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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Ratgeber: Asylrecht für geflüchtete Lesben und Schwule

Rechtsratgeber: Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität (Stand: 2019)

Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ist ein anerkannter Asylgrund. Was ist im Asylverfahren für LSBTI-Geflüchtete zu beachten? Wie ist die Rechtsprechung?

Hinweis: Der Asylratgeber ist Stand erstes Halbjahr 2019: Die im Sommer 2019 beschlossenen Änderungen am Asylrecht (insb. Geordnetes-Rückkehr-Gesetz) haben noch keinen Eingang in den Ratgeber gefunden.

1. Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Im Asylverfahren prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ob der Antragsteller:

  1. als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG oder
  2. als Flüchtling im Sinne der §§ 3 Abs. 1 AsylG, 60 Abs. 1 AufenthG anzuerkennen ist,
  3. ob ihm subsidiärer Schutz im Sinne der §§ 4 Abs. 1 AsylG, 60 Abs. 2 AufenthG zuzuerkennen ist oder
  4. ob ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG besteht.

Siehe dazu auch die Übersicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages: "Kategorien des asylrechtlichen Schutzes in Deutschland" (Stand: 15.12.2015).

--- 1.1. Anerkennung als Asylberechtigter

Während Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ursprünglich ein uneingeschränktes Grundrecht auf Asyl gewährte, wurde dieses Grundrecht im Jahre 1993 durch die Streichung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und seine Ersetzung durch Art. 16a GG wesentlich eingeschränkt.
Zu diesen Einschränkungen gehört insbesondere die Einführung der Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 GG (siehe unten) und das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten in Art. 16 Abs. 3 GG (siehe unten).
Eine Anerkennung als Asylberechtigter ist wegen der Einschränkungen in Art. 16a GG eher selten, da lediglich Einreisen auf dem Luftwege, die zudem nicht aus einem sicheren Drittstaat erfolgen dürfen, zu einer Anerkennung als Asylberechtigter führen können.

--- 1.2. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Der Gesetzgeber hat inzwischen den völkerrechtlichen Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention wörtlich in das nationale Recht übernommen, siehe § 3 Abs. 1 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG.
Wenn ein Asylbewerber wegen seiner Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16 a GG anerkannt und er auch nicht in einen Drittstaat abgeschoben werden kann, wird ihm Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG zuerkannt, wenn ihm in seinem Heimatland Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Er darf dann nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben werden.

--- 1.3. Subsidiärer Schutz

Wer die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht erfüllt, aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein "ernsthafter Schaden" droht, hat Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafter Schaden gelten: 

  1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
  2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
  3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts .

--- 1.4. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. § 60 Abs. 5 AufenthG enthält somit keine eigenständige Regelung, sondern nimmt nur deklaratorischen Bezug auf die EMRK und die sich aus ihr ergebenden Abschiebungsverbote. 
Da das Verbot der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung durch Art. 3 EMRK bereits von § 60 Abs. 2 AufenthG (und von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - subsidiärer Schutz) erfasst wird, kommt § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht, wenn im Einzelfall andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind.
Allerdings ist eine Abschiebung bei Eingriffen in den Kernbereich solcher anderen, speziellen Konventionsgarantien - wie der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK - nicht in jedem Fall unzulässig, sondern nur in krassen Fällen, wenn die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK führt.
§ 60 Abs. 5 AufenthG schützt nur vor Menschenrechtsverletzungen, die Asylbewerbern in dem Staat drohen, in den sie abgeschoben werden sollen. Er erfasst nur "zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse. 
Das von Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Wahrung des Familienlebens ist bei der Abschiebung nur eines Teils der Familienmitglieder kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, sondern ein mögliches inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Es ist von der für den Vollzug der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen, wobei Art. 8 EMRK nicht über den ohnehin zu beachtenden Schutz von Art. 6 GG hinausgeht.
Anders wenn lesbische oder schwule Asylbewerber in einen Staat abgeschoben werden sollen, in denen sie nicht offen mit einem gleichgeschlechtlichen Partner als Paar zusammenleben können. Die durch die Abschiebung drohende Verletzung ihres Menschenrechts auf Achtung des Familienlebens ist ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG; siehe unten den Abschnitt: "Das Recht, offen als Paare zusammenleben zu können".

--- 1.5. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zu gewähren, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das gilt aber nicht für Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Wenn die allgemeinen Gefahren „infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ drohen, haben die Asylbewerber Anspruch auf Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte, siehe oben
Wenn die allgemeinen Gefahren die Folge von Naturkatastrophen oder Ähnlichem sind, können dem die obersten Landesbehörden durch Anordnungen nach § 60a Abs. 1 und § 23 Abs. 1 AufenthG Rechnung tragen. Unterbleiben solche Anordnungen, darf nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwGE 99, 324 (328); BVerwGE 115, 1; BVerwGE 137, 226, Rn. 15)..
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt insbesondere in Betracht, wenn die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung infolge fehlender oder nicht ausreichender Behandlung im Zielstaat droht.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Krankheiten ein Abschiebungsverbot zu bejahen, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.
Ein strengerer Maßstab gilt nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Krankheitsfällen dann, wenn die zielstaatsbezogene Verschlimmerung von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren ist. Dies kommt bei Erkrankungen in Betracht, wenn es - etwa bei AIDS - um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 und § 23 Abs. 1 AufenthG besteht. In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie oben erwähnt, in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist.
So ist bisher auch das BAMF verfahren, siehe dazu die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE zur „Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Abschiebungsschutz für HIV-Infizierte“, Bundestagsdrucksache 16/6029 vom 09.07.2007.
Inzwischen hat der Gesetzgeber den Abschiebeschutz aus gesundheitlichen Gründen stark eingeschränkt. Er hat bestimmt (§ 60 Abs. 7 AufenthG):

  1. dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
    Nach der Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7538 , S. 18), stellen Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) keine lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen dar, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. In Fällen einer PTBS sei deshalb die Abschiebung regelmäßig möglich, „es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung“
  2. dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig zu sein braucht und
  3. dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
    Insoweit geht aber Art. 8 der Qualifikationsrichtline 2011/95/EU vor. Danach dürfen kranke Asylbewerber auf die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in einem Teil des Zielstaates nur verwiesen werden, wenn die Versorgung mit Blick auf die Situation des Betroffenen erreichbar ist, so auch § 3e AsylG.

    Außerdem hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, Abschiebeschutz aus Gesundheitsgründen zu erlangen, zusätzlich durch folgende Verfahrensregeln eingeschränkt (§ 60a Abs. 2 c und d AufenthG):

  1. Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
  2. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.

    Diese muss folgende Bedingungen erfüllen (siehe die "Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz", Seite 18 ff):

    Aussteller der qualifizierten ärztlichen Bescheinigung:

    Die ausstellende Person muss eindeutig erkennbar und berechtigt sein, in der Bundesrepublik Deutschland die Bezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" zu führen. Nach § 2a der Bundesärzteordnung ist hierfür Voraussetzung, dass diese Person als Arzt approbiert oder nach § 2 Absatz 2, 3 oder 4 der Bundesärzteordnung zur Ausübung des ärztlichen Berufs befugt ist.

    Nicht ausreichend ist eine Approbation in einem anderen Heilberuf (etwa Apotheker, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Tierärzte, Zahnärzte, Hebammen und Heilpraktiker).

    Inhalt der qualifizierten ärztlichen Bescheinigung:

    § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG bestimmt:  Die ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Dazu wird in den Anwendungshinweisen auf Seite 20f. gesagt:

    "Die gesetzliche Soll-Regelung geht dabei über die inhaltlichen Anforderungen hinaus, die von der Rechtsprechung bereits zuvor im aufenthaltsrechtlichen Zusammenhang an ärztliche Atteste gestellt worden sind (vgl. BVerwG vom 11.9. 2007 - 10 C 8/07 zu einer Bescheinigung einer posttraumatischen Belastungsstörung). Insgesamt kommt es entscheidend darauf an, dass eine schlüssige und aussagekräftige Darstellung des Krankheitsbildes und der sich darauf ergebenden Reiseunfähigkeit gegeben ist. Die Anforderungen dürfen aber auch nicht überspannt werden, insgesamt geht es darum, sog. Gefälligkeitsbescheinigungen auszuschließen. Im Einzelnen sollen aus der Bescheinigung hervorgehen: 
    1. die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist: Dies kann z.B. durch die Darstellung der Krankheitsvorgeschichte sowie Zeitpunkt oder Zeitraum der entsprechenden Tatsachenerhebung erfolgen; 
    2. die Methode der Tatsachenerhebung: z.B. durch Angabe, welche Untersuchungen ggfs, vorgenommen worden sind, um andere Befunde auszuschließen; sind einzelne Tatsachen unter Hinzuziehung anderer Angehöriger von Heilberufen ermittelt worden, ist dies substantiiert anzugeben; ebenso ist anzugeben, welche Angaben (insbesondere zur Anamnese) auf eigenen Angaben des betroffenen Ausländers oder auf Angaben Dritter, etwa von Angehörigen, beruhen; 
    3. die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose): Es handelt sich um die Schlussfolgerung, die sich aus den gemäß a dargestellten Tatsachen nach Anwendung der gemäß b genannten Untersuchungen nach dem Stand der Medizin fachlich ergibt; 
    4. den Schweregrad der Erkrankung: Hierbei handelt es sich um ein Element der fachlich-medizinischen Beurteilung; auch die Angaben zum Schweregrad der Erkrankung sind also aus den gemäß a dargestellten Tatsachen nach Anwendung der gemäß b genannten Untersuchungen abzuleiten; 
    5. die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben: Hierbei ist auf die Folgen für die Gesundheit des betroffenen Ausländers abzustellen, die mit einer freiwilligen Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung einhergehen würden; es muss ein Bezug zur Erkrankung und ihrem Schweregrad bestehen; beachtlich sind nur ärztlich beurteilbare Schlussfolgerungen in der Bescheinigung, nicht aber zum Beispiel Mutmaßungen zu Verhältnissen in einem möglichen Zielstaat nach einer Rückkehr des betroffenen Ausländers; zulässig und beachtlich sind allerdings etwa Ausführungen zu gesundheitlichen Folgen, wenn bestimmte Behandlungs- oder Therapiemöglichkeiten entfallen.

