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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Andere Rechtsgebiete - Teil III

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Sterbehilfe, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

EMRK:

  • Aus Art. 2 EMRK kann kein Recht auf den Tod, weder von privater Hand noch mit der Hilfe eine Behörde abgeleitet werde.
         Aus 3 EMRK erwächst keine positive Schutzpflicht, die von der verantwortlichen Regierung verlangt, dem Ehegatten eines unheilbar Kranken für die Mithilfe an dessen Selbstmord Straffreiheit zuzusichern oder eine gesetzliche Möglichkeit für irgendeine andere Form der Sterbehilfe einzuräumen.
         Das generelle Verbot der Sterbehilfe ist in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
  • 1.     Der langjährige Ehemann einer Frau, die an einer kompletten sensorischen Querschnittslähmung litt, künstlich beatmet wurde und auf ständige Aufsicht und medizinische Pflege angewiesen war und den nachhaltigen Wunsch geäußert hatte, ihrem Leben zu Hause in Anwesenheit des Ehemannes ein Ende zu setzen, ist in seinem Recht auf Achtung seines Privatlebens i.S.d. Art. 8 EMRK verletzt, wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Antrag der Ehefrau auf Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Medikamentendosis ablehnt, und die deutschen Verwaltungsgerichte sich weigern, die nach dem Suizid der Ehefrau in der Schweiz erhobene Klage des Ehemanns gegen die Entscheidung des Bundesinstituts der Sache nach zu prüfen. Dem Ehemann ist wegen der durch diese Entscheidungen erlittenen immateriellen Nachteile ein Schadensersatzanspruch zuzubilligen (hier: 2.500 Euro).
    2.     Dagegen ist der Ehemann nicht befugt, die seiner verstorbenen Ehefrau aus Art. 8  EMRK zuerkannten Rechte geltend zu machen, weil diese Rechte unübertragbar sind.  
  • Die vom Arzt aufgrund des nationalen französischen Recht getroffene und vom Conseil d’État, dem obersten Verwaltungsgericht Frankreichs, gebilligte Entscheidung, die künstliche Ernährung eines komatösen Patienten abzubrechen (passive Sterbehilfe), verletzt nicht das durch Art. 2 EKMR geschützte Recht auf Leben.

Zivilgerichte:
  • Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein behandelnder Arzt, der seinen Patienten nach einem Selbstmordversuch bewusstlos antrifft, sich wegen eines Tötungsdelikts oder wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen kann, wenn er nichts zur Rettung seines Patienten unternimmt.
    • BGH, Urt. v. 04.07.1984 - 3 StR 96/94, BGHSt 32, 367; NJW 1984, 2639; NStZ 1985, 119; JZ 1984, 893; MDR 1984, 858; MedR 1985, 40 
  • Ein im Sterben liegender Mensch, der aus eigener Kraft nicht mehr weiterleben und dessen Tod nur noch mit Hilfe technischer Geräte hinausgezögert werden kann, kann verlangen, dass solche Maßnahmen unterbleiben oder abgebrochen werden. Jemand, der diesem Verlangen nachkommt, gleichgültig, ob durch Unterlassen oder aktives Tun, tötet nicht (auf Verlangen), sondern leistet Beihilfe im Sterben.
    • LG Ravensburg, Urt. 03.12.1986 - 3 KLs 31/86, NStZ 1987, 229; MDR 1987, 692; JZ 1988, 207; MedR 1987, 196 
  • Zur Problematik der Tätigkeitspflicht des Arztes gegenüber seinem bewusstlosem Suizidpatienten.
    • BGH, Urt. v. 08.07.1987 - 2 StR 298/97, NJW 1988, 1532; NStZ 1988, 127; MDR 1988, 243 
  • Auch bei aussichtsloser Prognose darf Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, sondern nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen geleistet werden, um dem Sterben - ggf. unter wirksamer Schmerzmedikation - seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen.
    • BGH, Urt. v. 08.05.1991 - 3 StR 467/90, BGHSt 37, 376; NJW 1991, 2357; StV 1991, 347; NStZ 1992, 34; MDR 1991, 656; JR 1993, 167 
  • Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken.
         An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an.
    Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder einer anderer beteiligten Person.
    • BGH, Urt. v. 13.09.1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257; NJW 1995, 204; NStZ 1995, 80; MDR 1995, 80; JR 1995, 335; MedR 1995, 72
  • Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann ( im Anschluss an BGHSt 37, 376).
    • BGH, Urt. v. 15.11.1996 - 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301; NJW 1997, 807; NStZ 1997, 182; JR 1998, 159; JuS 1997, 661; MedR 1997, 271
  • Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in Form einer sog. Patientenverfügung - geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell - also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen - zu ermitteln ist.
         Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird - sei es dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist. Die Entscheidungszuständigkeit des Vormundschaftsgerichts ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts.
    • BGH, Beschl. v. 17.03.2003 - XII ZB 2/03; BGHZ 154, 205; NJW 2003, 1588; FamRZ 2003, 748; FPR 2003, 443; FuR, 2003, 469; JZ 2003, 732; JR 2003, 495; MDR, 2003, 691; DNotZ 2003, 850; ZNotP 2003, 308; RNotZ 2003, 255; FGPrax 2003, 161; BtPrax 2003, 123; NStZ 2003, 477; VersR 2003, 861; Rpfleger 2003, 354; MedR 2003, 512; Recht & Psychiatrie 2003, 153; FPR 2010, 285
      Hinweis: Zu dieser Entscheidung sind zahlreiche Anmerkungen und Aufsätze erschienen. Sie wurden hier nicht mit aufgenommen.
  • Wer infolge einer Täuschung durch das Opfer vorsatzlos aktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einer tatbestandslosen Selbstgefährdung teil.
  • Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht (im Anschluss an BGHZ 154, 205).
    • BGH, Beschl. v. 08.06.2005 - XII 177/03; BGHZ 163, 195; NJW 2005, 2385; FamRZ 2005, 1474, m. Anm. Bienwald, Werner, 1476; JZ 2006, 144, m. Anm. Höfling, Wolfram, 145; VersR 2005, 1249; GesR 2005, 476; BtPrax 2005, 190; DNotZ 2005, 924; NotBZ 2005, 325; ZNotP 2005, 468; MittBayNot 2006, 49, m. Anm. Albrecht, Andreas, 51; ZEV 2005, 485; MDR 2005, 1413; MedR 2005, 719
  • 1.   Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen  Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.
    2.   Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden.
    3.   Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich.
    • BGH, Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09; BGHSt 55, 191; NJW 2010, 2963; FamRZ 2010, 1551; JZ 2011, 532;  JR 2011, 32; NStZ 2010, 630; StV 2011, 277; NotBZ 2010, 45; DNotZ 2011, 342; BtPrax 2010, 226; MedR 2011, 32; ArztR 2011, 62; RuP 2010, 212; MittBayNot 2011, 125 
  • a)     Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Im Übrigen differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.
    b)     Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem "irreversibel tödlichen Verlauf" ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen kommt es nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung an (§ 1901 a Abs. 3 BGB).
    c)     Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter Rechnung zu tragen haben. Dabei ist nicht danach zu differenzieren, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht (Abgrenzung zu Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748).
    • BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - XII ZB 202/13; NJW 2014, 3572; FamRZ 2014, 1909, m. Anm. Andreas Spickhoff, 1913; JZ 2015, 39; ZNotP 2014, 348; DNotZ 2015, 47; BtPrax 2014, 268; NZFam 2014, 988, n. Anm. Thomas Stein, 993; Rpfleger 2015, 18; MDR 2014, 1319; PKR 2014, 106; ZfL 2014, 57; Anm.  Thomas Stein, NZFam 2014, 993, und Matthias Locher, FamRB 2015, 22
  • a)     Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.
    b)     Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.
    c)     Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
    • BGH, Beschl. v. 06.07.2016 - XII ZB 61/16 NJW 2016, 3297; FamRZ 2016, 1671; FuR 2016, 714; MDR 2016, 1087; BtPrax 2016, 187; GesR 2016, 592; MedR 2017, 36; PflR 2016, 658; RuP 2016, 261; ArztR 2016, 285; DNotZ 2017, 199; ZNotP 2016, 413; RNotZ 2016, 587; BWNotZ 2016, 114; ZErb 2016, 330; ZEV 2016, 649; ErbR 2016, 632; Rpfleger 2016, 723; ASR 2016, 195; ZfL 2016, 107. Zu dieser Entscheidung sind viele Aufsätze, Besprechungen und Anmerkungen erschienen, die wir nicht dokumentiert haben.
  • a)     Eine Patientenverfügung entfaltet nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sie neben den Erklärungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, auch erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll.
    b)     Die schriftliche Äußerung, dass "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.
    c)     Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch bei nicht hinreichend konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille des Errichters der Patientenverfügung ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671). 
    • BGH, Beschl. v. 08.02.2017 - XII ZB 604/15; BGHZ 214, 62; NJW 2017, 1737; FamRZ 2017, 748, m. Anm. Georg Dodegge, FamRZ 752; NZFam 2017, 355; MDR 2017, 462; BtPrax 2017, 120; PflR 2017, 302; ZEV 2017, 335; ErbR 2017, 336, m. Anm. Wolfgang Lange, 341; DNotZ 2017, 61; ZNotP 2017, 113; MittBayNot 2017, 386; GesR 2017, 520; RuP 2017, 170: Sozialrecht aktuell 2017, 106
  • a)     Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. In diesem Fall hat der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen, so dass eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich ist. Wird das Gericht dennoch angerufen, weil eine der beteiligten Personen Zweifel an der Bindungswirkung einer Patientenverfügung hat und kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, die auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, hat es auszusprechen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (sogenanntes Negativattest).
    b)     Nach der Rechtsprechung des Senats entfaltet eine Patientenverfügung allerdings nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sich feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei jedoch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Nicht ausreichend sind jedoch allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Auch die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung.
    c)     Die erforderliche Konkretisierung einer Patientenverfügung kann sich im Einzelfall bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748). 
  • 1.     Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten.
    2.      Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.
  • Bei einem Menschen, der Selbstmord begehen will und schon bewusstlos ist, braucht ein hinzukommender Arzt nicht zu versuchen, den Menschen zu retten.
    • BGH, Urt. v. 03.07.2019 - 5 StRb 132/18 - Pressemitteilung
    • BGH, Urt. v. 03.07.2019 - 5 StR 393/18

Verwaltungsgerichte:
  • Das Berliner Heilberuferecht enthält kein ausdrückliches Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid. Ein solches Verbot lässt sich allenfalls auf die gesetzliche Generalklausel zur gewissenhaften Berufsausübung in Verbindung mit der Generalklausel zur Beachtung des ärztlichen Berufsethos in der als Satzung erlassenen Berufsordnung der Ärztekammer Berlin stützen. 
         Dies genügt aber unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Berufsausübung und der Gewissensfreiheit des Arztes nicht als Rechtsgrundlage, um einem Arzt die Weitergabe todbringender Mittel an Sterbewillige generell zu untersagen. Der ärztlichen Ethik lässt sich kein klares und eindeutiges Verbot der ärztlichen Beihilfe zu Suizid in Ausnahmefällen entnehmen, in denen der Arzt einer Person, zu der er in einer lang andauernden, engen Arzt-Patient-Beziehung oder einer längeren persönlichen Beziehung steht, auf deren Bitte hin wegen eines unerträglichen, unheilbaren und mit palliativmedizinischen Mittel nicht ausreichend zu lindernden Leidens ein todbringendes Medikament verschreibt.
  • 1.     Der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung ist grundsätzlich nicht erlaubnisfähig.
    2.     Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.
    3.     Im Hinblick auf dieses Grundrecht ist § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG dahin auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.
    4.     Eine extreme Notlage ist gegeben, wenn - erstens - die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können, - zweitens - der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm - drittens - eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.
  • Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist die Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zu versagen, wenn sie nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Damit setzt die Erlaubniserteilung voraus, dass die Verwendung des beantragten Betäubungsmittels eine therapeutische Zielrichtung hat, also dazu dient, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Danach schließt § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erteilung einer Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich aus, weil sie mit dem Ziel des Betäubungsmittelgesetzes, die menschliche Gesundheit und das Leben zu schützen, nicht vereinbar ist. Dieser Gesetzeszweck rechtfertigt es auch verfassungsrechtlich, den Zugang zu einem Betäubungsmittel zu verbieten. Soweit von dem Verbot eine Ausnahme für schwer und unheilbar erkrankte Antragsteller zu machen ist, die sich in einer extremen Notlage befinden (vgl. Urteil vom 2. März 2017 - BVerwG 3 C 19.15), liegen diese Voraussetzungen bei den Klägern nicht vor.

