuchenden vornimmt, nur berücksichtigen darf, soweit sie nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zulässig sind.
Dasselbe Benachteiligungsverbot hat das Umsetzungsgesetz als § 19a in das SGB IV eingefügt. Es gilt für die Inanspruchnahme von Leistungen, die den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung betreffen. Ansprüche können aber aus diesem Benachteiligungsverbot nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind.
Ausländische Lebenspartner von Deutschen erhalten deshalb - anders als ausländische Ehegatten von Deutschen - nach wie vor keine Ausbildungsförderung.

-- 4.1. Hinterbliebenenrenten der Berufsständischen Versorgungseinrichtungen

Siehe dazu den entsprechenden Abschnitt im Kapitel "Arbeiter, Angestellte und Beamte" in unserem Ratgeber zum Lebenspartnerschaftsrecht.

5. Antidiskriminierungsverbände

Nach § 23 Abs. 2 AGG ist Antidiskriminierungsverbänden im Rahmen ihres Satzungszwecks die Besorgung von Rechtsangelegenheiten Benachteiligter gestattet. Sie können außerdem im Rahmen ihres Satzungszwecks in gerichtlichen Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte und Anwältinnen nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, als Beistände Benachteiligter auftreten.
Nach dem ursprünglichen Entwurf sollten sie darüber hinaus auch befugt sein, in diesen Verfahren als Bevollmächtigte aufzutreten. Im rot-grünen ADG war außerdem vorgesehen, dass Benachteiligte Forderungen auf Schadensersatz oder Entschädigung an Antidiskriminierungsverbände abtreten können und dass die Verbände zur außergerichtlichen und gerichtlichen Einziehung der Forderung befugt sind. Beides ist im AGG gestrichen worden. Das hat folgende Konsequenzen:
Antidiskriminierungsverbände sind bei erstinstanzlichen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten als Bevollmächtigte zugelassen (§ 67 Abs. 2 VwGO). Außerdem können Behindertenverbände für Behinderte deren Rechte vor den Gerichten geltend machen (§ 63 SGB IX, §§ 12, 13 BGG).
Sonst sind Antidiskriminierungsverbände in Verfahren vor


  • den Zivilgerichten (§ 157 ZPO),

  • den Arbeitsgerichten (§ 11 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 157 ZPO),

  • den Verwaltungsgerichten (§ 67 Abs. 1 VwGO),

  • den Sozialgerichten (§ 73 Abs. 6 SGG i.V.m. § 157) ZPO und

  • den Finanzgerichten (§ 62 Abs. 2 Satz 2 FGO)

als Bevollmächtigte ausgeschlossen. Das gilt auch, wenn sie als Partei einen ihnen abgetretenen Anspruch geltend machen.
Bei den Zivilgerichten können Antidiskriminierungsverbände nur in Verfahren vor den Amtsgerichten als Beistände auftreten, ausgenommen Verfahren in Familiensachen (§ 78 ZPO).
Bei den Arbeits- und den Verwaltungsgerichten sind sie bei Verfahren erster Instanz als Beistände zugelassen (§ 11 ArbGG, § 67 VwGO),
bei den Sozial- und Finanzgerichten bei Verfahren der ersten und zweiten Instanz (§§ 73,166 SGG, §§ 62, 62a FGO).
Die Beschränkung der Antidiskriminierungsverbände auf eine Beistandsrolle in Verfahren ohne Anwaltszwang ist mit EU-Gleichbehandlungsrichtlinien nicht vereinbar. Sie verlangen die prozessrechtliche Einbeziehung der betroffenen Verbände in sämtlichen möglichen Gerichts- und Verwaltungsverfahren („any judicial and/or administrative procedure" bzw. „toute procédure judiciaire et/ou administrative", s. Raasch, ZESAR 2005, 209, 211) .
Die Rolle des Beistands ist im Übrigen keine effektive Umsetzung, denn der Beistand kann nur in der mündlichen Verhandlung tätig werden und ist an das Verhalten der Partei gebunden. Sobald diese den Gerichtssaal verlässt, verliert der Beistand seine prozessualen Rechte. Damit ist die „kleine Beistandslösung“ des § 23 Abs. 2 AGG mit den Vorgaben der Richtlinien nicht zu vereinbaren.