    Der erforderliche Inhalt der Bescheinigung muss nicht in jedem Fall genau schematisch diesen Anforderungen entsprechen („soll“); insbesondere kann es in offensichtlichen oder gravierenden Fällen unschädlich sein, wenn einzelne der genannten Elemente fehlen, wenn die Bescheinigung dennoch als „qualifiziert“ beurteilt werden kann. Nicht qualifiziert ist auf jeden Fall eine Bescheinigung, die lediglich eine Diagnose enthält.

    Nach dem Gesetzeswortlaut soll die qualifizierte Bescheinigung „insbesondere“ die beispielhaft genannten Angaben enthalten. Dies bedeutet einerseits, dass darüber hinaus gehende Angaben unschädlich sind, und andererseits, dass - ggfs, im Wege der Anforderung eines Nachtrages - ausnahmsweise weitere Angaben angefordert werden können, wenn im Einzelfall die Bescheinigung für einen sachverständigen Leser nicht aus sich heraus schlüssig ist, obwohl sie aus formaler Sicht die unter a bis e genannten Angaben enthält.
  3. Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
  4. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet
  5. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen hinzuweisen.

Auf Seite 20 der Amtlichen Begründung wird dazu gesagt:
„Die Präklusion (Ausschluss) tritt nur dann ausnahmsweise nicht ein, wenn der Ausländer an der Einholung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung unverschuldet gehindert war oder soweit Gründe im Einzelfall vorliegen, die bereits zu einem Abschiebungshindernis nach § 60 Absatz 7 Satz 1 und 2 AufenthG führen würden, d. h. es liegen tatsächliche Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.“

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 21.06.2016, Az. 2 M 16/16, zu diesen Regelungen folgende Auffassung vertreten:
  1. Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht.
         
  2. Bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist die Ausländerbehörde nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
         
  3. Nur wenn der Ausländer in einem solchen Fall einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde entsprechend § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen.

Wir gehen davon aus, dass es kranken Asylbewerbern, über deren Anträge auf internationalen Schutz im beschleunigten Verfahren (siehe unten) entschieden wird, nicht mehr gelingen wird, Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu erlangen.

--- 1.6. Homosexuelle Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern

Die Rechtsfolgen der verschiedenen Anerkennungsformen sind sehr unterschiedlich (siehe unten). Das ist für homosexuelle Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wichtig.
So wird z.B. Flüchtlingen aus Syrien zurzeit im Schnellverfahren der subsidiäre Schutzstatus (siehe oben) zuerkannt, wenn kein anderer Dublin-Staat zuständig ist (siehe unten). Die Flüchtlinge erhalten dann eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die auch verlängert werden kann. Der subsidiäre Schutzstatus wird aber widerrufen, sobald der Bürgerkrieg zu Ende ist. Die Flüchtlinge müssen dann in ihr Heimatland zurückkehren. 
Außerdem ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus eingeschränkt, siehe unten und dort den Abschnitt "2. Nachzugsrecht zu Flüchltlingen mit subsidiärem Schutzstatus"
Homosexuelle Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern sollten sich deshalb bei ihrer Anhörung (siehe unten) nicht mit dem Hinweis abspeisen lassen, sie brauchten vorerst keine Angaben über ihre Verfolgung wegen ihrer Homosexualität oder über ihre Angst vor einer solchen Verfolgung zu machen, da sie ja ohne weiteres als Schutzberechtigte anerkannt werden. 
Sie müssen unbedingt darauf bestehen, dass sie nicht nur als subsidiär Schutzberechtigte, sondern auch als Flüchtlinge (siehe oben) anerkannt werden wollen und dass sie deshalb auch zu ihrer Verfolgung als Homosexuelle oder zu ihrer Angst vor einer solchen Verfolgung Angaben machen wollen. Wenn der Entscheider das ablehnt, müssen sie darauf bestehen, dass das im Anhörungsprotokoll vermerkt wird.
Sonst kann es ihnen passieren, dass ihnen später vorgehalten wird, ihre Angaben zu ihrer Homosexualität seinen unglaubwürdig, weil sie das nicht sofort mit vorgebracht hätten (siehe unten).

2. Einreise aus einem sicheren Herkunftsstaat

Asylanträge von Ausländern aus sicheren Herkunftsstaaten werden als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Art. 16a Abs. 3 GG, § 29a AsylG). Sichere Herkunftsstaaten sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in der Anlage II zu § 29a AsylG bezeichneten Staaten, das sind Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien - ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Senegal und Serbien. Die Länder Algerien, Georgien, Marokko und Tunesien sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.
Über Asylanträge von Asylbewerbern, die auf dem Luftweg einreisen und aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen, wird im Schnellverfahren auf dem Flughafengelände entschieden (§ 18a AsylG - siehe unten). Das Flughafenverfahren ist - mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 94, 166) - so ausgestaltet, dass ein wirksamer Rechtsschutz praktisch kaum möglich ist.
Über die Asylanträge aller anderen Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten wird im "Beschleunigten Verfahren" entschieden (§ 30a AsylG, siehe unten). Der Rechtsschutz ist genauso wie beim Flughafenverfahren eingeschränkt.
Bei Asylanträgen von Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten wird vermutet, dass die Betroffenen dort nicht politisch verfolgt werden. Die Asylbewerber müssen deshalb Tatsachen und Beweismittel vorbringen, die die Annahme begründen, dass ihnen in ihrem Herkunftsstaat abweichend von der allgemeinen Lage politische Verfolgung droht (Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG, § 29a Abs. 1 AsylG).
Der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat ist grundsätzlich als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist verkürzt sich auf eine Woche (§ 36 Absatz 1 AsylG), auch eine Klage ist innerhalb einer Woche zu erheben (§ 74 Absatz 1 AsylG) und hat keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Absatz 1 AsylG). Ein Antrag nach § 80 Absatz 5 der VwGO ist ebenfalls innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu stellen (§ 36 Absatz 3 Satz 1 AsylG), das Gericht soll grundsätzlich innerhalb einer Woche über den Antrag entscheiden (§ 36 Absatz 3 Satz 5 AsylG). 
Um zu verhindern, dass abgelehnte Antragsteller zeitnah wieder einreisen und einen Folgeantrag stellen, kann das BAMF bei offensichtlich unbegründeten Anträgen von Staatsangehörigen sicherer Herkunftsstaaten ein Wiedereinreiseverbot bei Ablehnung des Asylantrags erlassen (§ 11 Abs. 7 AufenthG). Es soll bei der erstmaligen Anordnung ein Jahr und im Übrigen drei Jahre nicht überschreiten. 
§ 61 Absatz 2 Satz 4 AsylG sieht für Asylberwerber, wenn sie ihren Asylantrag nach dem 31.08.2015 gestellt haben, für die gesamte Dauer des Asylverfahrens ein absolutes Beschäftigungsverbot vor. Nach § 47 Abs. 1 b AsylG können die Länder regeln, dass Ausländer - abweichend von Absatz 1 - verpflichtet sind, bis zur Entscheidung des BAMF über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet oder als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.

3. Einreise aus einem sicheren Drittstaat

Ausländer, die aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 GG eingereist sind, werden nicht als Asylberechtigte anerkannt. Sichere Drittstaaten sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in Anlage I zu § 26a AsylG bezeichneten Staaten, das sind Norwegen und die Schweiz.
Asylbewerber und Asylbewerberinnen können auf dem Landweg nur über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreisen. Es spielt keine Rolle, wenn unbekannt bleibt, über welchen Drittstaat die Asylbewerber eingereist sind. Es reicht aus, wenn feststeht, dass sie auf dem Landweg eingereist sind. 
Wenn Asylbewerber und Asylbewerberinnen auf dem Landweg in die Bundesrepublik einreisen wollen, wird ihnen die Einreise verweigert (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Wenn sie von den Grenzbehörden im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Einreise angetroffen werden, werden sie zurückgeschoben (§ 18 Abs. 3 AsylG). 
Ist der sichere Drittstaat bekannt, über den die Einreise erfolgt ist, werden die Ausländer dorthin abgeschoben. Ist nicht bekannt, über welchen sicheren Drittstaat die Asylbewerber eingereist sind, können sie in keinen Drittstaat zurückgeschoben werden.
Die Ausländer dürfen in solchen Fällen auch nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn dort ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Sie werden dann nach § 3 Abs. 1 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (siehe oben). Darüber entscheidet ebenfalls das BAMF.
Die deutsche Drittstaatenregelung findet keine Anwendung auf Personen, für die die Dublin-III-Verordnung gilt, siehe den folgenden Abschnitt.

4. Dublin Verfahren

Für die sicheren Drittstaaten und zusätzlich für Island und Liechtenstein gilt die Dublin III-Verordnung (VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. EU Nr. L 180/2013 S. 31). Das Dublin-Verfahren überlagert die deutsche Drittstaatenregelung.
Die Dublin III-Verordnung regelt, welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Das ist der Dublin-Staaten, in den ein Asylbewerber als erster (illegal) eingereist ist oder in dem bereits ein Asylverfahren anhängig ist oder war.
Wegen der weiteren Einzelheiten siehe unten.