Sozialgerichte:
  • Hinterbliebene, die einen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerechtfertigten Behandlungsabbruch vornehmen, können eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen. In einem solchen Ausnahmefall greift der gesetzliche Leistungsausschluss für Personen, die vorsätzlich den Tod des Versicherten herbeigeführt haben, nicht durch.

Strafrecht - § 130 StGB

  • Äußerungen sind geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (vgl. BVerfGE 124, 300 <335>). Die Äußerungen müssen über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt und geeignet sein, etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auszulösen (vgl. BVerfGE 124, 300 <333>).
  • Bei der Anwendung des § 130 StGB ist der objektive Sinn einer Äußerung zu ermitteln. Neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext sind hierbei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vor allem die äußeren Begleitumstände zu beachten. Eine mehrdeutige Äußerung (hier: T-Shirt-Aufdruck "REFUGEES NOT WELCOME" mit gleichzeitigem eine stilisierte Enthauptung wiedergebendem Piktogramm) erfüllt nur dann den Tatbestand der Volksverhetzung, wenn andere nicht völlig fern liegende Deutungen mit schlüssigen Argumenten auszuschließen sind.

Strafrecht - § 175 StGB a.F.

EGMR:


BVerfG:
  • 1.     Die Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität (§§ 175 f. StGB) verstoßen nicht gegen den speziellen Gleichheitssatz der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG, weil der biologische Geschlechtsunterschied den Sachverhalt hier so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten.
    2.     Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, daß jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.
    3.     Welche Folgen der Tod des Beschwerdeführers für ein anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren hat, läßt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art des angegriffenen Hoheitsaktes und des Standes des Verfassungsbeschwerdeverfahrens entscheiden.
  • Die Strafbarkeit homosexueller Handlungen von Männern über 18 Jahre mit Männern unter 18 Jahre ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Strafrecht - § 176 StGB

  • 1.     Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung führt nicht zu dem körperlichen Kontakt, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 3 StR 72/16, StV 2017, 39; Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490 und vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17).
    2.     Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen, da das Landgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat.
    3.     Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen und Drehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 72/16, StV 2017, 39).
    4.     Nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinneslust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). 

Strafrecht - § 182 StGB

  • § 182 Abs. 2 StGB und § 176 Abs. 1 StGB unterscheiden sich dadurch, dass bei sexuellem Missbrauch von Kindern die fehlende sexuelle Autonomie des Opfers unwiderleglich vermutet wird, während dieses Merkmal wegen des höheren Alters bei sexuellem Missbrauch von Jugendlichen im Einzelfall festgestellt werden muss.
    Der Schutzzweck des § 182 Abs. 2 StGB deckt sich mit des § 176 Abs. 1 StGB. Deshalb stehen beide Vorschriften in Gesetzeskonkurrenz; § 182 Abs. 2 StGB tritt zurück.
  • Der sexuelle Missbrauch von Jugendlichen steht auch in den Fällen des § 182 Abs. 1 StGB mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern in Gesetzeseinheit (im Anschluss an BGHSt 42, 27).
    • BGH, Urt. v. 28.02.1996 - 3 StR 309/95, BGHSt 42, 51; NJW 1996, 1762; NStZ 1996, 332; MDR 1996, 620
    • BGH, Beschl. v. 10.09.1996 - 1 StR 438/96, NStZ-RR 1997, 66
    •  BGH, Beschl. v. 18.04.2001, NJW 2001, 2186; NStZ 2001, 420
  • Wenn § 182 StGB mit § 176 Abs. 1 StGB zusammentrifft, darf die tateinheitliche Verwirklichung von zwei Tatbeständen nicht strafschärfend berücksichtigt werden, ohne dabei auf die Tatmodalitäten abzustellen.
    • BGH, Beschl. v. 10.09.1996 - 1 StR 438/96, NStZ-RR 1997, 66 
  • Zwischen dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und dem sexuellen Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB) besteht Tateinheit; § 182 StGB tritt nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.
    • BGH, Beschl. v. 23.11.2000 - 1 StR 430/2000, NStZ 2001, 194 
  • Bei Jugendlichen (also Personen ab 14 Jahren) darf aufgrund der Neufassung des § 182 Abs. 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, sie seien zu einer sexuellen Selbstbestimmung nicht in der Lage. Ihnen kann diese Fähigkeit zwar noch fehlen, doch ist dies eine Frage des Einzelfalls und bedarf konkreter Feststellung.
         Sexuelle Vorerfahrungen eines Jugendlichen können dafür sprechen, dass er bereits zur sexuellen Selbstbestimmung in der Lage ist.
  • Mit der - nicht näher begründeten - sexuellen Unerfahrenheit des Jugendlichen ist es nicht ohne weiteres vereinbar, dass er nach eigenen Angaben bei den Taten teilweise auch "schöne Gefühle" hatte.
  • Für das Merkmal "Zwangslage" im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB ist eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers kennzeichnend. Die Zwangslage muss ernst, sie braucht aber nicht existenzbedrohend zu sein. Eine Notlage wird nicht vorausgesetzt.
         Als Zwangslage kommen demnach nur Umstände von Gewicht Betracht, denen die spezifische Gefahr anhaftet, sexuellen Übergriffen gegenüber einem Jugendlichen in einer Weise Vorschub zu leisten, dass sich der Jugendliche ihnen gegenüber nicht ohne weiteres entziehen kann.
         Erfasst werden insbesondere die Fälle drogenabhängiger oder von zu Hause fortgelaufener Jugendlicher, die ein Täter zu sexuellen Handlungen ausnutzt, sowie Nötigungs- und nötigungsähnliche Fälle. Dagegen genügen nicht bloße Überraschungssituationen und Gelegenheiten, die sich für den Täter aus der Neugier des Jugendlichen auf sexuelle Erfahrungen in der Pubertät ergeben.
  • Bei Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach § 46a i.V.m. mit § 49 Abs. 1 StGB regelmäßig ein Geständnis zu verlangen.
    • BGH, Urt. v. 19.12.2002 - 1 StR 405/02; BGHSt 48, 134; NJW 2003, 1466; StV 2003, 272; NStZ 2003, 365, m. Anm. Dölling, Dieter u. Hartmann, Arthur, 382; StraFo 2003, 248, m. Anm. Götting, Bert, 251; JR 2003, 423, m. Anm. Kaspar, Johannes, 426  
  • Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB ist es ausreichend, dass sich Täter und Opfer vor oder spätestens während des sexuellen Kontakts darüber einig sind, dass der Vermögensvorteil die Gegenleistung für das Sexualverhalten des Jugendlichen sein soll. Es genügt, wenn der Jugendliche zur Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung durch die Entgeltvereinbarung wenigstens mitmotiviert wird (Schein-Angebot einer gut dotierten Rolle in einem Pornofilm).
    • BGH, Beschl, v. 01.07.2004 - 4 StR 5/04; NStZ 2004, 683
  • Entgelt i.S.v. § 182 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB ist jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung (§ 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB). Tatbestandsmäßig sind Vermögensvorteile jedweder Art. Neben finanziellen Zuwendungen gehören dazu auch Süßigkeiten, Geschenke und Einladungen zu Freizeitaktivitäten.
    • BGH, Urt. v. 12.10.2005 - 5 StR 315/05; NStZ 2006, 444
  • § 182 StGB ist auch anwendbar, wenn das Tatopfer noch nicht 14 Jahre alt ist. Daher kann ein Täter, der sich – wie hier - über das Alter des kindlichen Tatopfers irrt, nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB, der andernfalls im Wege der Gesetzeskonkurrenz von § 176 StGB verdrängt wird, bestraft werden, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.
         Da § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall voraussetzt (vgl. BGHSt 42, 27, 29; BGH NStZ-RR 1997, 98, 99), bedarf dies auch dann konkreter Feststellung, wenn das Opfer entgegen der irrigen Annahme des Täters noch keine 14 Jahre alt gewesen ist.
  • Das von § 182 Abs. 2 StGB vorausgesetzte Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ergibt sich nicht schon aus dem Umstand allein, dass die betroffene jugendliche Person unter 16 Jahre alt ist. Einschränkungen der Selbstbestimmungsfähigkeit sind in dieser Altersstufe zwar möglich, werden aber, anders als bei Kindern unter 14 Jahren, vom Gesetz nicht als zwingend gegeben vorausgesetzt.
         Das Fehlen der sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit kann deshalb nicht allein darauf gestützt werden, dass die betroffene jugendliche Person bis zu dem ersten Vorfall noch keine sexuellen Erfahrungen hatte.
         Da die Selbstbestimmungsfähigkeit einer jugendlichen Person kein statischer "Zustand" ist, sondern in der Regel raschen und gravierenden Veränderungen unterliegt, kann auf genauere Feststellungen nicht verzichtet werden, wenn es für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 182 Abs. 2 StGB auf den Zustand gerade zu unterschiedlichen Tatzeitpunkten ankommt.
  • Für das Merkmal „Zwangslage“ im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB ist eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers kennzeichnend. Sie setzt Umstände von Gewicht voraus, denen die spezifische Gefahr anhaftet, sexuellen Übergriffen gegenüber einem Jugendlichen in einer Weise Vorschub zu leisten, dass sich der Jugendliche ihnen gegenüber nicht ohne weiteres entziehen kann (BGHSt 42, 399). Es müssen also gravierende, das Maß des für Personen im Alter und in der Situation des Jugendlichen Üblichen deutlich übersteigende Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Entscheidungsmöglichkeiten des Jugendlichen gerade über sein sexuelles Verhalten einzuschränken (vgl. Fischer aaO § 182 Rdn. 5).
  • Es erscheint zweifelhaft, ob eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren für ein einverständliches gegenseitiges Masturbieren eines nicht vorbestraften Angeklagten mit einem 13-jährigen Jungen, bei dem auch später keine nachteiligen psychischen Folgen der Geschehnisse festgestellt wurden, noch innerhalb des vertretbaren Spielraums schuldangemessenen Strafens liegt.

