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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Umsetzung von Richtlinien (allgemein)

Allgemeines

  • 1.          Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich im Wesentlichen, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden.
    2.          Diese Definition des Anwendungsbereichs der Grundrechte der Union wird durch die Erläuterungen zu Art. 51 der Charta bestätigt, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind. Gemäß diesen Erläuterungen „[gilt d]ie Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten … nur dann, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln“.
    3.          In Bezug auf die Mehrwertsteuer ist jeder Mitgliedstaat aufgrund von Art. 2, 250 Abs. 1 und 273 der Richtlinie 2006/12/EG und aufgrund von Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen.
         Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 325 AEUV verpflichtet, zur Bekämpfung von rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere müssen sie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, dieselben Maßnahmen ergreifen wie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richtet.
         Da die Eigenmittel der Union gemäß dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2007/436/EG, Euratom des Rates vom 07.06.2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 163, S. 17) u. a. die Einnahmen umfassen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die nach den Unionsvorschriften bestimmte einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlägigen Unionsrechts und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union, da jedes Versäumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer führt.
         Folglich sind steuerliche Sanktionen und ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung wegen unrichtiger Angaben zur Mehrwertsteuer als Durchführung von Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112 sowie von Art. 325 AEUV und somit als Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen.
    4.          Die durch die EMRK anerkannten Grundrechte sind zwar, wie Art. 6 Abs. 3 EUV bestätigt, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Auch entsprechen nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die in der Charta enthaltenen Rechte den durch die EMRK garantierten Rechten und haben die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden. Doch stellt diese Konvention, solange die Union ihr nicht beigetreten ist, kein Rechtsinstrument dar, das formell in die Unionsrechtsordnung übernommen worden ist. Folglich regelt das Unionsrecht nicht das Verhältnis zwischen der EMRK und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und bestimmt auch nicht, welche Konsequenzen ein nationales Gericht aus einem Widerspruch zwischen den durch die EMRK gewährleisteten Rechten und einer nationalen Rechtsvorschrift zu ziehen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. April 2012, Kamberaj, C-571/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 62).
    5.          Das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, ist nach ständiger Rechtsprechung gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, Slg. 1978, 629, Randnrn. 21 und 24, vom 19. November 2009, Filipiak, C-314/08, Slg. 2009, I-11049, Randnr. 81, sowie vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 43).
    6.          Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen ist nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führt, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (Urteil Melki und Abdeli, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
  • Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Åkerberg Fransson (EuGH, Urteil v. 26.02.2013, C-617/10) darf nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte der Europäischen Union jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrecht oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche. Vielmehr führt der Europäische Gerichtshof auch in dieser Entscheidung ausdrücklich aus, dass die Europäischen Grundrechte der Charta nur in „unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden“ (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, C-617/10, Rn. 19).

Pflicht zur Umsetzung

Auslegung des nationalen Rechts

  • Das Gericht eines Mitgliedstaates hat bei der Anwendung seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften diese im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 249 Abs. 3 EG) genannte Ziel zu erreichen.
    • EuGH, Urt. v. 10.04.1984 - 14/83 (Rs. von Colson und Kamann); Slg. 1984, 1891
    • EuGH, Urt. 08.10.1987 - 80/86 (Rs. Kolpinghuis Nijmegen; Slg. 1987, 3969; EuR 1988, 391, m. Anm. Richter, Stefan, 394; RIW 1988, 826
    • EuGH, Urt. v. 13.11.1990 - C-106/89 (Rs. Marleasing); Slg. 1996 I-4135
    • EuGH, Urt. v. 16.12.1993 - C-334/92 (Rs. Wagner Miret); Slg. 1993, I-6911; NJW 1994, 921; EuZW 1994, 182; ZEuP 1995, 105
    • EuGH, Urt. 14.07.1994 - C-91/92 (Rs. Faccini Dori); Slg. 1994 I-3325; NJW 1994, 2473; DVBl. 1994, 1124; JZ 1995, 149; EuZW 1994, 498; ZEuP 1996, 117
    • EuGH 26.09.1996 - C-168/95 [Rs. Arcaro]; Slg. 1996, I-4705; EuZW 1997, 318
    • EuGH, Urt. 17.09.1997 - C-54/96 (Rs. Dorsch Consult); Slg. 1997, I-4961; NJW 1997, 3365; DB 1997, 2020; JZ 1998, 37; MDR 1997, 1116; RiA 1997, 302; RIW 1998, 67; EuGRZ 1997, 490; EuZW 1997, 625
    • EuGH, Urt. v. 24.09.1998 - C-76/97 (Rs. Tögel); Slg. 1998, I-5357; NVwZ 1999, 169; EuZW 1998, 660
    • EuGH, Urt. v. 04.03.1999 - C-258/97 (Rs. Hospital Ingenieure); Slg. 1999, I-1405; EWS 1999, 304
    • EuGH, Urt. v. 09.03.2004 - C-397-403/01 (Pfeiffer u.a.); Slg. 2004, I-8835; NJW 2004, 3547; DB 2004, 2270; BB 2004, 2353; NZA 2004, 1145; EuZW 2004, 691; ZIP 2004, 2342; DVBl. 2005, 35; RdA 2005, 115; ArztR 2005, 243, ZESAR 2005, 83  