5. Politische Verfolgung

Ein Ausländer erhält Asyl oder wird als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 AsylG).
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
Demgemäß hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 07.11.2013 entschieden (C-199/12 bis C-201/12, Rs. Minister voor Immigratie en Asiel), dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen (Ausnahme: strafbare Handlungen, z. B. Pädophilie), die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind.
Dasselbe gilt für sonstige Verfolgungshandlungen, die speziell Homosexuelle betreffen.

6. Verfolgungshandlungen

Der Begriff der Verfolgung wird in § 3a Abs. 1 AsylG umschrieben. Danach liegt eine Verfolgung nur vor, wenn die Handlungen aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Die Verletzungshandlungen können auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen.
In Betracht kommen insbesondere (vgl. § 3a Abs. 2 AsylG)  

  • die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt gegen Homosexuelle, 
  • gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen gegen Homosexuelle, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
  • eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung von Homosexuellen,
  • die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung.

Der EuGH hat deshalb in seinem Urteil vom 07.11.2013 darauf hingewiesen, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland  tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar.
Die Verfolgung kann vom Staat ausgehen, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die dort herrschenden Parteien und Organisationen einschließlich der internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. 
Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn der Staat oder die dort herrschenden Parteien oder Organisationen geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§§ 3 c und 3 d AsylG). 
Asylbewerber werden nicht als Flüchtlinge anerkannt, wenn sie in einem Teil ihres Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung zu haben brauchen oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung haben und sicher und legal in diesen Landesteil reisen können, dort aufgenommen werden und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlassen (Interner Schutz).
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen einzuholen (§ 3e AsylG).

7. Asyl für Homosexuelle

Homosexuelle können demgemäß in Deutschland Asyl erhalten, wenn sie in ihrem Heimatland wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden und die Gefahr droht, dass sie an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Die Verfolgungshandlungen müssen so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.
Dabei sind alle Akte zu berücksichtigen, denen die Asylbewerber ausgesetzt sind oder ausgesetzt zu werden drohen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. Solche Akte dürfen nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen.
Denn auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen kann die Qualität einer Verletzungshandlung haben. Diese Maßnahmen können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen wie z.B. Diskriminierungen beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen. Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung entspricht.
Beschimpfungen, Schmähungen und unsubstantiierte Drohungen sowie die Vermittlung eines Gefühls des Unerwünschtseins reichen dagegen als „Verfolgungshandlungen“ nicht aus. Sie sind nicht so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.  

7a Verfolgungsgefahr für unverfolgt ausgereiste Asylbewerber

--- Gefahr der Gruppenverfolgung


Wenn Asylbewerber und Asylbewerberinnen unverfolgt aus ihrem Herkunftsland ausgereist sind, werden sie als Flüchtlinge nur anerkannt, wenn sie zu einer verfolgten Gruppe gehören (Gefahr der Gruppenverfolgung)
Die Gefahr der Gruppenverfolgung ist gegeben, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein (staatliches) Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht.
Wenn ein solches Verfolgungsprogramm nicht existiert oder sich nicht sicher feststellen lässt, setzt die Annahme einer "Gruppenverfolgung" eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ der Verfolgung rechtfertigt. 
Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Anträge auf Asyl bzw. auf Abschiebeschutz sind bis vor einigen Jahren meist mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Asylbewerber ihre Homosexualität zurückgezogen in der Privatsphäre leben könnten und dann nicht gefährdet seien. Es wurde ihnen zugemutet, "sich äußerst bedeckt zu halten" bzw. "Diskretion walten zu lassen", um eine Verfolgung zu vermeiden. Dabei stützten sich das BAMF und die Verwaltungsgerichte auf Lageberichte des Auswärtigen Amtes, in denen die tatsächliche Situation von Schwulen und Lesben im Heimatland der Asylbewerber so dargestellt wurde, dass sich Lesben und Schwule dort im privaten Bereich ungefährdet sexuell betätigen könnten.
Diese Praxis ist aufgrund des oben erwähnten Urteils des EuGH vom 07.11.2013 nicht mehr möglich. Der EuGH hat entschieden: "Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden."(Leitatz 3)
Das BAMF und die Verwaltungsgerichte haben aber sehr schnell einen Ausweg gefunden und lehnen die Asylgesuche jetzt oft mit der Begründung ab, dass in dem Heimatstaat der Asylbewerber nicht gezielt nach Homosexuellen gefahndet werde und dass ein Strafverfahren gegen die Asylbewerber daher äußerst unwahrscheinlich sei. So argumentiert auch die Bundesregierung hinsichtlich der Magrebh-Staaten, die deshalb auch für Homosexuelle „sichere“ Herkunftsstaaten seien.
Zur Begründung dieser Behauptung wenden das BAMF und die Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Frage, ob unverfolgt ausgereiste lesbische, schwule und bisexuelle antragstellende Personen in ihrem Heimatland mit Strafverfolgung zu rechnen haben, einen Trick an. Sie vergleichen die vermutliche Gesamtzahl der Lesben, Schwulen und Bisexuellen im Herkunftsland der antragstellenden Person mit der sehr geringen Zahl von Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen. Deshalb sei die Wahrscheinlichkeit, dass gerade die antragstellende Person strafrechtlich verfolgt und verurteilt werde, als verschwindend gering einzuschätzen. Typisch für diese Argumentationsweise íst z.B. das Urteil Verwaltungsgerichts  Cottbus vom 07.11.2017, 5 K 1230/17.A. Es hat das Asylgesuch eines marokkanischen Antragstellers mit der Begründung abgelehnt (Rn. 39): "Bei wenigstens 1 Million Homosexueller in Marokko ist eine Zahl von 10-20, schlimmstenfalls 81 strafrechtlicher Verfahren (deren Ausgang, insbesondere in Bezug auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe offen ist), verschwindend gering und dementsprechend auch das Risiko einer Verfolgung von verschwindend geringem Gewicht."
Dabei wird außer Acht gelassen, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle als solche nicht zu erkennen sind, wenn sie aus Furcht vor Verfolgung ihre Homo- und Bisexualitätnur zurückgezogen in der Privatsphäre leben. Ihnen droht dann keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr.
Die Verfolgungsgefahr hängt von ihren willensgesteuerten Verhalten ab, ob sie sich verstecken oder nicht. Deshalb darf die hohe Zahl der Lesben, Schwulen und Bisexuellen, die aus Furcht vor Verfolgung ihre Sexualität nur im Verborgenen praktizieren, nicht in die Vergleichsbetrachtung mit einbezogen werden. Die Zahl der Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen darf nur mit der Zahl der Lesben, Schwulen und Bisexuellen verglichen werden, die sich nicht verstecken, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20.02.2013, 10 C 23.12, Rn. 33, juris, zur Verfolgung der Ahmadis in Pakistan.
Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der nicht versteckt lebenden Lesben, Schwulen und Bisexuellen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Lesben, Schwulen und Bisexuellen, für die ihre Homo- bzw. Bisexualität ein zentrales Element ihrer Identität darstellt und deshalb unverzichtbar ist, von den Einschränkungen ihrer Sexualität in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist (BVerwG a.a.O.).

--- Beweggründe für das Verstecktleben


Bei fehlender Vorverfolgung stellen das BAMF und Verwaltungsgerichte außerdem darauf ab, warum die antragstellenden Personen bisher diskret gelebt haben. Wenn sie angeben, dass sie bisher versteckt gelebt haben, weil sie befürchtet hätten, dass Sie und ihre Familie geächtet würden und dass ihre Familie sich von ihnen abwenden werden, pflegen das BAMF und die Verwaltungsgerichte zu argumentieren, dass die antragstellenden Personen diesen Lebensstil für sich akzeptiert haben und dass ihnen deshalb zugemutet werden könne, in ihrem Heimatland weiter so zu leben. 
Anders, wenn antragstellende Personen angeben, dass sie nicht nur aus Rücksicht auf ihre Familie versteckt gelebt haben, sondern vor allem aus Angst vor Strafverfolgung und gewalttätigen Reaktionen ihrer Familie und ihrer Nachbarschaft.