Strafrecht - § 184b StGB

  • Die Strafbarkeit nach § 184b StGB setzt nicht voraus, dass die Darstellung der sexuellen Handlung einen vergröbernd-reißerischen Charakter aufweist.
  • Der außerdienstliche (d.h. private) Besitz von kinderpornographischen Bild- oder Videodateien hat bei Polizeibeamten wegen ihres Amtes und des in sie gesetzten Vertrauens stets den für eine disziplinarische Ahndung erforderlichen Amtsbezug. Der Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist in solchen Fällen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet, kann also zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen.

Strafrecht - § 184 h StGB (früher § 184 c bzw. § 184 f bzw. 184 g StGB)

  • Nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlungen, die an einem Kind vorgenommen werden oder die das Kind an dem Täter oder einem Dritten vornimmt, sind sexuelle Handlungen auch dann, wenn das Kind die Sexualbezogenheit der Handlung nicht erkennt oder nicht erkennen kann.
    • BGH, Urt. v. 24.09.1980 - 3 StR 255/80; BGHSt 29, 336 
  • Auch wenn bei Kindern oder Jugendlichen an die Erheblichkeit sexueller Handlungen geringere Anforderungen zu stellen sind als bei Erwachsenen, so erfüllen kurze Griffe über der Kleidung auch an Brust oder Gesäß die Voraussetzungen des § 184c StGB nicht ohne weiteres.
    • BGH, Beschl. v. 10.09.1998 - 1 StR 476/98, StV 1999, 306 
  • Ob an einem Kind sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit vorgenommen wurden, bestimmt sich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für die durch § 176 StGB geschützte geschlechtliche Entwicklung des Kindes.
    • BGH, Beschl. v. 08.09.1999 - 3 StR 357/99, StV 2000, 197 
  • Zu den tatsächlichen Anforderungen an das Überschreiten der "Erheblichkeitsschwelle" des § 184 c Nr. 1 StGB.
    • BGH, Beschl. v. 30.01.2001 - 4 StR 569/00, NStZ 2001, 370; JR 2002, 71, mit Anm. Lindenau, Kerstin, 72
  • Zu den tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen ein Kuss als sexuelle Handlung i.S.d. § 184 f Nr. 1 StGB anzusehen ist.
    • BGH, Beschl. v. 08.02.2006 - 2 StR 575/05; NStZ-RR 2007, 12
  • Ob eine sexuelle Handlung erheblich ist, richtet sich nach dem Grad der Gefährlichkeit für das betroffene Rechtsgut. Hiernach ist eine sexuell getönte Handlung gegenüber einem Kind erher erheblich als gegenüber einem Erwachsenen.
  • Weist eine Handlung objektiv - allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild - einen eindeutigen Sexualbezug auf, kommt es auf die Motivationen des Täters nicht an. Auch wenn der Täter ohne jede sexuelle Absicht gehandelt hat, stellt sein Tun eine sexuelle Handlung dar.
  • Wenn eine Handlung objektiv, also nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist, kommt es auf die Motivation des Täters nicht an, auch eine sexuelle Absicht muss nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07 m.w.N.). Jedoch ist auf der subjektiven Seite erforderlich, dass der Täter sich jedenfalls des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst ist.
  • 1.     Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung führt nicht zu dem körperlichen Kontakt, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 3 StR 72/16, StV 2017, 39; Urteil vom 17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490 und vom 17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. November 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17).
    2.     Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen, da das Landgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat.
    3.     Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen und Drehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 72/16, StV 2017, 39).
    4.     Nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinneslust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN).
  • An einem Kind mit Körperkontakt vorgenommene Handlungen sind sexuelle Handlungen, wenn diese bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Daneben können aber auch sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16) und seine sexuellen Absichten (BGH, Urteile vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528). Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (BGH aaO).
  • Das Erzwingen eines Zungenkusses kann eine strafbare sexuelle Nötigung gemäß § 177 StGB darstellen. Ein solcher stellt eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von § 184 h Nr. 1 StGB dar.
  • Die Erheblichkeitsschwelle von sexuellen Handlungen im Sinne des § 184 f Nr. 1 StGB  wird durch einen aufgedrängten kurzzeitigen Zungenkuss ohne sexuell motivierte Berührung des Körpers einer 15jährigen Geschädigten nicht erreicht.
  • Lässt eine nicht mehr stillende Frau es zu, dass ihr 6jähriger Sohn und - diesen nachahmend - ihre 9jährige Nichte ihre Brust entkleiden und daran saugen, indem sie während des kurzen Vorgangs ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes legt, ohne es zurückzuweisen, so liegt darin keine sexuelle Handlung.

Strafrecht - § 185 StGB

Bundesverfassungsgericht:

  • Auf der Stufe der Anwendung von §§ 185 ff. StGB im Einzelfall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht, bei der alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind.
         Die Meinungsfreiheit muss stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet. Dieser für die Kunstfreiheit ausgesprochene Grundsatz (vgl. BVerfGE 75, 369, 380) beansprucht auch für die Meinungsfreiheit Geltung, denn die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, daß der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt.
         Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfGE 61, 1, 12).
         Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272, 283 f.).
         Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BGH, NJW 1974, S. 1762).
         Läßt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an. Dabei spielt es aber, anders als im Fall von Tatsachenbehauptungen, grundsätzlich keine Rolle, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil "richtig" ist (vgl. BVerfGE 66, 116 ,151; 68, 226, 232). Dagegen fällt ins Gewicht, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird.
         Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Abweichungen davon bedürfen folglich einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, in der die Vermutungsregel wurzelt, Rechnung trägt.
  • Merkmal der Schmähkritik ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung.
    • BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 28.04.2007 - 2 BvR 71/07; NJW-RR 2008, 330
  • In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, muss auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte.
         Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück.
         Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
  • 1.     Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
    2.     Auch eine überzogene oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden.
    3.     Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sog. Privatfehde beschränkt bleiben.
  • Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs geht. Jedoch ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.
  • Die Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert darzustellen, insbesondere als Erwiderung auf einen unmittelbar vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender Weise erfolgt ist.
  • 1.     Die Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.
    2.     Es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266 <302 f.>)
  • 1.     Im Fall von Tatsachenbehauptungen, die weder erweislich wahr noch erwiesenermaßen unwahr sind, ist eine Abwägungsentscheidung zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht zu treffen. Jedenfalls in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, kann auch eine möglicherweise unwahre Behauptung solange nicht untersagt werden, wie zuvor hinreichend sorgfältig deren Wahrheitsgehalt recherchiert worden ist.
    2.     Je schwerwiegender die aufgestellte Behauptung in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Erfüllung der Pflicht zur sorgfältigen Recherche. Der Umfang der Sorgfaltspflicht richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall und den Aufklärungsmöglichkeiten der Äußernden und ist für Äußerungen der Presse strenger als für Äußerungen von Privatpersonen.
    3.     Wird offenbar, dass die Wahrheit einer persönlichkeitsverletzenden Behauptung sich nicht erweisen lässt, ist es zuzumuten, auch nach Abschluss umfassender Recherchen kenntlich zu machen, wenn verbreitete Behauptungen durch das Ergebnis eigener Nachforschungen nicht gedeckt sind oder kontrovers beurteilt werden.
  • 1.     Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 <9>; 90, 241 <248>).
    2.     Wird eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung eingestuft, liegt darin eine Verkürzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, da die Vermutung zugunsten der freien Rede für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise gilt wie für Meinungsäußerungen im engeren Sinne. 
  • 1.     Die Verbreitung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre muss grundsätzlich hingenommen werden. Das git auch für die Nennen des Namens. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird in diesen Fällen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.
  • 2.     Wenn es um die schleppende Zahlungsmoral einer Firma geht und die Firma unter dem Namen des Firmeninhabers geführt wird, ist die Nennung des Namens des Firmeninhabers zulässig.
    3.     Die Verbreitung darf auch drei Jahre nach den Vorgängen erfolgen, wenn es um die Bewertung des Geschäfstgebahrens geht und die Firma nach wie vor in gleicher Wiese tätig ist.

Ordentlichen Gerichte:
  • Sexuelle Äußerungen und Ansinnen sind dann als beleidigende Herabsetzung anzusehen, wenn der Täter selbst das der betroffenen Person angesonnene Verhalten als verwerflich oder ehrenrührig ansieht und durch die entsprechende Äußerung zum Ausdruck bringen will, dass er dem Tatopfer eine entsprechend verachtenswerte Haltung zu Unrecht unterstellt.
         Zur Frage des Beleidigungsvorsatzes bei Besonderheiten in der Persönlichkeit des Täters und seiner psychischen Erkrankung.
  • Der Tatbestand der Beleidigung ist bei sexuellen Übergriffen nur dann erfüllt, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen ehrmindernden Mangel auf. Eine solche Kundgabe ist nicht schon in der sexuellen Handlung als solcher zu sehen, so dass diese nicht zusätzlich den Beleidigungstatbeständen unterfallen muss.
         Deshalb erfüllen sexuelle Übergriffe im engeren zwischenmenschlichen Bereich, in welcher der Achtungsanspruch grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, oder aus Begierde, bei denen es dem Täter vorwiegend auf die Befriedigung seines Geschlechtstriebs ankommt, die Beleidigungstatbestände nicht.
         Anders ist die Rechtslage aber zu bewerten, wenn nach dem gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine - von ihm gewollte - herabsetzende Bewertung des Opfers liegt, wenn also der Demütigungscharakter in den Vordergrund tritt und dieser ein eigenständiges Gewicht erlangt.
  • Zur Frage, wann sexualbezogene Handlungen als Beleidigung strafbar sind.
  • Das unprovozierte Anbieten von Geld für sexuelle Handlungen erfüllt - anders als sexuell motivierte Zudringlichkeiten - den Straftatbestand der Beleidigung.

Strafverfahrensrecht

  • Wird ein Beschuldigter durch die Mitteilung eines Polizeibeamten, seine homosexuelle Neigung gegenüber Dritten (hier: Großeltern) zu offenbaren, unter Druck gesetzt, liegt darin eine sachlich nicht gerechtfertigte Bloßstellung und damit die Ausübung unzulässigen psychischen Zwangs mit der Folge der Unverwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten.
    • OLG Naumburg, Beschl. v. 25.11.2003 - 2 b Js 50/02 - 2-2 StE 8/03-2; StV 2004, 529
  • Nichteheliche Lebensgefährten haben auch nach einer langjährigen Beziehung kein Recht, in einem Strafprozess gegen ihren Partner die Aussage zu verweigern. 