Umsetzungsfrist

  • Die Mitgliedstaaten dürfen während des Laufs der Frist zur Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Verwirklichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen.
  • Da die Frist zur Umsetzung von Richtlinien den Mitgliedstaaten die für den Erlass der Umsetzungsmaßnahmen erforderliche Zeit geben soll, kann ihnen kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie die Richtlinie nicht vor Ablauf der Frist in ihre Rechtsordnung umsetzen (Urteil Inter-Environnement Wallonie, Randnr. 43).
  • Die nationalen Gerichte sind bei verspäteter Umsetzung einer Richtlinie in die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats und bei Fehlen unmittelbarer Wirkung ihrer einschlägigen Bestimmungen verpflichtet, das innerstaatliche Recht ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und des Zwecks der betreffenden Richtlinie auszulegen, um die mit ihr verfolgten Ergebnisse zu erreichen, indem sie die diesem Zweck am besten entsprechende Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften wählen und damit zu einer mit den Bestimmungen dieser Richtlinie vereinbaren Lösung gelangen.
  • In dem Fall, dass eine Richtlinie nicht fristgerecht in nationales Recht umgesetzt worden ist, kann eine etwaige unmittelbare Wirkung der Richtlinie auf jeden Fall nicht im Hinblick auf eine vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist liegenden Zeitpunkt geltend gemacht werden.
         Das nationale Gericht muss, wenn die fragliche nationale Regelung in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, in dem Fall, dass der von der Richtlinie erfasste Sachverhalt zwischen dem Inkrafttreten der Richtlinie und dem Ende der Frist für ihre Umsetzung eingetreten ist, dafür sorgen, dass die nationale Regelung im Einklang mit dem von der gemeinschaftlichen Rechtsordnung anerkannten Grundsatz der Nichtdiskriminierung angewandt wird.
  • Das Gemeinschaftsrecht enthält kein Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, dessen Schutz die Gerichte der Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben, wenn die möglicherweise diskriminierende Behandlung keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist. Ein solcher gemeinschaftsrechtlicher Bezug wird weder durch Art. 13 EG hergestellt noch durch die Richtlinie 2000/78 vor Ablauf der dem betreffenden Mitgliedstaat für die Umsetzung dieser Richtlinie gesetzten Frist, wenn die Maßnahme nicht der Umsetzung der Richtlinie gedient hat.
    • EuGH (Große Kammer), Urt. v.23.09.2008 - C-427/06 (Rs. Bartsch) - Schlussanträge; NJW 2008, 3417, m. Aufs. Bauer, Jobst-Hubertus/Arnold, Christian, 3377; NZA 2008, 1119; BB 2008, 2353, m. Anm. Klemm, Bernd, 2355; JZ 2008. 1157, m. Anm. Nettesheim, Martin, 1159; EuZW 2008, 697, m. Anm. Bayreuther, Frank, 698; EuGRZ 2008, 605; BetrAV 2008, 703
      Die Schlussanträge sind veröffentlich in BetrAV 2008, 406. 

Unmittelbare Wirkung von Richtlinien

--- Voraussetzungen

  • Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie beschränkt sich auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie zwischen Bürgern untereinander kommt nicht in Betracht.
         Ein Arbeitnehmer kann sich daher gegenüber einem privaten Arbeitgeber nicht unmittelbar auf den Inhalt einer Richtlinie berufen.
  • Liegen die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie nicht vor, hat dies nicht zur Folge, dass richtlinienwidriges nationales Recht nicht angewandt werden darf. Das Gemeinschaftsrecht enthält keinen Mechanismus, der es dem nationalen Gericht erlaubt, von einer Vorschrift einer nicht umgesetzten Richtlinie abweichende nationale Vorschriften zu eliminieren 
  • Wenn die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, sind die Einzelnen berechtigt, sich vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in nationales Recht ungesetzt hat.
    • EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - 8/81 (Rs. Becker); Slg. 1982, 53, NJW 1982, 499; BB 1982, 480; DVBl. 1982, 294; DStR 1982, 327; RIW 1982, 18
    • EuGH, Urt. 08.10.1987 - 80/86 (Rs. Kolpinghuis Nijmegen; Slg. 1987, 3969; EuR 1988, 391, m. Anm. Richter, Stefan, 394; RIW 1988, 826
    • EuGH, Urt. v. 19.11.1991 C-6 u. 9/90 (Andrea Francovich u.a.); Slg. 1991, I-5357; NJW 1992, 165; JZ 1992, 305; DVBl. 1992, 1017; DB 1992, 423; ZfSH/SGB 1992, 142; RIW 1992, 243; EuR 1992, 75; EuZW 1991, 758; EuGRZ 1992, 60
    • EuGH, Urt. v. 08.10.1996 - C-178, 179, 188, 189 u. 190/94 (Rs. Dillenkofer u.a.); Slg. 1996, I-4845; NJW 1996, 3141; DVBl. 1997, 111; JZ 1997, 198; DB 1996, 2218; MDR 1997, 41; EuGRZ 1996, 450; EuZW 1996, 654
    • EuGH, Urt. v. 17.10.1996 - C-283, 291 u. 292/94 (Rs. Denkavit); Slg. 1996, I-5063; NJW 1997, 119; DB, 1996, 2313; EuZW 1996, 695
    • EuGH, Urt. v. 24.09.1998 - C-76/97 (Rs. Tögel); Slg. 1998, I-5357; NVwZ 1999, 169; EuZW 1998, 660
    • EuGH, Urt. v. 29.10.1998 - C-230/94 (Rs. Ibiyinka Awoyemi); Slg. 1998, I-6781; EuZW 1999, 52
    • EuGH, Urt. v. 04.03.1999 - C-258/97 (Rs. Hospital Ingenieure); Slg. 1999, I-1405; EWS 1999, 304
    • EuGH, Urt. v. 01.06.1999 - C-319/97 (Rs. Antoine Kortas); Slg 1999, I-3143; EuZW 1999, 476; EuR 1999, 789
    • EuGH, Urt. v. 05.10.2004 - C-397-403/01 (Pfeiffer u.a.) - Schlussanträge; Slg. 2004, I-8835; NJW 2004, 3547; DB 2004, 2270; BB 2004, 2353; NZA 2004, 1145; EuZW 2004, 691; ZIP 2004, 2342; DVBl. 2005, 35; RdA 2005, 115; ArztR 2005, 243
    • EuGH (Erste Kammer), Urt. v. 06.03.2014 -C 595/12 (Rs. Napoli) Rn. 50
  • Eine Gemeinschaftsvorschrift ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiterer Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.
    • EuGH, Urt. 17.09.1996 - C-246, 247, 248 und 249/94 (Rs. Cooperativa Agricola); Slg. 1996, I-4373; EuZW 1997, 126
  • Eine Bestimmung ist hinreichend genau, um von einem einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt werden zu können, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt.
    • EuGH, Urt. v. 26.02.1986 - 152/84 (Rs. Marshall); Slg 1986, 723; NJW 1986, 2178; EuR 1986, 265, mit Anm. Nicolaysen, 370, und Anm. Stefan Richter, EuR 1988, 394
    • EuGH, Urt. 17.09.1996 - C-246, 247, 248 und 249/94 (Rs. Cooperativa Agricola); Slg. 1996, I-4373; EuZW 1997, 126
  • Die Tatsache allein, daß eine Richtlinie es den Mitgliedstaaten erlaubt, von klaren und genauen Bestimmungen der Richtlinie abzuweichen, kann der Richtlinie nicht die unmittelbare Wirkung nehmen. Insbesondere können derartige Richtlinien unmittelbare Wirkung haben, wenn die Inanspruchnahme der insoweit eingeräumten Abweichungsmöglichkeiten einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist.
  • Eine Richtlinie kann gegenüber Organisationen oder Einrichtungen geltend gemacht werden, die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die sich aus den für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben. Hierzu gehören Gebietskörperschaften oder Einrichtungen, denen unabhängig von ihrer Rechtsform durch Hoheitsakt die Erbringung einer Dienstleistung im öffentlichen Interesse unter der Aufsicht des Staates übertragen worden ist.
  • Eine Richtlinie kann auch gegenüber juristischen Personen des Privatrechts geltend gemacht werden, deren Träger eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist.
  • Wenn Rechtsbürger imstande sind, sich gegenüber dem Staat auf eine Richtlinie zu berufen, können sie das unabhängig davon tun, in welcher Eigenschaft - als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger - der Staat handelt.
    • EuGH, Urt. v. 26.02.1986 - 152/84 (Rs. Marshall); Slg 1986, 723; NJW 1986, 2178; EuR 1986, 265, mit Anm. Nicolaysen, 370, und Anm. Stefan Richter, EuR 1988, 394
    • EuGH, Urt. v. 04.10.2001 - C-438/99 (Rs. Jiménez Melgar); Slg. 2001, I-6915; NJW 2002, 125; NZA 2001, 1243; DVBl. 2001, 138; STREIT 2002, 35; EuZW 2001, 719;
  • Eine Richtlinie kann keine Verpflichtung für einen Einzelnen begründen. Deshalb kann eine Richtlinienbestimmung als solche nicht gegenüber einer derartigen Person in Anspruch genommen werden.
    • EuGH, Urt. v. 26.02.1986 - 152/84 (Rs. Marshall); Slg 1986, 723; NJW 1986, 2178; EuR 1986, 265, mit Anm. Nicolaysen, 370, und Anm. Stefan Richter, EuR 1988, 394
    • EuGH, Urt. v. 13.11.1990 - C-106/89 Rs. Marleasing); Slg. 1996 I-4135
    • EuGH, Urt. 14.07.1994 - Rs 91/92 (Rs. Faccini Dori); Slg. 1994 I-3325; NJW 1994, 2473; DVBl. 1994, 1124; JZ 1995, 149; EuZW 1994, 498; ZEuP 1996, 117
    • EuGH, Urt. v. 04.12.1997 - C-253-258/56 (Rs. Kampelmann u.a.); Slg. 1997, I-6907; DB 1997, 2617; BB 1998, 272; NZA 1998, 137; ArbuR 1998, 80; ZfSH/SGB 1998, 105; EuZW 1998, 88
    • EuGH, Urt. v. 05.10.2004 - C-397-403/01 (Pfeiffer u.a.) - Schlussanträge; Slg. 2004, I-8835; NJW 2004, 3547; DB 2004, 2270; BB 2004, 2353; NZA 2004, 1145; EuZW 2004, 691; ZIP 2004, 2342; DVBl. 2005, 35; RdA 2005, 115; ArztR 2005, 243
  • Art. 27 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist für sich genommen oder in Verbindung mit den Bestimmungen der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft dahin auszulegen, dass er, wenn eine nationale Bestimmung zur Umsetzung dieser Richtlinie, wie Art. L. 1111-3 des französischen Arbeitsgesetzbuchs, mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten nicht geltend gemacht werden kann, um diese nationale Bestimmung unangewendet zu lassen.