8. Das Recht, offen als Paare zusammenleben zu können

Lesbische und schwule Asylbewerber, die aus Ländern kommen, in denen das offene Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare nicht geduldet wird, können bei ihrer Antragstellung und Anhörung zusätzlich vortragen, dass sie ihr Heimatland nicht nur wegen drohender Verfolgung und gravierender Benachteiligungen verlassen haben, sondern auch, weil sie nicht mehr allein leben wollen. Sie ertrügen es nicht mehr, nur gelegentlich heimlich und mit großer Angst vor Entdeckung flüchtige Sexualkontakte haben zu können. Sie wollten endlich - genauso wie heterosexuelle Menschen - in Partnerschaften mit Menschen zusammenleben, die wie sie sexuell orientiert sind.
Das ist in vielen Ländern nicht möglich. Das Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Männer- und Frauenpaaren wird dort abgelehnt und löst gewalttätige Reaktionen ihrer Umwelt aus. Das ist nicht selten sogar in den Ländern der Fall, die Homosexuelle nicht bestrafen und die Antidiskriminierungsregeln erlassen haben, die auch für Homosexuelle gelten. Das trifft z.B. für die meisten Balkanstaaten zu, die als „sichere Herkunftsstaaten“ gelten.
Wenn in diesen Ländern bekannt wird, dass zwei Männer oder Frauen ein Paar sind, reagiert ihr privates Umfeld (Arbeitgeber und Arbeitskollegen, Professoren und Kommilitonen, Familien) darauf mit massiver Ablehnung bis hin zu Gewalttätigkeiten. Die Männer und Frauen werden von ihren Arbeitgebern entlassen und finden keine neue Arbeitsstelle mehr. In den Universitäten werden sie so behindert und ausgegrenzt, dass sie ihr Studium nicht mehr fortsetzen können. Von ihren Familien werden sie mit Gewalttätigkeiten bedroht.
Junge Lesben und Schwule können oft zusätzlich geltend machen, dass ihre Familien das Zusammenleben eines Sohnes oder einer Tochter mit einem Mann bzw. einer Frau unter keinen Umständen dulden und den Sohn bzw. die Tochter zur Eingehung einer Ehe zwingen werden (Gefahr der Zwangsverheiratung).
Die Polizei ist zwar möglichweise bereit, die Täter zu verfolgen, wenn es tatsächlich zu Tätlichkeiten gekommen ist. Das pflegt die Täter aber nicht abzuschrecken, weil sie nicht mit gravierenden Strafen zu rechnen brauchen und von ihrer Umgebung für die Verteidigung der Moral Anerkennung erfahren. Ein umfassender präventiver Schutz der Männer- und Frauenpaare vor Gewalttätigkeiten ist tatsächlich nicht möglich und weder von der Polizei, noch vom Arbeitgeber oder den Organen der Universität zu erwarten.
Deshalb ist Männer- und Frauenpaaren in diesen Ländern ein normales Zusammenleben als gleichgeschlechtliches Paar nicht möglich. Das ist eine asylrelevante schwere Menschenrechtsverletzung.
Dagegen darf nicht eingewandt werden, dass die Männer und Frauen keine Ablehnung und Ausgrenzung zu befürchten hätten, wenn sie ihre Partnerschaft geheim halten. Nach dem oben erwähnten Urteil des EuGH vom 07.11.2013 dürfen die nationalen Behörden bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von Asylbewerbern nicht verlangen, dass sie Zurückhaltung beim Ausleben ihrer sexuellen Ausrichtung üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
Die Tatsache, dass Lesben und Schwule in vielen Ländern nicht offen als Paar zusammenleben können, begründet zusätzlich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat schon immer anerkannt, dass die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens fällt. Seit dem Urteil vom 24.06.2010 in der Rechtssache Schalk und Kopf v. Österreich (Az. 30141/04, deutsche Übersetzung, NJW 2011, 1421) vertritt er die Auffassung, dass die gleichgeschlechtliche Partnerschaft in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte garantiert zwar die EMRK kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden. Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK berühren. Danach hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein Eingriff ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft. In beiden Fällen ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herzustellen. Im Ergebnis verpflichtet damit Art. 8 EMRK zu einer Abwägungslösung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen (BVerwG, Urt. v. 30.03.2010, Az. 1 C 8.09, Rnr. 34; Urt. v. 04.09.2012, Az. 10 C 12/12, Rn. 21).
Bei dieser Abwägung kommt dem Umstand entscheidendes Gewicht zu, dass es Lesben und Schwulen in dem Land, in das sie abgeschoben werden sollen, nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer unmöglich ist, als Paar mit einem Partner ihrer Wahl zusammenzuleben. Sie werden also durch die Abschiebung auf Dauer zu einem Leben als Single verurteilt. Das verstößt gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG steht eigenständig neben dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylG (subsidärer Schutz) und wird von ihm nicht verdrängt. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. (BVerwG, Urt. v. 31.03.2013, Az. 10 C 15.12, Rnr. 34 ff.).
Ganz wichtig ist, dass die Asylbewerber im Asylverfahren mit Nachdruck daraufhin weisen, dass es bei ihnen nicht um die Frage geht, ob Homosexuelle in ihrem Heimatland als Gruppe verfolgt werden, sondern ob dort das Zusammenleben als homosexuelles Paar abgelehnt wird und so starke Abwehrreaktionen auslöst, dass diese insgesamt als schwere Menschrechtsverletzung zu qualifizieren sind.
Zur Möglichkeit der Familienzuammenführung mit der Partnerin und dem Partner, die noch im Heimatland der Asylbewerber leben, siehe unten den Abschnitt "Familiennachzug".

9. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Verwaltungsgerichte

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 1988 unter der Geltung des alten Asylrechts Homosexuelle aus dem Iran als politisch Verfolgte anerkannt. Das Gericht hat damals ausgesprochen, dass ausländische Lesben und Schwulen mit "irreversibler, schicksalhafter homosexueller Prägung" Anspruch auf Asyl haben, wenn sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland in die Gefahr geraten, mit schweren Leibesstrafen oder der Todesstrafe belegt zu werden. Dagegen genügte nach dieser Rechtsprechung die Strafverfolgung wegen homosexueller Betätigung als solche nicht, wenn damit "nur" eine Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit und Moral geahndet werden sollte.
Diese Einschränkung beruhte auf der Erwägung, dass auch die Bundesrepublik Deutschland schwule Männer zwanzig Jahre lang verfolgt hat. Außerdem war damals § 175 StGB noch in Kraft, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte mit jungen Männern mit Strafe bedrohte, während einvernehmliche heterosexuelle Kontakte mit jungen Frauen straffrei waren. Das Bundesverwaltungsgericht wollte wohl verhindern, dass aus seinem Urteil der Vorwurf abgeleitet wird, auch die Bundesrepublik Deutschland habe die Schwulen "politisch verfolgt".
Aufgrund dieser Rechtsprechung wurden Homosexuelle als Asylbewerber nur anerkannt, wenn das BAMF und die Verwaltungsgerichte zu der Überzeugung gelangten, dass bei ihnen eine "irreversible Homosexualität" vorlag. Dazu wurden meist sexualpsychologische Gutachten eingeholt. Auf diese Prüfung verzichten das BAMF und die Verwaltungsgerichte inzwischen, siehe unten den Abschnitt „Prüfung des Vorbringens von homosexuellen Flüchtlingen“.

10. Ablauf des Asylverfahrens

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat den Ablauf des Asylverfahrens in einer Grafik schematisch dargestellt. Auf seiner Webseite finden Sie weitere Informationen zu den einzelnen Verfahrensabschnitten. 
Auf der Webseite vom Informationsverbund Asyl & Migration finden Sie unter dem Menüpunkt "Publikationen" zahlreiche Arbeitshilfen zum Asylrecht.
Aus dem Asylgesetz ergibt sich folgender Ablauf des Asylverfahrens:

10.1. Rückführungsabkommen

Spanien: Wenn Asyl- und Schutzsuchende über die deutsch-österreichische Grenze einreisen und der Abgleich ihrer Fingerabdrücke in der Eurodac-Datenbank ergibt, dass sie bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt haben, können Sie binnen 48 Stunden nach Spanien zurückgebracht werden. Wenn die Rückführung innerhalb dieser Frist nicht gelingt, muss Deutschland nach den Dublin-Regeln ein normales Übernahmeersuchen an Spanien richten (siehe unten).

10.2. Einreise mit dem Flugzeug über bestimmte Flughäfen


Wenn Asylbewerber über die Flughäfen Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München einreisen und aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen oder sich nicht mit einem gültigen Pass oder Passersatz ausweisen können, kann die Bundespolizei sie im Transitbereich festhalten. Dort wird über ihr Asylgesuch binnen zwei Tage entschieden (Flughafenverfahren - § 18a AsylG - siehe die ausführliche Darstellung unten). 
Wenn der Antrag nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird oder wenn BAMF nicht binnen zwei Tagen entscheidet, wird dem Ausländer die Einreise gestattet. 
Wenn die Asylsuchenden nicht aus einem der sicheren Herkunftsländer kommen und einen gültigen Pass bei sich haben, muss ihnen ebenfalls  die Einreise gewährt werden.
Personen dürfen in diesem Fall nur festgehalten werden, wenn der Verdacht, die Ausweispapiere könnten unecht sein, auf konkreten Anhaltspunkten beruht. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Flughafenurteil bemerkt „Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Flughafenverfahren auf Asylsuchende beschränkt bleiben, die nicht über ausreichende Reisedokumente verfügen oder deren Pässe tatsächlich - und nicht nur vermeintlich - gefälscht sind. Lässt sich die Unechtheit des Passes nicht kurzfristig feststellen, ist dem Asylbewerber die Einreise zu gestatten.“ (BVerfGE 94, 166, Rn. 112)
Trotzdem kommt es nach unseren Informationen vor, dass Personen, die im Besitz gültiger Ausweispapiere sind, von der Bundespolizei mehre Tage lang im Transitbereich festgehalten werden. Zur Begründung geben die Polizeibeamten an, sie seien überlastet und könnten den Asylsuchenden und seine Papiere nicht schneller überprüfen. Dies ist nach § 18 Abs. 1 AsylG unzulässig, da die Bundespoilizei die Asylsuchenden "unverzüglich" weiterzuleiten hat. Die Beamten, die dagegen verstoßen, machen sich der Freiheitsberaubung schuldig (§ 239 StGB).

10.3. Einreise auf dem Landweg oder über andere Flughäfen

Ausländer, die auf dem Landweg einreisen, können von der Grenzpolizei an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn sie unerlaubt eingereist sind, weil sie z.B. kein Visum oder keinen gültigen Pass besitzen oder wenn gegen sie eine Einreisesperre besteht (§ 15 AufenthG). Dasselbe gilt, wenn die Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen werden (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).