Totenfürsorge

Zivilgerichte:

  • Das Recht, die sogenannte Totenfürsorge wahrzunehmen, insbesondere den Ort der letzten Ruhestätte zu bestimmen oder für die Bestattung an dem vom Verstorbenen bestimmten Ort zu sorgen und den Leichnam erforderlichenfalls dorthin umzubetten, steht in erster Linie demjenigen zu, den der Verstorbene mit der Wahrnehmung dieser belange betraut hat, auch wenn er nicht zum Kreis der sonst berufenen Angehörigen zählt.
         Zur Beweislast für einen dahingehenden letzten Willen des Verstorbenen.
    • BGH, Urt. v. 26.2.1992 - XII ZR 58/91; FamRZ 1992, 657; NJW-RR 1992, 834;  ZfJ 1993, 101; MDR 1992, 588 
  • Das Recht der nächsten Angehörigen zur Totenfürsorge rechtfertigt nicht ohne weiteres eine Umbettung Verstorbene, vielmehr kommt es primär auf den Willen des Verstorbenen an.
         Ohne einen feststellbaren Willen des Verstorbenen ist eine Umbettung nur aus wichtigem Grund zulässig; die beschränkte Nutzungsdauer eines Grabes genügt hierfür nicht.
    • OLG Zweibrücken, Urt. v. 28.05.1993 - 4 U 3/93; FamRZ 1993, 1493; ZfJ 1994, 54 
  • Zur Wirksamkeit der Zustimmung des Totenfürsorgeberechtigten zu einer Obduktion bedarf es dessen Belehrung über den Umgang und die Tragweite der Obduktion.
    • OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.07.2001 - 9 U 11/01; FamRZ 2002, 61; ZERB 2001, 187 
  • Das Recht der Totenfürsorge steht gewohnheitsrechtlich dem Ehegatten oder den nächsten Angehörigen zu; Erben müssen diese nicht sein.
         War einer der Angehörigen zum Pfleger (bzw. jetzt: Betreuer) des Erblassers bestellt, so steht ihm das Recht der Totenfürsorge vorrangig zu.
    • LG Bonn, Urt. v. 24.03.1993 - 5 S 72/92; FamRZ 1993, 1121; NJW-RR 1994, 522 
  • Zu den Voraussetzungen, unter denen Angehörige eines bereits bestatteten Verstorbenen von demjenigen, der die Bestattung veranlasst hat, die Zustimmung zu einer Umbettung fordern können.
    • LG Gießen, Urt. v. 29.06.1994 - 1 S 109/94; MDR 1994, 1126 
  • 1.     Eine Klage desjenigen, der das Totensorgerecht wahrnimmt (z.B. des Lebensgefährten des Verstorbenen), ist auf die Zustimmung widersprechender (nächster) Angehöriger zur Umbettung zu richten.
    2.     Die mit Verfassungsrang ausgestattete Achtung vor der Totenruhe kann einem Verlangen nach Umbettung entgegenstehen. Diese Einschränkung gilt jedoch regelmäßig dann nicht, wenn der Verstorbene selbst den Ort seiner letzten Ruhestätte bestimmt hat und die Umbettung der Durchsetzung dieses Willens des Verstorbenen dient.
    • LG Lübeck, Urt. v. 24.07.2014 - 14 S 194/13; MDR 2014, 1329
  • Das Gewohnheitsrecht der Totenfürsorge steht auch minderjährigen Angehörigen des Verstorbenen zu. 
  • Zu den Voraussetzungen, unter denen Verwandte voneinander die Duldung der Ablage von Grabschmuck auf dem Grab eines gemeinsamen Angehörigen verlangen können.
  • 1.     Der Übergang und die Art und Weise der Umsetzung des Totenfürsorgerechts richten sich nach dem Willen des Verstorbenen, aufgrund seines auch nach seinem Tod fortwirkenden Persönlichkeitsrechtes.
  • 2.     Der Verstorbene ist daher berechtigt, das Totenfürsorgerecht jemand Drittem außerhalb des Kreises der nächsten Familienangehörigen und abweichend von einer Erbeinsetzung zu übertragen.
  • 1.     Es gibt keinen im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbaren Anspruch auf Übertragung der Totenfürsorge.
  • 2.     Einem Verwandten steht an Stelle des Ehegatten das Recht zur Totenfürsorge kraft Übertragung durch den Verstorbenen zu. Fehlt es an einem dahingehenden Willen des Verstorbenen, bleibt es beim gewohnheitsrechtlichen Vorrang des Ehegatten. Der nicht totenfürsorgeberechtigte Verwandte kann sich in diesem Fall nur gegen einzelne Maßnahmen des Ehegatten wenden, wenn diese dem (mutmaßlichen) Willen des Verstorbenen widersprechen.
    3.     Streiten die nahen Angehörigen, wem von ihnen die Totenfürsorge zukommt und hat bereits einer von ihnen die Beisetzung gegen den Willen des anderen veranlasst, gebieten es die Pietät und die Wahrung der Totenruhe, diesen Zustand durch eine einstweilige Verfügung bis zur Entscheidung der Hauptsache aufrechtzuerhalten. Der Verstorbene darf nicht dem Streit der Parteien ausgesetzt werden.
  • Die Rechtsprechung überträgt das Recht der Totenfürsorge auf den nächsten Verwandten des Verstorbenen. Der Inhaber des Totenfürsorgerechts hat sich im Rahmen des (mutmaßlichen) Willens des Verstorbenen zu bewegen. Innerhalb dieses Rahmens muss dem Inhaber aber ein erheblicher Ermessens- und Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. Andernfalls wird die Umsetzung der Totenfürsorge nicht praktikabel sein.
  • 1.     Das Recht zur Totenfürsorge steht in erster Linie demjenigen zu, den der Verstorbene mit den Angelegenheiten der Bestattung betraut; soweit keine Bestimmung erfolgt, sind gewohnheitsrechtlich die Angehörigen entsprechend ihrer familiären Nähe zum Verstorbenen zuständig.
    2.     Der für die Totenfürsorge Zuständige hat bei der Wahl von Bestattungsart und -ort die Wünsche des Verstorbenen strikt zu beachten; eine im Widerspruch zum Willen des Verstorbenen erfolgte Bestattung kann eine spätere Umbettung rechtfertigen.
    3.     Einem Angehörigen, der nicht mit der Bestattung betraut ist, steht gewohnheitsrechtlich keine subsidiäre Überwachungszuständigkeit für die Bestattung zu, wenn die Verantwortung für die Bestattung allein dem Totenfürsorgeberechtigten übertragen worden ist. 

Verwaltungsgerichte:
  • Die durch Bundesrecht geregelte zivilrechtlichen Pflicht über die Tragung der Beerdigungskosten (vgl. § 1968, § 1360a Abs. 3, § 1615 Abs. 2, § 1615m BGB) ist nicht identisch mit der öffentlich-rechtlichen Pflicht, für die Beerdigung eines Verstorbenen zu sorgen; insbesondere enthalten die zivilrechtlichen Vorschriften keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflichtigen. Sie begründen lediglich einen Anspruch auf Ersatz der für die Beerdigung aufgewendeten Kosten.
  •      Die zivilrechtlichen Bestimmungen über die Pflicht, die Kosten der Bestattung zu tragen, hindern die Ordnungsbehörde nicht daran, von dem Bestattungspflichtigen, der seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist, den Ersatz der Aufwendungen zu verlangen, die ihr durch die Ersatzvornahme entstanden sind, und zwar unbeschadet eines etwaigen Erstattungsanspruchs des Bestattungspflichtigen gegenüber den zivilrechtlich zur Kostentragung Verpflichteten.
    • OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.12.2002 - 8 LA 158/02; FEVS 2003, 375 
  • Eltern müssen die Beerdigung ihres Sohne auch dann bezahlen, wenn das Verhältnis seit Jahren zerrüttet war.
    • OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.05.2003 - 8 ME 76/03; FamRZ 2004, 458
  • 1.     Die in § 13 Abs. 1 FBG ausnahmslos begründete öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht naher Angehöriger stellt keinen Verstoß gegen Grundrechte des Bestattungspflichtigen dar und ist auch mit dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.
    2.     Die Gründe für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht naher Angehöriger rechtfertigen es regelmäßig, die Pflicht zur Kostentragung an die Bestattungspflicht zu koppeln.
    3.     Bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls kann das grundsätzliche Interesse der Allgemeinheit an der Übernahme der Bestattungskosten durch die Angehörigen, hinter das Interesse des bestattungspflichtigen Angehörigen, von der Heranziehung zu den Kosten verschont zu bleiben, zurücktreten.
    4.     Die Heranziehung des eigentlichen Bestattungspflichtigen zu den Bestattungskosten nach § 13 Abs. 5 FBG in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 1 HSOG kann bei schwerwiegenden Verfehlungen, wie sie sich in Straftaten von erheblichem Gewicht (Mord, Totschlag, Vergewaltigung, sexuellem Mißbrauch) realisieren, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen.
    5.     Ein möglicher Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII suspendiert die Gefahrenabwehrbehörde nicht von der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Kostenerstattung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 HSOG.
  • a)     Das Bestattungsgesetz SH sieht die gemeindliche Pflicht zur Vornahme der Bestattung als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe an und bestimmt durch den Rechtsfolgenverweis auf die §§ 230, 238 LVwG, dass die Gemeinde die Bestattung ohne vorherigen (Grund )Verwaltungsakt als Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug vorzunehmen und den Kostenersatz auf dem damit vorgezeichneten Weg nach § 249 LVwG zu erreichen habe. Dies führt zur Anwendung der VVKVO.
    b)     Mit dem Verweis auf die VVKVO ist bestimmt, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte bereits im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist und nicht einer der Festsetzung nachgelagerten Entscheidung über Billigkeitsmaßnahmen zugewiesen ist.
    c)     Das Bestattungsgesetz bestimmt die nahen Angehörigen zu Bestattungspflichtigen, ohne darauf abzustellen, ob die Familienverhältnisse intakt gewesen sind.
    d)     Der bloße Umstand, dass sich Familienmitglieder räumlich und emotional voneinander entfernt haben und die traditionellen Beziehungen nicht (mehr) unterhalten worden sind, führt nicht bereits zur Anerkennung einer besonderen Härte.
    e)     Eine unbillige Härte kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der persönlichen Beziehung derart schwer wiegen, dass die rechtliche Nähebeziehung dahinter vollständig zurücktritt. Dies setzt voraus, dass ein schweres vorwerfbares Fehlverhalten des Verstorbenen gegenüber dem Pflichtigen vorliegt.
  • Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber eine Bestattungspflicht für leibliche Kinder des Verstorbenen ohne Einschränkung normiert hat. Eine Pflicht, Einschränkungen, etwa bei gestörten Familienverhältnissen, vorzusehen, besteht von Verfassungs wegen nicht, da die Totenfürsorge gewohnheitsrechtlich in erster Linie den nächsten Familienangehörigen und nicht den Erben obliegt.
    • VG Karlsruhe, Urt. 10.07.2001 - 11 K 2827/00; NJW 2002, 3491 
  • Die nahen Angehörigen eines Verstorbenen sind gewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet, für dessen Bestattung zu sorgen. Zu diesem Personenkreis gehören nicht nur die Kinder und der Ehegatte, sondern auch die Geschwister des Verstorbenen.
  • Die den nächsten Angehörigen obliegende Bestattungspflicht ergibt sich aus dem gewohnheitsrechtlichen Institut der Totenfürsorge. Diese öffentlichrechtliche Pflicht zur Bestattung ist unabhängig davon, ob der Pflichtige Erbe geworden ist.
    • VG Hannover, Urt. v. 29.05.2002, ZfF 2004, 60 
  • Ob zwischen Geschwistern ein von persönlichen Bindungen geprägtes Verhältnis bestand oder nicht, ist für die Sorgepflichtigkeit für die Bestattung und die Inanspruchnahme unerheblich.
  • 1.     Da der Friedhofsträger den die Totenruhe sichernden Gewahrsam an einer Leiche, Leichtenteilen bzw. den Aschenresten Verstorbener im Sinne von § 168 StGB ausübt, schließt das Grabnutzungsrecht der Hinterbliebenen einen Anspruch auf Umbettung bzw. Überführung einer Leiche oder einer Urne an einen anderen Bestattungsort nicht vorbehaltlos ein. Vielmehr bedarf es für die Umbettung der ausdrücklichen Erlaubnis des Friedhofsträgers. Dies gilt auch dann, wenn in der Friedhofs- und Bestattungssatzung ein solcher Erlaubnisvorbehalt nicht ausdrücklich vorgesehen ist.
    2.     Bei der Entscheidung der Frage, ob der Anspruch auf Umbettung gerechtfertigt und somit die Zustimmung zu erteilen ist, ist durch Abwägung der jeweiligen Umstände ein gerechter Ausgleich zwischen dem Gebot der Totenruhe einerseits und dem Bedürfnis der Angehörigen im Hinblick auf die Totenfürsorge andererseits zu suchen.
    3.     In der Rechtsprechung anerkannt, dass die Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche vor Ablauf der Ruhefrist nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden kann.
    4.     Da das Bestattungsgesetz eine Unterscheidung hinsichtlich der Wahrung der Totenruhe bezüglich der Bestattungsarten nicht vorsieht, hat sich auch die Überführung einer Urne an den Grundsätzen des Vorliegens eines wichtigen Grundes messen zu lassen.
  • 1.     Die Bestattungspflicht entfällt nicht ausnahmsweise, weil der Bestattungspflichtige den Verstorbenen nicht gekannt hat.
    2.     Eine Erbausschlagung hat keine Auswirkung auf die Bestattungspflicht.
    3.     Das rheinland-pfälzische Bestattungsgesetz enthält keine Regelung, die es erlaubt, die Inanspruchnahme zum Kostenersatz von Ermessenserwägungen abhängig zu machen bzw. aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzuschränken.