--- Bundesarbeitsgericht

  • Die Zuordnung von Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit iSd Art 2 Nr 1 Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist auf die Verhältnisse in Deutschland übertragbar. Um dies feststellen zu können, bedarf es keines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof.
         Nach dem Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994 ist Bereitschaftsdienst nicht als Arbeitszeit anzusehen. Dies ergibt sich zwingend aus § 5 Abs 3, § 7 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes. Ein der Richtlinie 93/104/EG entsprechendes anderes Verständnis ist auch im Wege der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nicht möglich.
         Hat der nationale Gesetzgeber eine europäische Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kommt eine unmittelbare Geltung und ein darauf beruhender Anwendungsvorrang der Richtlinie nur vertikal im Verhältnis zwischen Bürgern und öffentlichen Stellen, nicht auch horizontal im Verhältnis Privater untereinander in Betracht.

Folgen von Verstößen

  • Solange es keine angemessenen Durchführungsmaßnahmen zu Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 gibt, hat im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch den Staat die durch diese Diskriminierung benachteiligte Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Leistungsempfänger, wobei diese Regelung mangels einer ordnungsgemässen Durchführung dieser Richtlinie das einzig gültige Bezugssystem bleibt.
  • Im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags haben die Angehörigen der benachteiligten Gruppe, sei es die der Männer oder der Frauen, entsprechend dem Umfang ihrer Beschäftigung Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Arbeitnehmer, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag nicht ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht umgesetzt ist, daß einzig gültige Bezugssystem bleibt.
  • Im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags ist das nationale Gericht verpflichtet, diese Bestimmung - ohne daß es ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder auf anderem Wege beantragen oder abwarten müsste - ausser Anwendung zu lassen und auf die Angehörigen der durch diese Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die übrigen Arbeitnehmer anzuwenden, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.
  • Im Falle eines Verstoßes gegen eine Richtlinie durch gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen, die eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, sind die nationalen Gerichte gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie diese Regelungen zugunsten der benachteiligten Gruppe anwenden, ohne die Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise zu beantragen oder abzuwarten.
  • Die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats sind verpflichtet, aufgrund eines auf ein Vorabentscheidungsersuchen ergangenen Urteils, aus dem sich die Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht ergibt, die allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Beachtung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, indem sie insbesondere dafür sorgen, dass das nationale Recht so schnell wie möglich mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang gebracht und den Rechten, die dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen, die volle Wirksamkeit verschafft wird.
         Ist eine gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden, so ist das nationale Gericht, solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Aufhebung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt.
  • Wenn eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels gegen die Richtlinie 2000/78 verstößt, muss das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und einem Verwaltungsorgan wie dem Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe anhängig ist, diese Regelung selbst dann unangewendet lassen, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassen wurde und das nationale Recht die Nichtanwendung einer solchen Regelung nicht vorsieht.
  • Es obliegt dem nationalen Gericht, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 sicherzustellen, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, unabhängig davon, ob es von seiner Befugnis Gebrauch macht, in den Fällen des Art. 267 Abs. 2 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung um Auslegung dieses Verbots zu ersuchen.
    • EuGH (Große Kammer), Urt. v. 19.01.2010 - C-555/07 (Rs. Kücükdeveci) - NJW 2010, 427, m. Anm. Link, Lara, 430; Aufs. Mörsdorf, Oliver, 1046; NZA 2010, 85, m. Aufs. Preis, Ulrich/Temming, Felipe, 185; DB 2010, 228; BB 2010, 510, m. Aufs. Kolbe, Sebastian, 501; ZIP 2010, 196, m. Anm. Thüsing, Gregor, 199, m. Aufs. Bauer, Jobst-Hubertus/Medem, Andreas von, 449; ZTR 2010, 144 ; BetrAV 2010, 168; EuZW 2010, 177, m. Anm. Schubert, Jens. M, 180; EuGRZ 2010, 62; DVBl 2010, 305; Aufs. Steinau-Steinrück, Robert von/ Mosch, Ulrich, NJW spezial 2010, 114; Anm. Joost, Detlev, EWiR EuGH § 622 BGB 1/10, 179 
      Schlussanträge von Generalanwalt Yves Bot v. 07.07.2009; ZIP 2009, 1483, m. Anm. Mörsdorf, Oliver, 1491; Anm. Schubert, Claudia, EWiR Art. 6 RL 2000/78/EG 1/09, 519
    • ebenso
    • EuGH, Urt. v. 09.03.1978 - 106/77 (Rs. Simmenthal); Slg 1978, 629; NJW 1978, 1741; JZ 1978, 512; DB 1978, 2108; RIW 1978, 533, m. Aufs. Eugen Spetzler, RIW 1990, 286; HFR 1978, Nr 465; EuGRZ 1978, 190; EuR 1979, 277, m. Aufs. Hans-Peter Ipsen, 223; Aufs. Robert Koch, EuZW 1995, 78
    • EuGH (Erste Kammer), Urt. v. 06.03.2014 -C 595/12 (Rs. Napoli) Rn. 50

Nationale Ausschlussfristen

EuGH:

  •      Zwar hat der Gerichtshof in Randnummer 23 seines Urteils vom 25.07.1991 in der Rechtssache Emmot (C-208/90, Slg. 1991, I-4269) festgestellt, dass sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und dass eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann.
         Jedoch ergibt sich aus dem Urteil vom 27. 10.1993 in der Rechtssache Steenhorst-Neerings ( C-338/91, Slg. 1993, I-5475), wie auch durch das Urteil vom 06.12.1994 in der Rechtssache Johnson (C-410/92, Slg. 1994, I-5483, Rn. 26) bestätigt worden ist, dass die Entscheidung in der Rechtssache Emmott durch die besonderen Umstände dieses Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen.
         Somit ist auf die siebte Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht es bei seinem derzeitigen Stand einem Mitgliedstaat, der die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, nicht verwehrt, sich gegenüber Klagen auf Erstattung richtlinienwidrig erhobener Abgaben auf eine nationale Verjährungsfrist, die vom Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Forderungen an läuft, zu berufen, sofern diese Frist für die Geltendmachung auf Gemeinschaftsrecht gestützter Ansprüche nicht ungünstiger ist als für die Geltendmachung auf nationales Recht gestützter Ansprüche und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.
    • EuGH, Urt. v. 02.12.1997 - C-188/95 (Rs. Fantask), Rn. 49-51; Slg 1997, I-6783; NVwZ 1998, 833; ZIP 1998, 206; WM 1998, 2193; NZG 1998, 274; HFR 1998, 234; ZNotP 1998, 204; EuZW 1998, 172  
  • Nach ständiger Rechtsprechung sind mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
    • EuGH (Erste Kammer), Urt. v. 30.06.2011 - C-262/09 (Rs. Meilicke u.a.), Rn. 55; Slg 2011, I-5669; BB 2011, 2148, m. Anm.  Martin Ribbrock, 2151; RIW 2011, 648; ZIP 2012, 24; GmbHR 2011, 875, m. Anm. Helmut Rehm/Jürgen Nagler, 881; DStR 2011, 1262; HFR 2011, 1054; SteuK 2011, 306, m. Anm. Hatto Reichelt, 306, u. Aufs.  Hatto Reichelt, 471; BFH/NV 2011, 1467; EuZW 2011, 642; EWS 2011, 303; Anm. Jan de Weerth, DB 2011, 1617; Anm. Heinz Neu, EFG 2012, 982, u. Aufs. Jürgen Hoffmann, EFG 2012, 1161; Anm.Jürgen Dräger, StBW 2011, 680, u. Aufs. Sabine Sydow, NWB 2012, 2842
    • EuGH (Fünfte Kammer), Urt. v. 18.10.2012 - C-603/10 (Rs. Pelati), Rn. 23; NZA 2014, 831, m. Bespr. Stefan Lingemann, 827; NVwZ 2014, 1294, m. Anm. Matthias Pechstein, 1301; ZTR 2014, 501; ZBR 2014, 306, m. Anm. Gerrit Forst, 312; RiA 2014, 216, m. Anm. Stefan Braun, 225
    • EuGH (Zweite Kammer) Urt. v. 19.06.2014 - C-501/12 u.a. (Rs. Specht u.a.), Rn. 112; NZA 2014, 831, m. Anm. Stefan Lingemann, 827; ZTR 2014, 501; NVwZ 2014, 1294; ZBR 2014, 306, m. Anm. Gerrit Forst, 312; RiA 2014, 216, m. Anm. Stefan Braun, 225; EuZW 2014, 749, Aufs.  Julian Wonka, DVBl 2015, 79;  Bespr. Manfred Löwisch, EuZA 2015, 83
  • Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. 
  • Das Unionsrecht steht einer nationalen Vorschrift wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der ein Beamter Ansprüche auf Geldleistungen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, zeitnah, nämlich vor dem Ende des laufenden Haushaltsjahrs, geltend machen muss, nicht entgegen, wenn diese Vorschrift weder gegen den Äquivalenzgrundsatz noch gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in den Ausgangsverfahren erfüllt sind.
  • Der Grundsatz der Effektivität ist dahin auszulegen, dass er es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht verbietet, dass eine im nationalen Recht bestimmte Frist für die Verjährung von im Unionsrecht begründeten Ansprüchen vor dem Tag der Verkündung eines Urteils des Gerichtshofs, das die Rechtslage auf dem betreffenden Gebiet klärt, zu laufen beginnt.