Die Zurückweisung ist aber nicht zulässig, wenn die Ausländer erklären, dass sie in Deutschland ein Asylgesuch stellen wollen. Es ist zwar klar, dass die Ausländer über einen Dublin-Staat eingereist sind und dass dieser Staat - wahrscheinlich - für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist; denn alle Nachbarstaaten Deutschlands sind Dublin-Staaten (siehe unten den Abschnitt Dublin-Verfahren). Aber die Dublin III - Verordnung (VO (EU) Nr. 604/2013) sieht für solche Fälle ein besonderes Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Staates vor.
Die Grenzpolizei muss deshalb den Asylbewerber an eine Anlaufstelle des BAMF weiterleiten (siehe unten). Von dort werden sie Asylbewerber auf eine Aufnahmeeinrichtung verteilt, die einer Außenstelle des BAMF zugeordnet ist (siehe unten). Bei dieser Außenstelle müssen die Asylsuchenden den Asylantrag stellen (§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 16, § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Satz AsylG).
Das BAMF muss dann gegebenenfalls ein Übernahmeersuchen an den Dublin-Staat richten, über den der Asylbewerber nach Deutschland eingereist ist (siehe unten).

10.4. Einrichtungen des BAMF

Das BAMF unterhält folgende Einrichtungen, die je nach Anzahl der Asylbewerber für ihre Überprüfung genutzt werden:

Warteräume

In den Warteräumen des Bundesamtes werden Asylsuchende mit Hilfe von Unterstützungspersonal von Bundeswehr und Zoll registriert, bevor sie auf die Bundesländer verteilt werden. Damit stellt das BAMF sicher, dass die Daten dieser Menschen schnell unter anderem mit den Datenbanken des BKA abgeglichen werden können.

Bearbeitungsstraßen

In einer Bearbeitungsstraße werden Asylsuchende registriert, fotografiert und von Ärzten untersucht. Zudem müssen sie Fingerabdrücke abgeben. Die Daten durchlaufen anschließend die polizeilichen Datenbanken. Ist dieser Abgleich negativ, werden die Menschen in eine Aufnahmeeinrichtung weitergeleitet.

Außenstellen / Regionalstellen

Die Außenstellen, denen die Aufnahmeeinrichtungen zugeordnet sind, führen die Asylverfahren durch, sind als sogenannte Regionalstellen der Ansprechpartner für die Träger von Integrationsmaßnahmen und verantwortlich für die Integrationsarbeit vor Ort und nehmen Migrationsaufgaben wahr. 

Entscheidungszentren

In den Entscheidungszentren werden entscheidungsreife Verfahren z.B. von Asylsuchenden aus Syrien, dem Irak und Eritrea durchgeführt und über bereits anhängige Verfahren entschieden. Es finden dort keine Anhörungen und kein Publikumsverkehr statt.

Ankunftszentren

2015 hat das BAMF begonnen, Ankunftszentren einzurichten. Dort werden viele bisher auf mehrere Stationen verteilte Schritte im Asylverfahren gebündelt. Nach Möglichkeit findet das gesamte Asylverfahren unter dem Dach des Ankunftszentrums statt - von der Gesundheitsuntersuchung, der Registrierung, der erkennungsdienstlichen Behandlung, der Asylantragsstellung, der Anhörung bis hin zur Entscheidung über den Asylantrag und ersten Beratung für eine Integration in den Arbeitsmarkt.
In den Ankunftszentren werden die Asylsuchenden in verschiedene Gruppen ("Cluster") eingeteilt. Die Anträge von Personen aus Herkunftsländern mit einer hohen Schutzquote ("Cluster A") und denen aus Herkunftsländern mit einer niedrigen Schutzquote ("Cluster B") werden unmittelbar nach der Antragstellung in den Ankunftszentren behandelt. Ziel ist es, dass das gesamte Asylverfahren für diese Gruppen, einschließlich Anhörung und Entscheidung, innerhalb weniger Tage durchgeführt wird. Bei komplexeren Fällen ("Cluster C") sowie "Dublin-Fällen" ("Cluster D") kann das Verfahren weiterhin länger dauern.

Ankerzentren

Bayern möchte, dass Asylanträge zukünftig in Ankerzentren bearbeitet werden. Ankerzentrum steht für „An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidung), R(ückführung). 
In den Ankerzentren sollen das BAMF, die Bundesagentur für Arbeit, die Ausländerbehörde, die Justiz und das Jugendamt vertreten sein. Kurze Wege sollen die Verfahren beschleunigen. Die Menschen sollen dort bleiben, bis ihre Asylverfahren abgeschlossen sind, also bis zu ihrer Anerkennung oder ihrer Abschiebung. In den Ankerzentren sollen jeweils 1000 bis 1500 Flüchtlinge untergebracht werden.
Bayern hat inzwischen in seinen sieben Regierungsbezirken solche Ankerzentren eingerichtet. Dafür wurden bestehende Transitzentren oder Erstaufnahmeeinrichtungen umgewidmet.
Ob und welche Bundesländer dem Beispiel Bayerns folgen werden, ist offen.

--- 10.1. Einreise

Beim ersten Kontakt der Asyl- und Schutzsuchenden mit der Bundespolizei, der Polizei der Länder oder den Ausländerbehörden müssen diese die Daten der Flüchtlinge umfassend erfassen und in ein zentrales System einspeisen. Auf diese Daten können alle Einrichtungen zugreifen, die später mit dem Flüchtlingen zu tun haben. So soll verhindert werden, dass Flüchtlinge doppelt registriert werden oder aus dem System verschwinden.
Registriert werden die Personalien wie Name, Geburtsdatum und -ort, die Fingerabdrücke und Informationen zu Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen. Außerdem werden Angaben zu Schulbildung, Berufsausbildung sowie sonstigen Qualifikationen gespeichert, die für die schnelle Integration und Arbeitsvermittlung erforderlich sind. Erfasst werden sollen auch freiwillig gemachte Angaben zur Religionszugehörigkeit und weitere freiwillige Angaben.
Die Fingerabdrücke werden außerdem in der Eurodac-Datenbank gespeichert und abgeglichen, um festzustellen, ob die Flüchtlinge bereits in einem anderen Dublin-Staat registriert wurden, siehe unten.
Da man bei den deutschen Auslandsvertretungen kein Visum zwecks Stellung eines Asylantrags beantragen kann, reisen die meisten Asylsuchenden illegal ein. Die illegale Einreise ist nach §§ 14, 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbar. Die Asylsuchenden dürfen aber nach Art. 31 Abs.1 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht bestraft werden. Darauf wird in § 95 Abs. 5 AufenthG ausdrücklich hingewiesen.
Wenn die Flüchtlinge von der Bundespolizei aufgegriffen werden, pflegt diese meistens ein Ermittlungsverfahren wegen illegaler Einreise gegen die Flüchtlinge einzuleiten. Die Asylsuchenden erhalten dann einige Wochen nach der Einreise ein Schreiben der zuständigen Staatsanwaltschaft, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.
Manche Asylsuchende benutzen nur zur Einreise gefälschte Papiere. Ob das strafbar ist, ist unter den Gerichten streitig. Bei Strafbefehlen über 90 Tagessätzen sollte man immer Einspruch einlegen und versuchen, die Geldstrafe zu reduzieren, da höhere Strafen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gefährden (vgl. § 5 Abs. 3 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

--- 10.2. Anlaufstelle für Asylsuchende - Ankunftsnachweis - Aufenthaltsgestattung

Die Asylsuchenden werden von der Bundespolizei, der Polizei der Länder oder den Ausländerbehörden an eine Anlaufstelle für Asylsuchende verwiesen. Sie sind verpflichtet sich unverzüglich dorthin zu begeben (§ 20 Abs. 1 AsylG). Tun sie das nicht, gilt ihr Asylantrag als zurückgenommen.
Wenn die Asylbewerber in einem solchen Fall unverzüglich nachweisen, dass die verspätete Ankunft in der Anlaufstelle auf Umstände zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatten, wird das Verfahren fortgeführt.
Andernfalls stellt das Bundesamt in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Darüber entscheidet es nach Aktenlage (§ 32 AsylG). Der Asylbewerber kann dann die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen.
Den Asylsuchenden wird unverzüglich eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender ausgestellt (Ankunftsnachweis). In den Ankunftsnachweis werden die bei der ersten Registrierung erhobenen Daten aufgenommen (siehe im Einzelnen § 63a AsylG).
Ab der Ausstellung des Ankunftsnachweises ist den Asylsuchenden der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet (Aufenthaltsgestattung). In den Fällen, in den kein Ankunftsnachweis ausgestellt wird, entsteht die Aufenthaltsgestattung mit der Stellung des Asylantrags (§ 55 Abs. 1 AsylG). Die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung erhalten die Asylsuchenden nach der Stellung des Asylantrags, siehe unten.
Der Ankunftsnachweis wird längstens auf sechs Monate befristet und um jeweils längstens drei Monate verlängert, bis die Asylsuchenden einen Termin zur Antragstellung bei der Außenstelle des BAMF erhalten.
Zuständig für die Ausstellung sind die Außenstellen oder die Aufnahmeeinrichtung, auf die der Ausländer verteilt worden ist. Ist der Ausländer nicht mehr verpflichtet in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ist für die Verlängerung der Bescheinigung die Ausländerbehörde zuständig.
Die Asylbewerber sind verpflichtet, sich unverzüglich zu der Aufnahmeeinrichtung zu begeben, die ihnen in der Anlaufstelle genannt wird. Dafür erhalten sie die erforderlichen Fahrausweise. Die Verteilung auf die Aufnahmeeinrichtungen erfolgt über das EASY-System (Erstverteilung von Asylsuchenden).
Wenn sich die Asylsuchenden nicht unverzüglich in die Aufnahmeeinrichtung begeben, tritt die oben geschilderte Rechtsfolge ein.