Sozialgerichte:
  • Verpflichteter im Sinne von § 74 SGB XII kann nur sein, wer der Kostenlast (Kosten der Bestattung) nicht ausweichen kann, weil sie ihn rechtlich notwendig trifft. Eine Übernahme der Bestattungskosten aus sittlicher Verpflichtung begründet keinen Kostenerstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger.

Trennungsgeld


  • Es verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebende Beamte, die gemeinsam mit dem Lebensgefährten Mieter einer Wohnung sind, bei der Auslegung des Begriffs „Hauptmieter“ i.S.d. § 5 Abs. 2 HessTGV schlechter gestellt werden als Beamte, die allein oder mit einem Ehegatten eine Wohnung gemietet haben.


    • VGH Kassel, Urt. v. 10.02.1993 - 1 UE 761/87; NJW 1993, 2888; ZTR 1993, 393
       

  • Hauptmieter im Sinne des § 5 Abs.2 HessTGV können auch Beamte sein, die mit ihrem Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben und gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Mieter einer Wohnung sind.


    • VGH Kassel, Urt. v. 16.06.1993 - 1 UE 1918/86; ZBR 1994, 288
       

  • Die Nichtgewährung des Höchstsatzes des Trennungstagegeldes an Berechtigte, die nicht mit einer Person i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-3 HessTGV - u.a. Ehegatten - in häuslicher Gemeinschaft leben, verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche (und das hiermit inhaltsgleiche bundesverfassungsrechtliche) Verbot der mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben.


    • VGH Kassel, Urt. v. 06.12.1995 - 2 UE 413/93; NVwZ-RR 1997, 41

Uniform tragen


  • Ist das Tragen einer Uniform in der Öffentlichkeit von vorne herein nicht geeignet, bei anderen den Anschein zur Berechtigung des Tragens der Uniform zu erwecken, stellt es sich insbesondere erkennbar als Maskerade dar, ist der Tatbestand des § 132a Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht erfüllt. Zum Vorliegen des subjektiven Tatbestandes ist erforderlich, dass der Träger der Uniform billigend in Kauf nimmt, dass außenstehende Beobachter das Tragen der Uniform als Ausdruck der Innehabung einer bestimmten Amtsstellung verstehen konnte.


    • BayObLG NStZ-RR 1997, 135
       

  • Eine Strafbarkeit nach § 132 a Abs. 1 Nr. 4 StGB scheidet aus, wenn sich das Tragen von Uniformteilen (hier eines Kapuzenpullis mit der Aufschrift "Polizei") angesichts der Bekleidung im Übrigen nicht als Ausdruck hoheitlicher Amtsausübung erweist.


    • OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.10.2002 - 1 Ss 161/02; NJW 2003, 982

Unterhalt

Urheberrecht


  • Die Frage, ob, wann und wie man sich gegenüber seinem sozialen bzw. beruflichen Umfeld, insbesondere aber den eigenen Eltern gegenüber als homosexuell outet, zählt auch im Zeitalter einer immer weiter fortschreitenden Liberalisierung der Gesellschaft in diesen Fragen zum Intimbereich. Der Intimbereich einer Person ist als Ausfluss der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) grundsätzlich jeglichem Eingriff, insbesondere der Pressse, entzogen. Eingriffe in den Intimbereich sind nur im extremen Ausnahmefall zu rechtfertigen.
         Aus der aktiven Teilnahme an einem CSD-Umzug lässt sich keine konkludente Einwilligung dahingend ableiten, dass ein auf dem CSD-Umzug aufgenommenes Bild eines Teilnehmers als "Bild eines Schwulen" in der Presse veröffentlicht wird.
         § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG rechtfertigt nicht die Herstellung und Verbreitung von Porträtfotos gewöhnlicher Teilnehmer oder Zuschauer eines CSD-Umzug.

Vereinsrecht

EGMR:

  • Die Ablehnung der Eintragung eines Vereins ist ein Eingriff in die in Art. 11 EMRK garantierte Vereinigungsfreiheit. Er ist nach Art. 11 II EMRK nur gerechtfertigt, wenn er „gesetzlich vorgesehen" ist, eines oder mehrere der in Art. 11 II EMRK genannten berechtigten Ziele verfolgt und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" ist, um dieses Ziel oder diese Ziele zu erreichen.
         Die Staaten sind völkerrechtlich nicht dazu verpflichtet, den Begriff der „nationalen Minderheit" in ihrer Gesetzgebung zu definieren.
         Politische Parteien spielen bei der Gewährleistung von Pluralismus und Demokratie eine überragende Rolle. Auch mit anderen Zielen gegründete Vereinigungen einschließlich solcher, die das kulturelle oder geistige Erbe schützen, andere soziale oder gesellschaftliche Ziele verfolgen, eine Religion bekennen oder lehren, eine ethnische Identität suchen oder ein Minderhei-tenbewusstsein stärken wollen, sind für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Demokratie wesentlich. Die Vereinigungsfreiheit ist besonders für Angehörige von Minderheiten wichtig.
         Die Vereinigungsfreiheit ist aber nicht absolut. Wenn eine Vereinigung mit ihrer Tätigkeit oder den Zielen, die sie ausdrücklich oder stillschweigend in ihrem Programm verkündet, staatliche Institutionen oder Rechte und Freiheiten anderer gefährdet, nimmt Art. 11 EMRK dem Staat nicht das Recht, diese Institutionen und Personen zu schützen. Das ergibt sich aus Art. 11 II EMRK. Von dieser Befugnis darf aber nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.
         Die Weigerung, einen Verein als eine „Organisation der schlesischen nationalen Minderheit" einzutragen, um Missbräuche von Vorrechten nach dem Wahlrecht zu verhindern, ist nach Art. 11 II EMRK gerechtfertigt. (Leitsätze der Bearbeiter)
    • EGMR (Große Kammer), Urt. v. 17.2 2004 - 44158/98 (Fall Gorzelik u. a. v. Polen), NVwZ 2006, 65 

BVerfG:

BGH:
  • Die Zulassung der Eventualeinberufung einer Wiederholungsversammlung mit geringeren Anforderungen an ihre Beschlußfähigkeit im Anschluß an eine beschlußunfähige Mitgliederversammlung durch die Satzung eines eingetragenen Vereins verstößt weder gegen unabdingbares Gesetzesrecht noch gegen übergeordnete zwingende allgemeine Grundsätze des Vereinsrechts.
  • Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu einem Aufnahmezwang Beitrittswilliger für Verbände mit einer überragenden Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich ergeben sich mittelbar aus Art. 9 GG.
    Solche Verbände können auch begrenzt auf einzelne Regionen bestehen.
    • BGH, Urt. v. 23.11.1998 - II ZR 54/58; BGZ 140, 74, NJW 1999, 1326; JR 2000, 103 m. Anm. Elert, 105-107; MDR 1999, 344; DB 1999, 423; VersR 1999, 1502; ZIP 1999, 237; DStR 1999, 331 
  • Landesverbänden steht gegen den Vorstand ihres Dachverbandes auf dessen Verbandsversammlung ein Auskunftsrecht nach §§ 27 Abs. 3, 666 BGB über alle wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Dachverbandes zu.
         Einem solchen vereinsrechtlichen Informationsrecht der Mitglieder unterliegen grundsätzlich auch die Angelegenheiten einer vom Dachverband zur Auslagerung seines wirtschaftlichen Betriebes als GmbH gegründeten und betriebenen Tochtergesellschaft, soweit sie auch für den Dachverband objektiv von erheblicher wirtschaftlicher oder rechtlicher Bedeutung sind. Dieses Informationsrecht findet seine Grenze nur in einem (vorrangigen) berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Dachverbandes zur Abwehr einer zu besorgenden Gefahr für ihn selbst oder die Tochtergesellschaft mbH (entsprechend § 51 a Abs. 2 GmbHG).
  • Ein Verein hat seine Mitglieder grundsätzlich von einer Haftung gegenüber Dritten freizustellen, wenn sich bei der Durchführung der satzungsmäßigen Aufgaben eine damit typischerweise verbundene Gefahr verwirklicht hat und dem Mitglied weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
         Das gilt auch dann, wenn das Vereinsmitglied verstorben ist, sein Nachlaß erschöpft ist und die Erben aufgrund einer Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß nicht weiter haften.
         Dieser Freistellungspflicht steht der Abschluß einer freiwilligen Haftpflichtversicherung durch den Verein nicht entgegen.
         Die Freistellungspflicht besteht nicht unbeschränkt. Vielmehr verbleibt je nach den Umständen des Einzelfalles ein Teil der Verantwortung bei dem Vereinsmitglied. Dabei kommt es u.a. darauf an, in welchem Maße dem Mitglied ein Verschulden zur Last fällt.
  • Der nicht rechtsfähige Verein ist aktiv parteifähig.
         Einer rechtlich unselbständigen Untergliederung eines eingetragenen Vereins fehlt das Feststellungsinteresse, von dessen Mitgliedern gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Die Beschlussanfechtung setzt auch im Vereinsrecht grundsätzlich voraus, dass das klagende Mitglied dem Verein sowohl im Zeitpunkt der Beschlussfassung als auch dem der Rechtshängigkeit angehört.
         Ist der Gegenstand der Beschlussfassung in der Einladung zu einer Mitgliederversammlung nicht oder so ungenau bestimmt, dass den Mitgliedern eine sachgerechte Vorbereitung der Versammlung und eine Entscheidung, ob sie an der Versammlung teilnehmen wollen, nicht möglich ist, so sind die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse nichtig.
    • BGH, Urt. v. 02.07.2007 - II ZR 111/05; NJW 2008, 69; BB 2007, 2310; DStR 2007, 1970; MDR 2007, 1446; NZG 2007, 826; WM 2007, 1932; ZGS 2007, 431; ZIP 2007, 1942; Rpfleger 2008, 79; HFR 2008, 79
  • Die Erhebung einer einmaligen Umlage von Mitgliedern eines eingetragenen Vereins bedarf der Zulassung in der Satzung nicht nur dem Grunde, sondern auch zumindest in Gestalt der Angabe einer Obergrenze der Höhe nach.
         Unter engen Voraussetzungen, wenn die Umlageerhebung für den Fortbestand des Vereins unabweisbar notwendig und dem einzelnen Mitglied unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen Belange zumutbar ist, kann eine einmalige Umlage auch ohne satzungsmäßige Festlegung einer Obergrenze wirksam beschlossen werden. Das Vereinsmitglied, das die Zahlung der Umlage vermeiden will, hat ein Recht zum Austritt aus dem Verein, das es im Interesse des Vereins in angemessener Zeit ausüben muss.
  • Haben nach der Satzung eines gemeinnützigen Vereins die Vorstandsmitglieder ihre Vorstandstätigkeit ehrenamtlich auszuüben und sieht die Satzung die Möglichkeit einer Vergütung für die aufgewendete Arbeitszeit und Arbeitskraft nicht ausdrücklich vor, sind die an ein Vorstandsmitglied als Entschädigung für aufgewendete Arbeits-zeit und Arbeitskraft geleisteten Zahlungen satzungswidrig.
  • Für die Verbindlichkeiten des eingetragenen Vereins haftet regelmäßig nur dieser selbst und nicht die hinter ihm stehenden Vereinsmitglieder.
         Eine Durchbrechung dieses Trennungsgrundsatzes ist nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich ist (sog. Durchgriffshaftung).
         Bei einer zweckwidrigen Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch wirtschaftliche Betätigung des eingetragenen Idealvereins sind die gesetzlichen Sanktionen der Amtslöschung gemäß §§ 159, 142 FGG und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB sowie der durch sie bewirkte mittelbare Zwang zu dessen Auflösung oder Umwandlung nach derzeitiger Gesetzeslage grundsätzlich zum Schutz des Rechtsverkehrs ausreichend.
         Für die zusätzliche Sanktion einer (rückwirkenden) persönlichen Durchgriffshaftung der Mitglieder des eingetragenen Idealvereins wegen Duldung bzw. Nichtverhinderung einer Überschreitung des Nebenzweckprivilegs ist - schon wegen Fehlens einer regelungsbedürftigen Gesetzeslücke - kein Raum.
  • Die Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO hat Indizwirkung dafür, dass er nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und in das Vereinsregister eingetragen werden kann.
    • BGH, Beschl. v. 16.05.2017 - II ZB 7/16; NJW 2017, 1943; WM 2017, 1059; ZIP 2017, 1021; NZFam 2017, 608; NZG 2017, 705; NJ 2017, 288 MDR 2017, 709: DB 2017, 1202; DStR 2017, 1277, m. Anm. Sebastian Mock, Jean Mohamed, 1280; Anm. Sebastian Mock, 1281; Anm. Markus Büch, EWiR 2017, 359

andere Zivilgerichte:
  • Zur Verpflichtung eines Stadtjugendrings, einen nicht rechtsfähigen Verein ("Schwule Jugendgruppe") als Mitglied aufzunehmen.
    • LG Heidelberg, NJW 1990, 927; MDR 1990, 625
  • Der badische Sängerbund besitzt eine überragende Machtstellung im sozialen Bereich.
         Einem Chor darf nicht aufgrund der sexuellen Neigung seiner Mitglieder, die sich auch in dem Chornamen dokumentiert, die Aufnahme in den Badischen Sängerbund verweigert werden.
    • LG Karlsruhe, Urt. v. 11.08.2000 2 O 243/00; NJW-RR 2002, 111
  • 1.     Die Eventualeinberufung einer Wiederholungsversammlung mit geringeren Anforderungen an ihre Beschlußfähigkeit im Anschluß an eine beschlußunfähige Mitgliederversammlung muß in der Satzung ihre Rechtsgrundlage haben.
    2.     Beschlüsse, die in einer Mitgliederversammlung gefaßt wurden, die aufgrund einer nicht durch die Satzung zugelassenen Eventualeinberufung stattfand, sind grundsätzlich nichtig.
    3.     Derartige Beschlüsse darf das Registergericht nicht im Vereinsregister eintragen.
    • BayObLG, Beschl. v. 18.09.2002 - 3Z BR 148/02; NJW-RR 2002, 1612; NZG 2002, 1069; FGPrax 2002, 266; Rpfleger 2003, 90
  • Das Irreführungsverbot gem. § 18 Abs. 2 BGB gilt für den Namen eines Vereins entsprechend.
         Weist der Name eines Vereins als Namensbestandteil „Bundesverband" auf, so wird dadurch bei durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern der Eindruck erweckt, der Verein nehme eine Größenordnung ein, die bundesweit von der Mitgliederzahl her eine nennenswerte Position hat.
    • LG Traunstein, Beschl. v. 28.01.2008 - 4 T 3931/07; Rpflegr 2008, 580

  • Das Registergericht hat nach allgemeinen registerrechtlichen Grundsätzen regelmäßig davon auszugehen, dass ein protokollierter Beschluss über die Neuwahl des Vereinsvorstandes wirksam zustande gekommen ist.
         Sofern nicht begründete Zweifel an der Wirksamkeit des zur Eintragung angemeldeten Beschlusses bestehen, ist das Registergericht nicht gehalten, im Wege der Zwischenverfügung vom Anmeldendenden weitere Nachweise (hier: Mitteilung, aus wie vielen Mitgliedern der Verein bestehe und wie viele Mitglieder in der Versammlung anwesend gewesen seien) zu verlangen.

  • Die Mitgliedschaft in einem Verein endet bei Wegfall der Voraussetzungen der Mitgliedschaft nicht automatisch ohne weitere Maßnahmen des Vereins, sondern nur wenn dies in der Satzung ausdrücklich bestimmt ist.
         Ein Recht zum sofortigen Austritt aus einem Verein besteht nur, wenn durch den Verbleib in dem Verein eine unerträgliche Belastung entstehen würde, die dem Vereinsmitglied nicht zugemutet werden kann, und wenn der zum Austritt berechtigende wichtige Grund nicht in der Risikosphäre des seine Mitgliedschaft kündigenden Vereinsmitglieds liegt.



  • Beschlüsse und Wahlen der Mitgliederversammlung eines Vereins können bereits deswegen unwirksam sein, weil die Mitgliederversammlung unter Missachtung einer zwingenden Vorschrift der Vereinssatzung einberufen worden ist.

  • Die Einberufung der Mitgliederversammlung eines eingetragenen Vereins per E-Mail ohne Unterschrift ist formwirksam, wenn die Vereinssatzung eine schriftliche Form der Einberufung vorsieht.

  • Das Erfordernis einer schriftlichen Einladung oder Einberufung der Mitgliederversammlung eines Vereins bedeutet regelmäßig die Bekanntmachung der vom zuständigen Vereinsorgan urkundlich abgefassten Einladung. Eine eigenhändige Unterschrift des Einladenden unter die Einladung ist regelmäßig nicht notwendig.

  • 1.     Ein studentischer Verein, dessen Zweck die unentgeltliche außergerichtliche Rechtsberatung der Studenten einer Universität und aller Bürger ist, kann nicht in das Vereinsregister eingetragen werden, weil § 7 RDG dem entgegensteht.
    2.     Zwar ist eine Berufshaftpflichtversicherung für im Verein beratend tätige Personen im RDG nicht vorgesehen. Gleichwohl kann ein Verein nach § 7 Abs. 2 RDG nicht ins Vereinsregister eingetragen werden, wenn er nicht über eine finanzielle Ausstattung verfügt, die bis zu einem gewissen Grade das Haftungsrisiko aus einer Falschberatung auffangen kann.
    3.     Personell muss die Rechtsdienstleistung nach § 7 Abs. 2 RDG durch eine Person, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgen. Das Rechtsdienstleistungsgesetz dient dazu, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, § 1 Abs. 1 S. 2 RDG. Wegen der gravierenden Auswirkungen unqualifizierter Rechtsberatung muss der Staat sicherstellen, dass die Interessen der beratenen Personen auf eine fachlich einwandfreie Rechtsberatung gewahrt werden, und zwar unabhängig davon, ob die Rechtsberatung entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt.

  • Schreibt eine Vereinssatzung die schriftliche Einladung zur Mitgliederversammlung vor, können die Mitglieder auch per Email eingeladen werden. Die Schriftform soll die Kenntnis der Mitglieder von der anberaumten Versammlung und ihrer Tagesordnung gewährleisten. Dem Formzweck wird genügt, wenn Einladung und Tagesordnung zur Mitgliederversammlung per Email ohne Unterschirift des Vorstandes übermittelt wird. 

  • Ist die durch Vereinsvorstand einberufene Mitgliederversammlung nicht beschlussfägig und sieht die Satzung für diesen Fall vor, dass der Versammlungsleiter die Versammlung auflösen und sofort als neue Mitgliederversammlung wieder einberufen kann und dass diese Versammlung ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen Mitglieder beschlussfähig ist, so ist die bereits im Einladungsschreiben des Vorstands enthaltene Ersatzeinladung nur rechtswirksam, wenn diese Form der Ersatzeinladung in der Satzung vorgesehen ist.