BVerfG:
  • Der Gesetzgeber ist verpflichtet, rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft mit Wirkung zum 1. August 2001 eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die allen verpartnerten Beamten, die ihre Ansprüche auf Familienzuschlag zeitnah geltend gemacht haben, einen Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags ab dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Beanspruchung einräumt.
    • BVerfG, Beschl. v. 19.06.2012 - 2 BvR 1397/09, Rn. 79 ff.; BVerfGE 131, 239; FamRZ 2012, 1472, m. Anm. Herbert Grziwotz, 407; EuGRZ 2012, 547; FuR 2012, 538;  NVwZ 2012, 1304; ZBR 2013, 31; ZTR 2012, 667; Streit 2012, 119; Aufsatz Regina Bömelburg, NJW 2012, 2753; Aufs. Alfred Kruhl, StBW 2013, 610; Besprechung Anne Sanders, FF 2012, 391; Besprechung Michael Sachs, JuS 2013, 758

Verwaltungsgerichte:
  • 1.     Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Gesichtspunkt der "zeitnahen Geltendmachung" von Besoldungsansprüchen ist kein allgemeines, das wechselseitige Verhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten gewissermaßen überwölbendes, für jegliche Fallgestaltungen geltendes Prinzip, sondern eine Ermächtigung an den Gesetzgeber, die von diesem in Erfüllung des besoldungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts erst in positives Recht umgesetzt werden muss.
    2.     Ohne diese Umsetzung kann der Gesichtspunkt der „zeitnahen Geltendmachung“ gegen Forderungen auf Nachzahlung nicht als Einrede ins Feld geführt werden.
    3.     Der Gesetzgeber ist zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, die rückwirkende Begünstigung demjenigen Personenkreis vorzuenthalten, der seine Ansprüche nicht zeitnah geltend gemacht hat.