--- 10.3. Aufnahmeeinrichtung

Die Asylsuchenden sind verpflichtet, bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monaten in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 47 Abs. 1 S. 1 AsylG). Die Pflicht, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, endet unter anderem dann, wenn das BAMF mitteilt, nicht kurzfristig entscheiden zu können, ob ein Asylantrag offensichtlich unbegründet bzw. unzulässig ist (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). "Kurzfristig" heißt in diesem Zusammenhang nicht innerhalb von sechs Wochen (§ 47 Abs. 1 S. 1 AsylG). Unabhängig davon endet die Wohnverpflichtung spätestens nach 6 Monaten. Im Juli 2017 hat der Gesetzgeber zusätzlich die Möglichkeit geschaffen, dass die Länder abweichende Regelungen über den Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen treffen und die Wohnverpflichtung dabei bis auf 24 Monate ausdehnen können (§ 47 Abs. 1b AsylG).
Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (siehe oben) müssen bis zum Abschluss des Asylverfahrens und im Falle der Ablehnung bis zur Ausreise oder Abschiebung in der Aufnahmeeinrichtung bleiben (§ 47 Abs. 1 und 1a AsylG).

--- 10.4. Asylantrag

Die Asylsuchenden sind nach der Aufnahme in der Aufnahmeeinrichtung verpflichtet, unverzüglich oder zu dem von der Aufnahmeeinrichtung genannten Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes zur Stellung des Asylantrags persönlich zu erscheinen (§ 23 Abs. 1 AsylG) und dort den Asylantrag zu stellen (§ 14 Abs. 1 AsylG).
Eine schriftliche Antragstellung beim Bundesamt ist nur möglich, wenn ein Ausländer einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt (z.B. ausländische Studenten), wenn der Asylbewerber inhaftiert ist, stationär behandelt wird oder wenn es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, für die der Vormund den Antrag stellt (§ 14 Abs. 2 AsylG).
Nach Art. 6 Abs. 5 der EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU muss Asylbewerbern die Antragstellung spätestens binnen 10 Arbeitstagen ermöglicht werden. Da die Umsetzungsfrist für die Verfahrensrichtlinie am 20.07.2015 abgelaufen ist (Art. 51 Abs. 1 EuVfRl), ist sie unmittelbar geltendes Recht. Die Asylsuchenden können deshalb nach 10 Arbeitstagen Antrag auf Terminmitteilung zur Antragstellung stellen und, wenn nichts geschieht, Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erheben.
Das ist inzwischen nicht mehr notwendig, weil den Asylbewerbern die Antragstellung durchweg binnen kurzer Zeit ermöglicht wird.
Nach der Asylantragstellung wird dem Ausländer innerhalb von drei Arbeitstagen eine mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung ausgestellt. In die Bescheinigung werden das Datum der Ausstellung des Ankunftsnachweises (siehe oben) und das Datum der Asylantragstellung aufgenommen (§§ 55, 63 AsylG). Mit der Bescheinigung können sich die Ausländer in Deutschland ausweisen. Sie berechtigt nicht zum Grenzübertritt (§ 64 AsylG).

--- 10.5. Rechtsstellung der Asylsuchenden

----- Unterbringung

Spätestens nach sechs Monaten sollen die Asylsuchenden auf andere Unterkünfte verteilt werden, ausgenommen die Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten. Die Unterbringung soll in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften erfolgen (§ 53 AsylG).
Grundsätzlich steht die Entscheidung, an welchen Ort eine Person zugewiesen wird, im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde. Sie muss dabei die „Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG“ beachten, also von Ehegatten, Lebenspartnern, minderjährigen Kindern und Eltern von minderjährigen ledigen Asylbewerbern, sofern die Ehe, Lebenspartnerschaft oder Familie schon im Heimatstaat bestanden hat (§ 50 Abs. 4 S. 5 AsylG). Zu berücksichtigen sind außerdem „sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht“. Darunter fallen andere familiäre und familienähnliche Bindungen von Asylbewerbern, die nicht von § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG umfasst sind, also z.B. die Partnerschaften von Lesben und Schwulen, die in ihrem Heimatstaat nicht heiraten konnten, ferner Anfeindungen und Gewalttätigkeiten gegenüber Lesben und Schwulen durch die anderen Flüchtlinge - siehe unsere Mustertexte - oder sexuelle Belästigungen von Frauen durch männliche Flüchtlinge.
Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, sogenannten dezentralen Unterkünften und Privatwohnungen richtet sich nach Landesrecht. Die Zuweisungsbescheide erlassen die zuständigen Landesbehörden. Anträge auf landesinterne öder länderübergreifende Umverteilung können an die zuständige Landesbehörde gestellt werden. Sie haben nur Erfolg, wenn die Umverteilung auf die angeführten Gründe gestützt werden (Haushaltsgemeinschaft der Kernfamilie oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht).

----- Räumliche Beschränkung / Residenzpflicht

Die Aufenthaltsgestattung ist räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt (§ 56 AsylG). Für das Verlassen des Bezirks kann eine Erlaubnis eingeholt werden. Termine bei Gerichten und Behörden können ohne Erlaubnis wahrgenommen werden (§ 58 AsylG). Ein erster Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung ist ein Ordnungswidrigkeit (§ 86 AsylG), ein wiederholter Verstoße eine Straftat (§ 85 Nr. 2 AsylG).
Die räumliche Beschränkung erlischt nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland. Das gilt aber nicht, solange die Asylsuchenden verpflichtet sind in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 59a Abs. 1 Satz 2 AsylG), also für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten (§ 47 Abs. 1 a AsylG) und für Asylsuchende, deren Antrag im beschleunigten Verfahren bearbeitet wird (§ 30a Abs. 3 AsylG). Sie sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamts und gegebenenfalls auch bis zu ihrer Ausreise oder Abschiebung in der besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
Nach Verlassen der Aufnahmeeinrichtung und Ablauf der drei Monate ab Einreisedatum (Nachweis durch Ankunftsnachweis) kann beim Ausländeramt die Streichung der räumlichen Beschränkung in der Aufenthaltsgestattung beantragt werden.

----- Arbeitsgelegenheiten

§ 5 AsylbLG sieht vor, dass für die Asylsuchenden in den Aufnahmeeinrichtungen und in vergleichbaren Einrichtungen Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden und zwar insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung. Im Übrigen sollen soweit wie möglich auch bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.
Für diese Arbeit wurde bisher eine Aufwandsentschädigung von 1,05 € je Stunde gezahlt (§ 5 Abs. 2 AsylbLG). Durch das Integrationsgesetz ist die Aufwandsentschädigung auf 0,80 € herabgesetzt worden, es sei denn, die Asylsuchenden weisen im Einzelfall höhere notwendige Aufwendungen nach, die ihnen durch die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit entstehen z.B. für erforderliche Arbeitsmittel, Arbeitskleidung oder -geräte, Fahrtkosten oder Kosten für auswärtige Verpflegung. Da die Arbeitsgelegenheiten nicht als „Arbeitsverhältnis“ gelten (§ 5 Abs. 5 ArbLG), können die Asylsuchenden nicht dem Mindestlohn verlangen.
Ab dem 01.08.2017 wird die Bundesagentur für Arbeit ein „Arbeitsmarktprogramm Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ durchführen, das auf drei Jahre angelegt ist (§ 5a AsylbLG). Dadurch sollen 100.000 Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Asylbewerber, die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, sowie vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer einschließlich der Inhaber einer aufenthaltsrechtlichen Duldung dürfen nicht teilnehmen.
Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Asylsuchende, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und der Vollzeitschulpflicht nicht mehr unterliegen, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Darüber sind die Leistungsberechtigte vorher (§ 5a Abs. 3 Satz 1AsylbLG: „schriftlich“) zu belehren.
Bei unbegründeter Ablehnung erhalten sie nicht mehr den „notwendigen Bedarf“ (siehe unten), sondern nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege, die als Sachleistungen erbracht werden sollen. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen zur Deckung ihres notwendigen Bedarfs gewehrt werden.
Das gilt nicht, wenn die Asylsuchenden einen wichtigen Grund (siehe § 12 Abs. 4 SGB XII) für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. Ein wichtiger Grund kann insbesondere auch dann vorliegen, wenn die Asylsuchenden eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnehmen oder aufgenommen haben.
Die Träger, die Arbeitsgelegenheiten anbieten, müssen den zuständigen Behörden unverzüglich mitteilen, wenn sich Asylsuchende weigern, ihnen zugewiesene Arbeitsgelegenheiten aufzunehmen oder fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern.