  • 1.     Die durch das Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen vom 28.09.2009 und durch das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21.03.2013 neu geschaffenen Regelungen der § 31a, § 31b BGB stehen der Satzungsbestimmung eines Vereins nicht entgegen, mit der die Haftung eines ehrenamtlich tätigen Organmitglieds (§ 31a Abs. 1 Satz 1 BGB) bzw. Vereinsmitglieds (§ 31b Abs. 1 Satz 1 BGB) dem Verein gegenüber auf vorsätzliches Handeln beschränkt wird.
    2.     § 31a Abs. 1 Satz 1 und § 31b Abs. 1 Satz 1 BGB gewährleisten einen Mindestschutz des Organmitglieds bzw. besonderen Vertreters (§ 31a BGB) sowie des einfachen Vereinsmitglieds (§ 31b BGB) bei dessen Haftung dem Verein gegenüber. Sie sind nur im Rahmen dieses Schutzzwecks gemäß § 40 BGB zwingend, so dass durch eine Satzungsbestimmung hiervon nicht zum Nachteil des geschützten Personenkreises abgewichen werden kann. § 40 BGB schließt eine weitergehende satzungsmäßige Haftungsbeschränkung (auch für grob fahrlässiges Verhalten) dem Verein gegenüber zum Vorteil des geschützten Personenkreises nicht aus.

  • 1.     Durch die Zugehörigkeit zu einem Vereinsvorstand wird eine Rechte und Pflichten enthaltende organschaftliche Rechtsstellung begründet.
    2.     Fehlt es an einer Satzungsbestimmung, derzufolge nur Vereinsmitglieder dem Vorstand angehören dürfen, hat der Austritt von Vorstandsangehörigen aus dem Verein nicht den Verlust ihrer Ämter zur Folge, sofern sich nicht die Zugehörigkeit eines Nichtmitglieds zum Vereinsvorstand aufgrund ständiger Übung (Gewohnheitsrecht) oder nach der Struktur und Zielsetzung des Vereins verbietet.
    3.     Für die Annahme von Gewohnheitsrecht genügt allein die Tatsache, dass sich sämtliche bisherigen Vorstände nur aus Vereinsmitgliedern zusammengesetzt haben, nicht.
    4.     Wurde die Jahreshauptversammlung durch Personen einberufen, die nach der Satzung hierfür nicht zuständig gewesen sind, sind die in der Jahreshauptversammlung durchgeführten Vorstandswahlen nichtig.
  • Die Mitgliederversammlung eines eingetragenen Vereins kann den Vorstand durch Mehrheitsbeschluss nicht zu einem Tun oder Unterlassen bestimmen, wenn in der Satzung des Vereins die diesbezügliche Entscheidung ausdrücklich dem Vorstand übertragen worden ist und eine Satzungsänderung mit dem Ziel der Beschränkung der Befugnisse des Vorstands nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat.
  • 1.     Für das Vereinsrecht gilt der Grundsatz, dass der Verstoß gegen zwingende Vorschriften des Gesetzes oder der Satzung zur Nichtigkeit führt. Die wirksame Wahl des Vorstandes eines Vereins durch die Mitgliederversammlung setzt gem. § 32 BGB die ordnungsgemäße Einberufung der Mitgliederversammlung voraus. Die Nichtladung eines Teils der Mitglieder ist ein Einberufungsmangel, der einen Nichtigkeitsgrund begründet (vgl. BGH, Urteil v. 13.02.2006, II ZR 200/04, NJW-RR 2006, 831; BayObLG, Beschluss v. 10.07.1996 - 3Z BR 78/96, NJW-RR 1997, 289; Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl. § 32 Rn. 9; Notz in beck-online Großkommentar BGB, Stand 15.09.2018 § 32 Rn. 45, 222).
    2.     Das Teilnahmerecht geht über das Recht, an der Abstimmung mitzuwirken, hinaus und ist auch dann unerziehbar und deshalb zu gewährleisten, wenn ein Teil der nicht geladenen Mitglieder in der Versammlung nicht stimmberechtigt gewesen wäre. Infolge Nichtladung sind auch diese Mitglieder gehindert worden, die Willensbildung durch Beiträge in der Aussprache zu beeinflussen. Die Relevanzschwelle ist mithin überschritten, auf Kausalitätserwägungen kommt es nicht an (vgl. BGH, Urteil v. 13.02.2006; OLG Brandenburg, Urteil v. 03.07.2012 a.a.O.).

Sozialgerichte:
  • 1.     Aufgaben und Tätigkeiten, die Ausfluss der organschaftlichen Stellung einer ein Ehrenamt ausübenden Person und nicht für jedermann frei zugänglich sind, führen regelmäßig nicht zu einer persönlichen Abhängigkeit im Sinn eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses.
    2.     Eine ehrenamtliche Tätigkeit ist im Unterschied zu erwerbsorientierten Beschäftigungsverhältnissen dadurch geprägt, dass sie ideelle Zwecke verfolgt und ohne Erwerbsabsicht unentgeltlich ausgeübt wird.
    3.     Bei einem ehrenamtlichen Engagement wird typischerweise keine Gegenleistung erbracht und erwartet, sondern allenfalls eine Entschädigung gewährt, die Aufwände konkret oder pauschal abdeckt.
  • 1.     Aufwandsentschädigungen nach § 3 Nr. 26 und 26a Einkommensteuergesetz (Übungsleiterpauschale und Ehrenamtspauschale) gelten beim Arbeitslosengeld I und II nicht als anrechnungsfähiges Einkommen. Die Nichtanrechnungsgrenze erhöht sich dabei auf insgesamt bis zu 200 Euro. Das gilt nicht nur für Aufwandsentschädigungen im Wortsinn.
    2.     Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zahlungen eine "Aufwandsentschädigung" oder eine Vergütung sind. Greift die Regelung des § 3 Nr. 26 und 26a Einkommensteuergesetz, erfolgt grundsätzlich keine Anrechnung.

Verfahrensdauer

  • Für die  Frage, wann ein Gerichtsverfahren unangemessen lang dauert, gibt es keine festen Richtwerte. Angesichts der Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit der Verfahren ist es in Verwaltungsprozessen in der Regel auch nicht möglich, sich an angenommenen oder statistisch ermittelten Verfahrenslaufzeiten zu orientieren. Vielmehr hängt die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer stets von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Schwierigkeit des Verfahrens, von dessen Bedeutung und vom Verhalten der Beteiligten. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht insoweit zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind.

Versetzung


  • Die Tatsache, dass Beamte, Richter und Soldaten, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, im Umzugskostenrecht wie Alleinstehende behandelt werden, verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art 2 Abs. 1 GG.


    • BVerwG, Urt. v. 19.12.1994 - 10 C 1.92: BVerwGE 97, 255; NJW 1995, 1847; DÖV 1995, 559
       

  • Zur Frage des wichtigen Grundes für die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses wegen Ortswechsels, um eine nichteheliche Lebensgemeinschaft zu begründen siehe unter "eheähnlich"

Versicherungen

  • Übernimmt ein Elternteil, dessen Kind aufgrund der Trennung der Eltern nicht ständig bei ihm lebt, im Rahmen des ihm rechtlich möglichen Maßes tatsächlich Verantwortung für sein Kind und hat häufigen Umgang mit diesem, der ein regelmäßiges Verweilen und Übernachten im Haushalt des Elternteils umfasst, entsteht zwischen Elternteil und Kind eine häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X, die in gleicher Weise dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterliegt wie diejenige, bei der Elternteil und Kind täglich zusammenleben.
  • § 67 Abs. 2 VVG a.F. ist analog auch auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anwendbar.
  • Das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X gilt auch für den Forderungsübergang gemäß § 5 Abs. 1 OEG, § 81a Abs. 1 Satz 1 BVG
  • § 67 Abs. 2 VVG a.F. (entsprechend § 86 Abs. 3 VVG  n.F.) führt in den dort geregelten Fällen des Ausschlusses des gesetzlichen Anspruchsübergangs auch zur Unwirksamkeit einer entsprechenden "ad hoc" - Abtretung, selbst wenn hinter dem Familienangehörigen ein Haftpflichtversicherer steht.
    • OLG Schleswig-Holsteinisch, Urt. v. 17.11.2010 - 7 U 100/09

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  • Das Familienprivileg des § 67 Abs. 2 VVG ist auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht anzuwenden.
    • OLG Hamm, Urt. v. 29.04.1993 - 27 U 242/92, NJW-RR 1993, 1443; VersR 1993, 1513
  • Die Regelung des § 67 Abs. 2 VVG, das sogenannte Familienprivileg, ist auf die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft
  • entsprechend anzuwenden.
    • LG Saarbrücken, Urt. v. 19.09.1994 - 6 O 60/94; VersR 1995, 158
    • bei Lebensgefährten mit einem gemeinsamen Kind; OLG Brandenburg, Urt. v. 06.03.2002 - 14 U 104/01; NJW 2002, 1581; VersR 2002, 839; NVersZ 2002, 302; FPR 2002, 420
    • OLG Naumburg, Urt. v. 15.05.2007 - 9 U 17/07; VersR 2007, 1405
  •  nicht entsprechend anzuwenden.
    • OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 22.09.1995 - 2 U 210/94; VersR 1997, 561
    • OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 03.04.1998 - 25 U 163/97; MDR 1998, 1163
    • OLG Hamm, Beschl. v. 22.02.1999 - 6 U 180/98; NVersZ 1999, 559
    • OLG Koblenz, Urt. v. 23.12.2002 - 12 U 1404/01; VersR 2003, 1381 

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  • Der jeweilige Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, der erlaubtermaßen im Haushalt des Versicherungsnehmers in dessen Interesse tätig wird, kann Mitversicherter gemäß Nr. II 2 der besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen in den AHB sein mit der Folge, dass ein Regress des Versicherers aus gemäß § 67 Abs. 1 VVG übergegangenem oder abgeleitetem Recht nicht in Betracht kommt.
    • OLG Hamm, Urt. v.08.03.1996 - 20 U 3/96, NJW-RR 1997, 90, VersR 1997, 567 
  • Der mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehegatte ist zwar hinsichtlich des Hausrats kein Repräsentant des Versicherungsnehmers. Dieser muss sich aber ein schuldhaftes Verhalten seines Ehegatten nach § 79 VVG insoweit anrechnen lassen, als es um Gegenstände geht, die im Alleineigentum des Ehegatten oder im gemeinschaftlichen Eigentum beider Ehegatten (Bruchteilseigentum) stehen.
    Hinsichtlich der gemeinschaftlichen Gegenstände kommt eine Zurechnung nach § 79 VVG nur insoweit in Betracht, als es um den Eigentumsanteil des mitversicherten Ehegatten geht.
    • OLG Hamm, Urt. v. 04.02.1994 - 20 U 222/92, NJW-RR 1995, 287
  • Die Erklärung des Versicherungsnehmers gegenüber seinem Lebensversicherer, ein Dritter sei für die Todesfallleistung bezugsberechtigt, beinhaltet - bezogen auf das Valutaverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Dritten - regelmäßig den konkludenten Auftrag, dem Dritten nach Eintritt des Versicherungsfalles das Zuwendungsangebot des Versicherungsnehmers zu überbringen.
         Ob der Dritte die Versicherungsleistung im Verhältnis zu den Erben des Versicherungsnehmers behalten darf, beantwortet grundsätzlich allein des Valutaverhältnis (Fortführung von BGHZ 157, 79, 82 f. und der Senatsurteile vom 25.04.1975 - IV ZR 63/74 - VersR 1975, 706 unter 1 a; 01.04.1987 - IVa ZR 26/86 - VersR 1987, 659 unter 2).
         Erlangt der Dritte nach dem Tode des Versicherungsnehmers Kenntnis von seiner Bezugsberechtigung und fordert er deshalb vom Versicherer die Todesfallleistung, so wird ihm ein Schenkungsangebot des Versicherungsnehmers nicht schon dadurch übermittelt, dass der Versicherer Unterlagen zur Prüfung des Sachverhalts (hier die Übersendung des Versicherungsscheins und einer Sterbeurkunde) anfordert.
         Zur Auslegung einer an den Versicherer gerichteten Erklärung, nach deren Wortlaut die Erben des Versicherungsnehmers allein die im Deckungsverhältnis eingeräumte Bezugsberechtigung des Dritten anfechten.
         § 120 BGB ist nicht anzuwenden, wenn der dem Boten erteilte Auftrag vor Übermittlung der Erklärung an den Empfänger wirksam widerrufen wurde.