  • Für die Geltendmachung des Familienzuschlags reicht es aus, dass Lebenspartner ihrer Besoldungsstelle die Erklärung zum Familienzuschlag übersandt haben. Auf den Zeitpunkt einer gerichtlichen Geltendmachung kommt es nicht an.
  • Das Bundesministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 29.10.2013 angeordnet, dass die Besoldungsstellen allen offenen Anträgen von Beamten, Soldaten und Richtern in Lebenspartnerschaften auf besoldungs- und versorgungsrechtliche Leistungen für unverjährte Zeiträume ab 01.08.2001 entsprechen sollen, auch soweit sie von den gesetzlichen Regelungen nicht abgedeckt werden.
  • 1.     Wenn die Besoldung eines Beamten gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstößt, hat der Beamte Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
    2.     § 15 AGG kommt als Grundlage für einen Anspruch auch dann in Betracht, wenn die Benachteiligung aus dem korrekten Vollzug einer gesetzlichen Regelung resultiert.
    3.     Die Regelung in § 24 Nr. 1 AGG, wonach die Vorschriften des Gesetzes unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für Beamte gelten, führt nicht dazu, dass wegen des im Besoldungsrecht geltenden strikten Gesetzesvorbehalts (§ 2 Abs. 1 BBesG) die gesetzeskonforme Berechnung der Bezüge der Beamten keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG darstellt.
    4.     Resultiert der Anspruch nach § 15 AGG aus einer den Beamten diskriminierenden Besoldungsregelung, so richtet sich der Anspruch auch dann gegen den Dienstherrn als Arbeitgeber, wenn dieser nicht die Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung besitzt.
    5.     Der für § 15 Abs. 2 AGG erforderliche immaterielle Schaden liegt regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor.
    6.     Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist verschuldensunabhängig.
    7.     Für die Wahrung der zweimonatigen Ausschlussfrist gemäß § 15 Abs. 4 AGG genügt die schriftliche Geltendmachung des vorenthaltenen Besoldungsanspruchs.
    8.     Das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung ist erfüllt, wenn der Dienstherr aus dem Schreiben die Auffassung des Beamten entnehmen kann, wegen des Verhaltens des Dienstherrn bestünden Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Dafür genügt es, dass der Dienstherr durch das Schreiben über etwaige Ansprüche in Kenntnis gesetzt wird und die Möglichkeit erhält, Beweise zu sichern und rechtzeitig Rücklagen zu bilden. Ohne Bedeutung ist, dass sich der Kläger im behördlichen wie im gerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich auf § 15 AGG als Anspruchsgrundlage berufen hat.
    9.     Ist eine Rechtslage unsicher und unklar, beginnt auch die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG erst mit der objektiven Klärung der Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung.
    10.    Hat der Beamte die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG gewahrt, ist der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von nicht unmittelbar durch Gesetz begründeten Ansprüchen nicht ergänzend anwendbar.
    11.    Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG steht dem Beamten ab der zweiten Hälfte des Monats August 2006 zu.
    12.    Bei dem Entschädigungsanspruch geht es wie beim Schmerzensgeld um eine Entschädigung für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist. In der Regel ist eine Entschädigung von 100 €/Monat angemessen.
  • 1.     Der richterrechtlich entwickelte Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von (hier: aus dem Unionsrecht abgeleiteten) Ansprüchen ist nicht ergänzend anwendbar, wenn sowohl der Anspruch, dessen sich der Kläger berühmt, als auch eine Ausschlussfrist für dessen Geltendmachung gesetzlich geregelt sind (hier entschieden zu § 12 Abs. 3 SoldGG; wie Urteil des Senats vom 30. Oktober 2014 - BVerwG 2 C 6.13 - Rn. 55).
    2.     Es bleibt offen, ob die Bereichsausnahme nach Art. 3 Abs. 4 der RL 2000/78/EG auch die Besoldung der aktiven Soldaten erfasst.
  • Siehe zu den vorstehenden Urteilen des BVerwG v. 30.10.2014 auch das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern v. 21.4.2015 - D3 - 30200/118#4.
  • 1.     Die Kausalität zwischen dem Merkmal der sexuellen Orientierung der Beamtin und der Nichtzahlung des Familienzuschlags kann nicht mit dem Argument verneint werden, die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 sei nicht aufgrund der sexuellen Identität der Beamtin unterblieben, sondern weil sie zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen der vorhandenen gesetzlichen Regelungen (weil sie nicht verheiratet ist) nicht erfüllt habe.
    2.     In der Ablehnung eines Anspruchs auf Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 bei verpartnerten Beamten ist eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung zu sehen.
    3.     Es ist allerdings zweifelhaft, ob damit bereits die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG vorliegen.
    4.     Die Angemessenheit der Höhe der Entschädigung steht im Ermessen des Gerichts.
    5.     Eine Entschädigung ist nicht angemessen, wenn erhebliche entschädigungsmindernde Umstände, wie hier die rückwirkende Angleichung an die höhere Besoldung durch Zahlung des Familienzuschlags, eine fehlende Verantwortlichkeit der Behörde, das Fehlen einer Ungleichbehandlung im Dienst, der hinreichend gegebene Anreiz für den Dienstherrn, zu einem dem Entgeltgleichheitsgebot konformen Verhalten überzugehen, vorliegen. 
  • 1.      Den Beamten und Richtern Bremens steht aufgrund der altersdiskriminierenden Besoldung ein Schadensersatzanspruch sowohl nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch zu.
    2.      Die für Ansprüche nach dem AGG geltende zweimonatige Ausschlussfrist ist auf den unionsrechtlichen Haftungsanspruch nicht anwendbar. Für die nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch erst ab September 2011 bestehenden Ansprüche gelten die normalen Verjährungsfristen, d. h. der Anspruch ist innerhalb von drei Jahren geltend zu machen. Für die Geltendmachung ist es nicht ausreichend, eine nicht amtsangemessene Besoldung zu rügen. Der Beamte oder Richter muss erklären, dass er die Staffelung des Gehalts nach dem Lebensalter beanstandet.
    3.      Die Höhe des Schadensersatzes ist für alle Beamten und Richter gleich. Er beträgt bis Dezember 2011 monatlich 100 Euro, von Januar bis Dezember 2012 monatlich 200 Euro und von Januar bis Dezember 2013 monatlich 300 Euro. Grund für die steigende Höhe ist, dass das Land Bremen erst zum Januar 2014 das Besoldungssystem verändert hat, obwohl seit September 2011 aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs der Verstoß des bremischen Besoldungsrechts gegen das Europarecht erkennbar gewesen ist.