----- Erwerbstätigkeit

Asylsuchende dürfen keine Erwerbstätigkeit ausüben, solange sie in der Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen (siehe oben), mindestens aber für drei Monate (§ 61 Abs. 1 u. Abs. 2 Satz 1 AsylG). Für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten, die nach dem 31.08.2015 einen Asylantrag gestellt haben, besteht das Arbeitsverbot für die gesamte Zeit des Asylverfahrens (§ 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG). Wenn ihr Antrag auf Asyl nach dem 31.08.2015 abgelehnt wird, erhalten sie ein unbefristetes Arbeitsverbot (§ 60a Abs. 6 Nr. 3 AufenthG).
Die Arbeitserlaubnis muss bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Das Formular "Zustimmungsanfrage" muss vom Antragsteller und vom zukünftigen Arbeitgeber ausgefüllt werden. Die Bundesagentur muss zustimmen (§ 39 AufenthG). Die Zustimmung wird nur erteilt, wenn kein Deutscher oder anderer EU-Bürger für die konkrete Tätigkeit in Betracht kommen (sogenannte Vorrangprüfung).
Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland wird die Zustimmung ohne Vorrangprüfung erteilt (§ 32 Abs. 5 Nr. 2 BeschV).
Ab dem 06.08.2016 ist die Vorrangprüfung für Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung (siehe oben) in 133 von insgesamt 156 Agenturbezirken der Bundesagentur für Arbeit für drei Jahre ausgesetzt worden (§ 32 Abs. 5 Nr. 3 BeschV). Die verbleibenden 23 Agenturbezirke, in denen weiterhin innerhalb der ersten fünfzehn Monate des Aufenthalts eine Vorrangprüfung bei Asylbewerbern und Geduldeten durchgeführt wird, befinden sich in Bayern (Aschaffenburg, Bayreuth, Hof, Bamberg, Coburg, Fürth, Nürnberg, Schweinfurt, Weiden, Augsburg, München, Passau, Traunstein), in Nordrhein-Westfalen (Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen, Recklinghausen) sowie in Mecklenburg-Vorpommern (alle Agenturbezirke), siehe im Einzelnen Anlage 2 zu § 32 der Beschäftigungsverordnung. Die Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung dürfen auch als Leiharbeitnehmer tätig werden.
Soweit die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung noch notwendig ist, gilt sie als erteilt, wenn die Bundesagentur für Arbeit der zuständigen Stelle nicht innerhalb von zwei Wochen nach Übermittlung der Zustimmungsanfrage mitteilt, dass die übermittelten Informationen für die Entscheidung über die Zustimmung nicht ausreichen oder dass der Arbeitgeber die erforderlichen Auskünfte nicht oder nicht rechtzeitig erteilt hat (§ 36 Abs. 2 BeschV). Das geschieht zurzeit häufig. Deshalb sollte man sich das Abgabedatum der Zustimmungsanfrage von der Ausländerbehörde bestätigen lassen, sich nach drei Tagen bei der Ausländerbehörde erkundigen, ob die Zustimmungsanfrage an die Bundesanstalt für Arbeit weitergeleitet worden ist und nach 14 Tagen bei der Ausländerbehörde nachfragen, ab eine Mitteilung der Bundesanstalt eingegangen ist. Wenn nicht, können sich die Asylsuchenden die Arbeitserlaubnis bei der Ausländerbehörde abholen.

----- Ausbildung und Praktika

Die Ausländerbehörden dürfen Asylbewerbern mit Aufenthaltsgestattung (siehe oben) die Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit gestatten (§ 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Nr. 2 u. Abs. 4 BeschV).
Staatlich anerkannte oder vergleichbar geregelte Ausbildungsberufe sind alle anerkannten Aus- und Fortbildungsabschlüsse nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) sowie vergleichbare bundes- oder landesrechtlich geregelte Berufsabschlüsse oder diesen Berufsabschlüssen entsprechende Qualifikationen (siehe das vom Bundesinstitut für Berufsbildung geführte Verzeichnis der staatlich anerkannten Berufe, siehe hier und dort unter "Download").
Dasselbe gilt für folgende Praktika (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 BeschV in Verbindung mit § 22 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Mindestlohngesetzes):

  • Pflichtpraktika, die von Schule, Ausbildungseinrichtung oder Hochschule vorgeschrieben sind,
  • Praktika im Rahmen eines von der Europäischen Union oder der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit finanziell geförderten Programms und für
  • Praktika bis zu drei Monaten Dauer 
    • zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums
    • im Rahmen einer Berufsausbildungsvorbereitung oder in einer betrieblichen Einstiegsqualifizierung
    • im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung nach dem SGB III und Maßnahmen einer Berufsausbildungsvorbereitung nach dem Berufsbildungsgesetz

Die Erlaubnis setzt voraus, dass die Beschäftigung des Ausländers erlaubt ist. Ein Beschäftigungsverbot besteht,
  • solange der Asylbeweber verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, siehe oben (§ 61 Abs. 1 AsylG),
  • während der Dauer des Asylverfahrens, wenn der Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt (siehe oben) und wenn er den Asylantrag erst nach dem 31.08.2015 gestellt hat (§ 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG).

Im Übrigen steht die Erteilung der Erlaubnis im Ermessen der Ausländerbehörden. Dabei sollen die Ausländerbehörden nach Auffassung des Bundesministeriums des Innern (siehe Rundschreiben vom 01.11.2016) insbesondere folgende Umstände berücksichtigen: 
Für die Erteilung einer Erlaubnis:
  • geklärte Identität des Ausländers, 
  • Vorliegen eines gültigen Nationalpasses oder eines anerkannten ausländischen Passersatzpapiers oder zumindest Mitwirkung bei der Beschaffung derselben,
  • tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung in absehbarer Zeit, 
  • lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, 
  • gute deutsche Sprachkenntnisse, da diese zwingende Voraussetzung dafür sind, eine Berufsausbildung durchzuführen. 

Gegen die Erteilung einer Erlaubnis:
  • ungeklärte Identität, 
  • fehlende Mitwirkung des Ausländers bei der Identitätsklärung,
  • kurze Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, 
  • geringe deutsche Sprachkenntnisse, 
  • das Bevorstehen konkreter Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung, z.B. ein laufendes Dublin-Verfahren
  • begangene Straftaten oder sonstige Verstöße gegen Rechtsvorschriften (z.B. gegen eine räumliche Beschränkung oder Wohnsitzauflage) bzw. gegen behördliche oder gerichtliche Entscheidungen.

Während des Asylverfahrens ist der Aufenthalt des Ausländers gestattet. Diese Gestattung erlischt, wenn das Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen worden ist. Dann kann dem Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen zur Fortsetzung der Ausbildung eine Duldung erteilt werden (siehe unten und dort im Abschnitt "Beschäftigungserlaubnis").

----- Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Während des laufenden Asylverfahrens haben die Asylsuchenden keinen Anspruch auf Sozialleistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) oder dem SGB XII (Sozialhilfe). Sie erhalten nur den "notwendigen Bedarf", der durch Sachleistungen gedeckt werden soll (§§ 3 ff. AsylbLG).
Das gilt auch für vollziehbar ausreisepflichtige Personen, bei denen festgestellt wurde, dass gemäß der Dublin-III-Verordnung ein anderer EU-Mitgliedstaat für sie zuständig ist. Ihnen werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von zwei Wochen, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen). Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen (§ 1 Abs,. 4 AsylbLG).
Wenn alle notwendigen persönlichen Bedarfe durch Geldleistungen gedeckt werden, erhalten die Asylbewerber die in § 3 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Geldbeträge. Diese sind erhebliche geringer als die Regelbedarfssätze in der Sozialhilfe.
Außerdem ist durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes die Einstufung von alleinstehenden Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, geändert worden. Sie werden nun nicht mehr als alleinstehend (Regeklbedarfsstufe 1), sondern wie Paare behandelt (Regelbedarfsstufe 2) – da sie angeblich ebenso gut gemeinsam haushalten und Geld sparen könnten. Angesichts der verschiedenen Nationalitäten und Kulturen der Menschen, die willkürlicher Weise zusammen untergebracht sind, eine Illusion. Nicht mal eine Wohngemeinschaft zwischen Freund*innen wird in Deutschland so eingestuft. 
Die Leistungen bei Krankheit sind auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt (§ 4 AsylbLG). Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Chronische Erkrankungen, deren Behandlungen längerfristig angelegt sind und daher regelmäßig nicht in Deutschland abgeschlossen werden können, lösen nach der Amtlichen Begründung zu § 4 Abs. 1 AsylbLG regelmäßig keine Leistungspflicht aus (vgl. Bundestagsdrucksache 12/4451 v. 02.03.1993, S. 9).
Der Anspruch nach § 4 Abs. 1 AsylbLG wird jedoch ergänzt durch die Schutzregelungen für Schwangere (§ 4 Abs. 2 AsylbLG) und durch die Öffnungsklausel nach § 6 AsylbLG. Nach dieser Vorschrift können „sonstige Leistungen“ insbesondere gewährt werden, wenn dies zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung der besonderen Bedürfnisse von Kindern geboten ist. Das AsylbLG eröffnet damit, um Einzelfällen gerecht zu werden, auch den Zugang zu einer über den Leistungsumfang nach § 4 Absatz 1 AsylbLG hinausgehenden Gesundheitsversorgung. Soweit europarechtlich oder verfassungsrechtlich geboten, vermittelt diese Norm – im Wege der Ermessensreduzierung – auch einen zwingenden Anspruch gerade für besonders schutzbedürftige Gruppen.
Denn insbesondere die Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahme-RL) vermittelt schutzbedürftigen Personen, zu denen auch Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen und psychischen Störungen gehören oder Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben und die besondere Bedürfnisse haben, einen Anspruch auf die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung. Über diese Vorgaben reduziert sich das behördliche Ermessen in § 6 Absatz 1 AsylbLG für die von der Aufnahme-RL erfassten Fallgruppen aufgrund europarechtskonformer Auslegung seit Ablauf der Umsetzungsfrist auf Null (so die Bundesregierung in der Bundestagsdrucksache 18/9009 v. 04.07.2016).
Vor der Ausstellung des "Ankunftsnachweises" (siehe oben) erhalten Asylberechtigte nur Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege, die als Sachleistungen erbracht werden sollen. Das gilt nicht, wenn sie schon erkennungsdienstlich behandelt und von der Aufnahmeeinrichtung aufgenommen worden sind, auf die sie verteilt worden sind, und wenn sie die fehlende Ausstellung des Ankunftsnachweises nicht zu vertreten haben (§ 11 AsylbLG).
Asylsuchende, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, erhalten Leistungen analog dem SGB XII (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG) und sind leistungsrechtlich in ihrer Gesundheitsversorgung den gesetzlich Krankenversicherten gleichgestellt (sogenannte Analogleistungen, § 4 AsylbLG) Bei Vorliegen eines entsprechenden Krankheitsbildes besteht dann auch Anspruch auf die Kostenübernahme für eine Psychotherapie.
Die Gesundheitskarte gibt es je nach Bundesland von Anfang an oder mit Beginn der Analogleistungen, siehe die Webseite "Gesundheit für Geflüchtete" .