Volksverhetzung

  • Der in einem politischen Programm enthaltene, in das Internet eingestellte Aufruf, alle Ausländer von einer Beschäftigungf in Deutschland auszuschließen und sie auszuweisen, erfüllt den Tatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 1 a und b StGB.
         Zu den Anforderungen der Störung des öffentlichen Friedens i.S.v. § 130 Abs. 1 StGB.

Vollmacht

  • 1.     Aufgrund einer transmortalen Vollmacht kann der Bevollmächtigte auch nach dem Tod des Vollmachtgebers dessen Erben hinsichtlich des Nachlasses vertreten.
    2.     Eine Voreintragung der Erben ist weder für die Eintragung einer Auflassungsvormerkung noch einer Finanzierungsbelastung erforderlich, wenn die entsprechende Bewilligung auch für die Erben bindend geworden ist.

Vormundschaft

  • Bei der Auswahl eines Vormunds haben die Gerichte bestehende Familienbande zwischen Großeltern und Eltern zu bachten.
         Die Entscheidungen nach § 1697 BGB stehen - soweit nicht anderes bestimmt ist - unter dem Vorbehalt des Kindeswohls sowie den berechtigten Interessen der Beteiligten. 

Vorsorgevollmacht

  • a)     Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.
    b)     Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.
    c)Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
  • 1.     Eine Vollmacht bezüglich der Vermögensangelegenheiten des Vollmachtgebers berechtigt den Bevollmächtigten auch dann zu einer Verfügung über ein Bankkonto des Vollmachtgebers, wenn für dieses keine gesonderte Bankvollmacht erteilt worden ist.
    2.     Macht eine Bank die Verfügung des Vorsorgegebebevollmächtigten über ein Bankkonto des Vollmachtgebers trotz Vorliegens der Vorsorgevollmacht von unberechtigten Bedingungen abhängig, so haftet sie dem Vollmachtgeber für den diesem hierdurch entstandenen Schaden (hier: Die Aufwendungen für die Einschaltung eines Rechtsanwalts).
  • siehe außerdem unter "Betreuung"

Wohngeld


  • Bewohnen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die von einem Partner allein gemietete Wohnung gemeinsam, bleibt der auf den mitwohnenden Partner entfallende Kopfteil der Miete bei der Entscheidung über die Gewährung von Wohngeld außer Ansatz. Diese in § 7 Abs. 3 Satz 1 WoGG getroffene Kopfteilregelung ist verfassungsgemäß.

    • BVerwG, Urt. v. 04.11.1994 - 8 C 28/93; NJW 1995, 1569; ZMR 1995, 137
      Nach diesem Urteil gibt es für die Beantragung von Wohngeld zwei Möglichkeiten:

      • Sind beide Partner Mieter, können beide Partner Wohngeld beantragen. In diesem Fall findet § 7 Abs. 2 Nr. 2 WoGG Anwendung, das heißt, die Miete wird aufgeteilt. Dasselbe gilt, wenn nur einer der Mieter Wohngeld beantragt, weil der andere über ausreichendes Einkommen verfügt.
        In diesen Fällen werden die jeweiligen Wohngeldansprüche durch § 18 Abs. 2 Nr. 2 WoGG beschränkt, das heißt, die Antragsteller müssen sich das Einkommen ihres Partners anrechnen lassen. Zu diesem Zweck wird der individuell ermittelte Wohngeldbetrag bzw. ihre Summe mit dem Wohngeld verglichen, das zu gewähren wäre, wenn die beiden Partner verheiratet wären. Ist dieses geringer, werden die individuell ermittelten Wohngeldbeträge verhältnismäßig gekürzt oder sie entfallen ganz.
      • Ist die zweite Person mangels eigenem Mietrecht nicht antragsberechtigt, wird die anzurechnende Miete um den auf den zweiten Partner entfallenden Kopfteil nach § 7 Abs. 3 Satz 1 WoGG gekürzt. In diesem Fall findet § 18 Abs. 2 Nr. 2 WoGG keine Anwendung.
         

  • Wirtschaften Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft aus einem Topf, der nur von dem über Einkommen verfügenden Partner gespeist wird, so ist die Annahme, dieser Partner überlasse seinem einkommenslosen Partner Sachzuwendungen, die bei dessen Wohngeldanspruch einkommenserhöhend und damit wohngeldmindernd zu berücksichtigen sind, nicht gerechtfertigt.
    Wenn bei einem gemeinsamen Mietverhältnis der verdienende Partner aufgrund einer Vereinbarung im Innenverhältnis die Mietzahlung allein übernimmt, ist die (gesamte) Miete nur bei seinem Wohngeldanspruch anzusetzen.

    • OVG Münster, Beschl. v. 13.03.1997 - 14 E 4487), DVBl. 1997, 1447; NVwZ-RR 1998, 42

Wohnungsrecht

  • Kann der Übernehmer die in einem Übergabevertrag vereinbarte Verpflichtung zur umfassenden Pflege des Übergebers wegen dessen medizinisch notwendiger Unterbringung in einem Pflegeheim nicht mehr erfüllen, muß er ohne entsprechende Abrede die Kosten der Heimunterbringung nicht tragen; wohl aber muß er sich an ihnen in Höhe seiner ersparten Aufwendungen beteiligen.
    • BGH, Urt. v. 21. September 2001 - V ZR 14/01; NJW 2002, 440; FamRZ 2002, 1178; WM 2002, 598; ZEV 2002, 116; ZErb 2002, 158; DNotZ 2002, 702; NotBZ 2002, 182; RNotZ 2002, 279; ZNotP 2002, 109; MittBayNot 2002, 179;  MDR 2002, 271
  • Hat der Altenteilsberechtigte seinen Grundbesitz im Wege vorweggenommener Erbfolge auf seinen Sohn übertragen, um im Gegenzug wegen aller seiner Grundbedürfnisse für den Lebensabend abgesichert zu sein, ist die für den Fall der Unterbringung des Altenteilsberechtigten in einem Pflegeheim bestehende Vertragslücke in der Weise zu schließen, daß sich der Altenteilsverpflichtete hinsichtlich der Leistungen, die infolge der Heimunterbringung nicht mehr in Natur erbracht werden können, in Höhe der ersparten Aufwendungen an den Pflegekosten zu beteiligen hat (Fortführung BGH, 21. September 2001, V ZR 14/01, WM 2002, 598).
         Eine Regelung in einem Altenteilsvertrag, die den Altenteilsverpflichteten frei werden läßt, wenn der Berechtigte auf Dauer in einem Pflegeheim untergebracht wird, ist kein Vertrag zu Lasten Dritter im Rechtssinne. Denn der Vertrag begründet nicht Verpflichtungen Dritter, also des Sozialhilfeträgers (Fortführung BGH, 21. September 2001, V ZR 14/01, WM 2002, 598).
  • Ein in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führt nicht generell zum Erlöschen des Wohnungsrechts, selbst wenn das Hindernis auf Dauer besteht.
         Kann der Berechtigte sein auf Lebenszeit eingeräumtes Wohnungsrecht wegen eines medizinisch notwendigen Aufenthalts in einem Pflegeheim nicht ausüben, kommt die Begründung einer Zahlungspflicht des Verpflichteten im Wege der Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage nur in Betracht, wenn der Heimaufenthalt auf Dauer erforderlich ist und die Vertragsschließenden nicht mit dem Eintritt dieses Umstands gerechnet haben; fehlen diese Voraussetzungen, kann die ergänzende Vertragsauslegung einen Geldanspruch des Berechtigten begründen.
    • BGH, Urt. v. 19.01.2007 - V ZR 163/06; NJW 2007, 1884; FamRZ 2007, 632; WuM 2007, 139; NZM 2007, 381; NotBZ 2007, 133; ZEV 2007, 391; RPfleger 2007, 308; MDR 2007, 708; MittBayNot 2008, 42
  • Kann ein auf Lebenszeit eingeräumtes Wohnungsrecht wegen Pflegebedürftigkeit des Wohnungsberechtigten nicht mehr ausgeübt werden, führt die ergänzende Vertragsauslegung nicht ohne weiteres zu einem Anspruch des Wohnungsberechtigten auf Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung.
         Die Entstehung einer Zahlungspflicht durch Wegfall der Geschäftsgrundlage setzt voraus, dass die Vertragsparteien einen möglichen Eintritt der Pflegebedürftigkeit nicht vorhergesehen haben.
  • Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines Wohnungsrechts keine Regelung, wie die Wohnung genutzt werden soll, wenn der Wohnungsberechtigte sein Recht wegen Umzugs in ein Pflegeheim nicht mehr ausüben kann, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Eine Verpflichtung des Eigentümers, die Wohnung zu vermieten oder deren Vermietung durch den Wohnungsberechtigten zu gestatten, wird dem hypothetischen Parteiwillen im Zweifel allerdings nicht entsprechen.
         Der dauerhafte Umzug ins Pflegeheim führt regelhaft nicht zur Anpassung der Wohnungsrechtbestellung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).
  • Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines Wohnungsrechts keine Regelung, wie die Wohnung genutzt werden soll, wenn der Wohnungsberechtigte sein Recht wegen Umzugs in ein Pflegeheim nicht mehr ausüben kann, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Eine Verpflichtung des Eigentümers, die Wohnung zu vermieten oder deren Vermietung durch den Wohnungsberechtigten zu gestatten, wird dem hypothetischen Parteiwillen im Zweifel allerdings nicht entsprechen.
    • BGH, Urt. v. 06.02.2009 - V ZR 130/08; NJW 2009, 1348; FamRZ 2009, 598; JR 2010, 162, m. Anm. Weber, Christoph, 164; NZM 2009, 251; ZMR 2009, 434; WuM 209, 241; DNotZ 2009, 441, m. Aufs. Herrle, Sebastian, 408; ZNotP 2009, 147; NotBZ 2009, 221; MittBayNot 2009, 294, m. Aufs. Volmer, Michael, 276; Rpfleger 2009, 309;  ZEV 2009, 254; MDR 2009, 559