Schadensersatz

--- Europäischer Gerichtshof

  • Ein Mitgliedstaat hat die Schäden zu ersetzen, die den Einzelnen dadurch entstehen, dass eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in nationales Recht ungesetzt worden ist, sofern drei Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Bürger sein. Sodann muss der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Schließlich muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.
    • EuGH, Urt. v. 19.11.1991 C-6 u. 9/90 (Andrea Francovich u.a.); Slg. 1991, I-5357; NJW 1992, 165; JZ 1992, 305; DVBl. 1992, 1017; DB 1992, 423; ZfSH/SGB 1992, 142; RIW 1992, 243; EuR 1992, 75; EuZW 1991, 758; EuGRZ 1992, 60
    • EuGH, Urt. v. 16.12.1993 - C-334/92 (Rs. Wagner Miret); Slg. 1993, I-6911; NJW 1994, 921; EuZW 1994, 182; ZEuP 1995, 105
    • EuGH, Urt. 14.07.1994 - Rs 91/92 (Rs. Faccini Dori); Slg. 1994 I-3325; NJW 1994, 2473; DVBl. 1994, 1124; JZ 1995, 149; EuZW 1994, 498; ZEuP 1996, 117
    • EuGH, Urt. 24.09.1998 - C-319/96 (Rs. Brinkmann Tabakfabriken); Slg. 1998, I-5255; EuZW 1998, 658; RIW 1999, 70
  • Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem einzelnen durch diesen Staaten zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ist auch dann anwendbar, wenn der zur Last gelegte Verstoß dem nationalen Gesetzgeber zuzuschreiben ist.
         Der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein. Das ist der Fall, wenn ein Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat.
         Insoweit gehören zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschriften, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden.
    • EuGH, Urt. v. 05.03.1996 - C-46 u. 48/93 (Rs. Brasserie du Pêcheur u. Factortame); Slg. 1996, I-1029; NJW 1996, 1267; JZ 1996, 789; DVBl. 1996, 427; DB 1996, 619; MDR 1996, 342; EuZW 1996, 205
    • EuGH, Urt. v. 23.05.1996 - C-5/94 (Rs. Hedley Lomas); Slg. 1996, 2553; DB 1996, 1613; EuZW 1996, 435;
    • EuGH, Urt. v. 26.03.1996 - C-392/93 (British Telecommunications); Slg. 1996, I-1631; EuZW 1996, 274; CR 1996, 689
  • Die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts kann genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen, wenn der betreffende Mitgliedstaat zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung nicht zwischen verschiedenen gesetzgeberischen Möglichkeiten zu wählen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Ermessenspielraum verfügte.
         Trifft also ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen § 189 Abs. 3 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 249 Abs. 3 EG) innerhalb der in einer Richtlinie gesetzten Frist keinerlei Maßnahmen, obwohl dies zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgeschriebenen Zieles erforderlich wäre, so überschreitet er offenkundig und erheblich die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind.
    • EuGH, Urt. v. 23.05.1996 - C-5/94 (Rs. Hedley Lomas); Slg. 1996, 2553; DB 1996, 1613; EuZW 1996, 435;
    • EuGH, Urt. v. 08.10.1996 - C-178, 179, 188, 189 u. 190/94 (Rs. Dillenkofer u.a.); Slg. 1996, I-4845; NJW 1996, 3141; DVBl. 1997, 111; JZ 1997, 198; DB 1996, 2218; MDR 1997, 41; EuGRZ 1996, 450; EuZW 1996, 654
  • Das nationale Gericht kann im Rahmen des von ihm angewandten nationalen Rechts den Ersatz des Schadens nicht davon abhängig machen, dass den staatlichen Amtsträger, dem der Verstoß zuzurechnen ist, ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft, das über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht.
    • EuGH, Urt. v. 05.03.1996 - C-46 u. 48/93 (Rs. Brasserie du Pêcheur u. Factortame); Slg. 1996, I-1029; NJW 1996, 1267; JZ 1996, 789; DVBl. 1996, 427; DB 1996, 619; MDR 1996, 342; EuZW 1996, 205
    • EuGH, Urt. v. 08.10.1996 - C-178, 179, 188, 189 u. 190/94 (Rs. Dillenkofer u.a.); Slg. 1996, I-4845; NJW 1996, 3141; DVBl. 1997, 111; JZ 1997, 198; DB 1996, 2218; MDR 1997, 41; EuGRZ 1996, 450; EuZW 1996, 654
  • Im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie 80/987 hängt die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats von der Feststellung ab, dass dieser Staat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt waren, offenkundig und erheblich überschritten hat.
  • Der von den Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz der Schäden, die sie dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht haben, muss dem erlittenen Schaden angemessen sein. Soweit es auf diesem Gebiet keine Gemeinschaftsvorschriften gibt, ist es Sache der nationalen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Kriterien festzulegen, anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden kann, wobei diese Kriterien nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden, auf nationales Recht gestützten Ansprüchen; auch dürfen sie keinesfalls so ausgestaltet sein, dass die Entschädigung praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist.
         Eine nationale Regelung, die den ersatzfähigen Schaden generell auf die Schäden beschränken würde, die an bestimmten, besonders geschützten individuellen Rechtsgütern entstehen, wobei der entgangene Gewinn des einzelnen ausgeschlossen wäre, ist unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht.
         Im übrigen muss besonderer Schadensersatz wie der im englischen Recht vorgesehene "exemplarische" Schadensersatz gewährt werden können, wenn er, gestützt auf das Gemeinschaftsrecht - gegebenenfalls auch in Form einer Klage - geltend gemacht wird, sofern ein solcher auf nationales Recht gestützter Schadensersatz zugesprochen würde.
         Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden, die dem einzelnen durch diesen Staaten zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, kann nicht auf die Schäden beschränkt werden, die nach Erlass eines Urteils des Gerichtshofes, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, eingetreten sind.
    • EuGH, Urt. v. 05.03.1996 - C-46/93 (Rs. Brasserie du Pêcheur u. Factortame); Slg. 1996, I-1029; NJW 1996, 1267; JZ 1996, 789; DVBl. 1996, 427; DB 1996, 619; MDR 1996, 342; EuZW 1996, 205
  • Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ist auch dann anwendbar, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht, sofern die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.
         Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, muss das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig ist.
         Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen Schadensersatz zuständig ist.
    • EuGH, Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 (Rs. Köbler) - Schlußanträge; Slg. I-10239; NJW 2003, 3539, m. Aufs. Kremer, Carsten, NJW 2004, 480; JZ 2004, 295, m. Anm. Danwitz, Thomas von, 301; DVBl. 2003, 1516, m. Anm. Frenz, Walter, 1522, und Aufsatz Kluth, Winfried, 393; NVwZ 2004, 79 m. Aufs. Radermacher, Ludger, 1415; DB 2003, 2331; DStRE 2003, 1471; EuZW 2003, 718, m. Anm. Obwexer, Walter, 726; EuR 2004, 71, m. Anm. Wegener, Bernhard W., 84; BayVBl. 2004, 688, m. Aufs. Grune, Jeanette, 673; EuGRZ 2003, 597; ZEuP 2004, 1049, m. Anm. Schulze, Götz, 1051; Aufs. Krieger, Heike, JuS 2004, 855
  • Das Gemeinschaftsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die allgemein die Haftung des Mitgliedstaats für Schäden ausschließen, die dem Einzelnen durch einen einem letztinstanzlichen Gericht zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, wenn sich dieser Verstoß aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts? und Beweiswürdigung durch dieses Gericht ergibt.
         Das Gemeinschaftsrecht steht ferner nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die diese Haftung auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzen, sofern diese Begrenzung dazu führt, dass die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats in weiteren Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein offenkundiger Verstoß gegen das anwendbare Recht im Sinne der Randnummern 53 bis 56 des Urteils vom 30. September 2003 in der Rechtssache C?224/01 (Köbler) begangen wurde.
  • Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, dass die in der nationalen Regelung vorgesehene Verjährung des Staatshaftungsanspruchs wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht während eines von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 226 EG anhängig gemachten Vertragsverletzungsverfahrens unterbrochen oder gehemmt wird.
         Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es nicht, die Verjährungsfrist für einen Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie zu dem Zeitpunkt in Lauf zu setzen, in dem die ersten Schadensfolgen der fehlerhaften Umsetzung eingetreten und weitere Schadensfolgen absehbar sind, selbst wenn dieser Zeitpunkt vor der ordnungsgemäßen Umsetzung dieser Richtlinie liegt.
         Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der ein Einzelner keinen Ersatz für einen Schaden verlangen kann, bei dem er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, ihn durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, vorausgesetzt, dass der Gebrauch dieses Rechtsmittels dem Geschädigten zumutbar ist; es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies anhand aller Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das nationale Gericht nach Art. 234 EG ein Vorabentscheidungsersuchen stellt, oder eine beim Gerichtshof anhängige Vertragsverletzungsklage lassen für sich genommen nicht den Schluss zu, dass der Gebrauch eines Rechtsmittels unzumutbar ist.
  • Das Unionsrecht steht der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach eine Staatshaftungsklage, die auf eine in einem Urteil des Gerichtshofs gemäß Art. 226 EG festgestellte Verletzung des Unionsrechts durch ein nationales Gesetz gestützt wird, nur Erfolg haben kann, wenn der Kläger zuvor alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat, die auf die Anfechtung der Gültigkeit des auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassenen beschwerenden Verwaltungsakts gerichtet sind, während eine solche Regelung nicht für eine Staatshaftungsklage gilt, die darauf gestützt wird, dass das zuständige Gericht das betreffende Gesetz für verfassungswidrig erklärt hat.
  • Das Unionsrecht steht einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegen, nach der die Geltendmachung von Ansprüchen auf besondere Dienstalterszulagen, die einem von seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch machenden Arbeitnehmer vor Erlass des Urteils vom 30.09.2003, Köbler (C-224/01), aufgrund der Anwendung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften vorenthalten wurden, einer Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt.
  • 1.     Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift entgegensteht, aufgrund deren die unterschiedliche Lebenserwartung für Männer und Frauen als versicherungsmathematisches Kriterium für die Berechnung der infolge eines Arbeitsunfalls zu zahlenden gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen der sozialen Sicherheit herangezogen wird, wenn bei Verwendung dieses Kriteriums die an einen Mann zu zahlende einmalige Entschädigungsleistung niedriger ausfällt als die Entschädigung, die eine gleichaltrige Frau erhalten würde, die sich im Übrigen in einer vergleichbaren Situation befindet.
    2.     Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für eine Haftung des Mitgliedstaats erfüllt sind. Im Hinblick auf die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung einen „hinreichend qualifizierten“ Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, wird dieses Gericht u. a. zu berücksichtigen haben, dass sich der Gerichtshof noch nicht dazu geäußert hat, ob bei der Bemessung einer Leistung, die nach dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem gezahlt wird und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt, ein auf die durchschnittliche Lebenserwartung je nach dem Geschlecht gestützter Faktor berücksichtigt werden darf. Das vorlegende Gericht wird ebenso der den Mitgliedstaaten vom Unionsgesetzgeber eingeräumten Möglichkeit, die in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie in Art. 9 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen Ausdruck gefunden hat, Rechnung zu tragen haben. Im Übrigen wird es zu berücksichtigen haben, dass der Gerichtshof am 1. März 2011 (C?236/09, EU:C:2011:100) entschieden hat, dass die erste dieser Bestimmungen ungültig ist, da sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen verstößt.

--- Bundesgerichtshof

  • Unter den Voraussetzungen des § 839 Abs. 3 BGB tritt auch eine Ersatzpflicht nach einem gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruch nicht ein.
  • Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden.
         Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist.
    • BGH, Urt. v. 26.11.2008 - VIII ZR 200/05; BGHZ 179, 27; NJW 2009, 427, m. Aufs. Pfeiffer, Thomas, 412, Aufs. Grosche, Nils, u. Höft, Jan, 2416; JZ 2009, 518, m. Anm. Gsell, Beate, 522; HFR 2009, 717; JR 2010, 22, m. Anm. Röthel, Anne, 26
  • Ob ein Verstoß eines Mitgliedstaates gegen Europäisches Gemeinschafts-recht - als Voraussetzung für einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-tungsanspruch - hinreichend qualifiziert ist, hat der Tatrichter unter Be-rücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere an Hand der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entwickelten Leitlinien festzustellen.
         Mit der Inkraftsetzung der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht von Einweggetränkeverpackungen zum 1. Januar 2003 ist der Bundesrepublik Deutschland kein qualifizierter Verstoß gegen die Verpackungsrichtlinie 94/62/EG vom 20. Dezember 1994 und gegen Art. 28 EG unterlaufen.
  • Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht entgegen, wenn dem Geschädigten der Gebrauch des Rechtsmittels zumutbar ist (Fortführung des Senatsurteils BGHZ 156, 294). Die Zumutbarkeit des Rechtsmittels ist nicht deshalb zu verneinen, weil es möglicherweise Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gibt oder dieser mit einer Vertragsverletzungsklage befasst ist.
         Ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG kann wegen seiner Besonderheiten nicht der Inanspruchnahme fachgerichtlichen Primärrechtsschutzes gleichgestellt werden und berührt den Lauf der Verjährungsfrist auch dann nicht, wenn es an einem zumutbaren innerstaatlichen Rechtsbehelf fehlt.
         Da es für die Frage der Verjährung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs bis zur Neuregelung des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum keine weitgehend einhellige Auffassung für die Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. gegeben hat, die eine revisionsrechtliche Klärung der Frage hätte entbehrlich machen können, gebieten die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität die Anwendung der Regelverjährung nach § 195 BGB a.F.
         Verletzt der Mitgliedstaat das Gemeinschaftsrecht, indem er über mehrere Jahre die volle Umsetzung einer Richtlinie unterlässt, ist es auf den Lauf der Verjährungsfrist ohne Einfluss, zu welchem Zeitpunkt der Mitgliedstaat seinen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht beendet.

--- andere Zivilgerichte

  • Deutschland hat zwar die Richtlinie 2000/43/EG nicht rechtzeitig bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 19.07.2003 umgesetzt. Daraus kann aber bei einer Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Zugang zur Beschäftigung nach Ablauf der Umsetzungsfrist und vor dem Inkraftreten des Allgemeinen Gleichbehandlusgesetzes kein aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteter Staashaftungsanspruch hergeleitet werden.
         Die Richtlinie 2000/43EG beinhaltet zwar die Verleihung von Rechten an Einzelne, der Inhalt des fraglichen Rechts bei einer Diskriminierung kann aber nicht allein auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden.
         Die Richtlinie belässt den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Art der Sanktionen Wahlfreiheit.
    • KG, Urt. v. 06.02.2009 - 9 nU 10/08; NVwZ 2009, 1445
       

Verspätete Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG

  • Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft verstoßen, dass sie nicht innerhalb der gesetzten Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.
  • Ebenso für die Richtlinie 2000/78/EG