----- Integrationskurs für Ausländer mit Aufenthaltsgestattung

Asylbewerber, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen (siehe oben) und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, können schon während des Asylverfahrens im Rahmen verfügbarer Kursplätze zu einem Integrationskurs zugelassen werden. Praktisch werden aber nur Asylbewerber mit "guter Bleibeperspektive" zugelassen (derzeit die Herkunftsländer Syrien und Eritrea). Bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist (§ 44 Abs. 4 AufenthG).
Ausländer mit Aufenthaltsgestattung können nach drei Monaten gestattetem Aufenthalt unter bestimmten Bedingungen zu Integrationskursen zugelassen werden (siehe § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG und die Arbeitshilfe "Zugang zu Sprachförderung mit Aufenthaltsgestattung" des IQ Netzwerk Niedersachsen).
Die zuständigen Leistungsbehörden können Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und der Vollzeitschulpflicht nicht mehr unterliegen, schriftlich verpflichten, an einem Integrationskurs teilzunehmen, wenn sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen (§ 44a Ab. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, § 5b Abs. 1 AsylbLG).
Wenn sich die Ausländer trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen weigern, einen für sie zumutbaren Integrationskurs aus von ihnen zu vertretenen Gründen aufzunehmen oder ordnungsgemäß am Integrationskurs teilzunehmen, erhalten sie nicht mehr den „notwendigen Bedarf“ (siehe oben), sondern nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege, die als Sachleistungen erbracht werden sollen. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen zur Deckung ihres notwendigen Bedarfs gewehrt werden. 
Das gilt nicht, wenn die leistungsberechtigte Person einen wichtigen Grund (siehe § 12 Abs. 4 SGB XII) für ihr Verhalten darlegt und nachweist. Ein wichtiger Grund kann insbesondere auch dann vorliegen, wenn die leistungsberechtigte Person eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnimmt oder aufgenommen hat.

--- 10.6. Dublin-Verfahren - erstes oder kleines Interview

Bei der Asylantragstellung werden die Fingerabdrücke der Asylbewerber in der Eurodac-Datenbank abgeglichen, um festzustellen, ob die Asylsuchenden bereits in einem anderen Dublin-Staat registriert wurden.
Nach der förmlichen Asylantragstellung (siehe oben) prüft das BAMF zunächst, ob nicht ein anderer Dublin-Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Deshalb wird mit dem Antragsteller anhand eines Fragenkatalogs ein persönliches Gespräch zur Prüfung der Zuständigkeit geführt (erstes oder kleines Interview). Besonders wichtig ist die letzte Frage:

"Gibt es Gründe, die dagegen sprechen, dass Ihr Antrag auf internationalen Schutz nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Dublin Mitgliedstaat geprüft wird: Gibt es Staaten in die Sie nicht überstellt werden wollen?"

Das BAMF kann nämlich das Asylverfahren trotz der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staates selbst übernehmen (Selbsteintrittsrecht nach Art 17 Abs. 1 Dublin III-VO). Der Asylsuchende sollte deshalb ausführlich schildern, warum es für ihn unzumutbar war, in dem anderen Dublin-Staat zu bleiben (Obdachlosigkeit, katastrophale Zustände in dem Flüchtlingslager usw.).
Wichtig ist auch, dass sich der Asylsuchende das Protokoll der Anhörung rückübersetzen lässt, bevor er es unterschreibt. Spätere Rügen, dass die Aussage des Asylsuchenden von dem Dolmetscher falsch oder verkürzt übersetzt worden sei, haben keine Aussicht auf Erfolg.
Wenn das BAMF die Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staates feststellt, richtet es ein Übernahmeersuchen an diesen Staat. Der Asylsuchende wird gleichzeitig von dem Übernahmeersuchen und der Einleitung des Dublin-Verfahrens unterrichtet.
Das Übernahmeersuchen muss innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung gestellt werden, bei anderen Beweismittel innerhalb von drei Monaten. Maßgeblich ist die erste Eurodac-Treffermeldung bei der Bundespolizei (siehe oben). Wenn das BAMF diese Frist versäumt, wird Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO). Darauf kann sich der Asylbewerber berufen.
Die Antwort des ersuchten Dublin-States muss binnen zwei Monaten erfolgen. Wenn innerhalb dieser Fristen keine Antwort erfolgt, ist der ersuchte Staat für das Asylverfahren zuständig (Art. 22 Abs. 1 und 7 Dublin III-VO).
Nach der Zustimmung des ersuchten Dublin-Staates oder dem ergebnislosen Ablauf der Frist für eine Antwort erlässt das BAMF den Dublin-Bescheid: Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in den betreffenden Dublin-Staat angeordnet.
Dagegen kann der Asylsuchende binnen einer Woche ab Zustellung beim Verwaltungsgericht klagen. Gleichzeitig muss er binnen einer Woche ab Zustellung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragen, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage anordnet (im Folgenden: Eilantrag). Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag nicht zulässig (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG).
Wichtig: Die Ein-Wochen-Frist rechnet ab der Zustellung in der Unterkunft (Datum auf dem gelben Briefumschlag / Postzustellungsurkunde), nicht erst ab dem Tag, in dem der Bescheid dem Asylsuchenden tatsächlich ausgehändigt worden ist.
Ab der Zustimmung des Dublin-Staates oder der Zustimmungsfiktion läuft die sechsmonatige Überstellungsfrist. Die Frist beträgt 12 Monate bei Straf- und Untersuchungshaft und 18 Monate, wenn die Person „flüchtig“ ist (Art. 29 Dublin III-VO). 
Mit dem Dublin-Bescheid des BAMF wird auch ein kompletter Aktenauszug versandt. Die Fristberechnung für die Überstellung befindet sich meist auf den letzten Seiten oder kann mit einem Antrag auf Akteneinsicht eingesehen werden.
Wichtig: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 26.05.2015 - 1 C 15.15) beginnt die Überstellungsfrist nach der Ablehnung des Eilantrags neu zu laufen. Man verlängert deshalb mit einem Eilantrag die Überstellungsfrist.
Wenn die Zustimmung des zuständigen Dublin-Staates oder die Zustimmungsfiktion bereits mehrere Monate zurückliegt, kann es empfehlenswert sein, keinen Eilantrag zu stellen, sondern den Ablauf der Überstellungsfrist anders zu überbrücken, z.B. mit einfachem Abwarten oder mit einem Aufenthalt im Kirchenasyl.
Bisher wurde auch versucht, die Überstellungsfrist durch Vorlage eines ärztlichen Attestes gegenüber der Ausländerbehörde über die Reiseunfähigkeit des Asylsuchenden zu überbrücken. Das wird aufgrund der verschärften Anforderungen an den Nachweis von Krankheiten als Abschiebungshindernis (siehe oben) durchweg nicht mehr möglich sein.

Zum Dublin-Verfahren siehe auch:


--- 10.7. Kirchenasyl

Zum Kirchenasyl siehe http://www.kirchenasyl.de/.
Kirchenasyl in Dublin-Verfahren ist sinnvoll, wenn der Dublin Bescheid rechtskräftig ist oder der Eilantrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Dublin-Bescheid abgelehnt wurde.
Der Aufenthaltsort muss dem zuständigen Ausländeramt und dem BAMF sofort am ersten Tag schriftlich (am besten per Fax) gemeldet werden, damit kein Untertauchen angenommen wird. Die Kirchen haben sich im Februar 2015 mit dem BAMF geeinigt, dass Menschen im Kirchenasyl auch in "Dublin III"-Fällen nicht als "flüchtig" gelten. Das bedeutet, dass die Zuständigkeit für das Asylverfahren wegen Ablaufs der Überstellungsfrist spätestens nach sechs Monaten auf Deutschland übergeht.
Außerdem haben sich die Kirchen mit dem BAMF geeinigt, dass in begründbaren Ausnahmefällen so frühzeitig wie möglich zwischen Kirche und BAMF eine Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen stattfindet. Zu diesem Zweck sollen die kirchlichen Ansprechpartner dem BAMF aussagekräftige Dossiers vorlegen, aus denen sich eine begründete humanitäre Härte im Einzelfall ergibt.
Grundsätzlich sind die Außenstellen des BAMF nach Eingang des Dossiers gehalten, keine weiteren Schritte einzuleiten. Nach der Prüfung der Dossiers wird darüber entschieden, ob in diesen Fällen das Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 17 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zu Gunsten des Betroffenen wegen besonderer Härten ausgeübt werden kann. Bis zur abschließenden Entscheidung wird von einer Dublin-Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat abgesehen.
Es empfiehlt sich ferner, sofort eine Bestätigung der Kirchengemeinde darüber einzuholen, dass im Kirchenasyl nur Unterkunft gewährt wird und alle anderen Leistungen nur vorschussweise, bis die Sozialleistungen wieder bezahlt werden. Mit dieser Bescheinigung kann beim zuständigen Sozialamt die Weitergewährung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausstellung von Krankenbehandlungsscheinen beantragt werden.
Hinweis: Seit dem 01.08.2018 gelten verschärfte Verfahrensregeln beim Kirchenasyl in Dublin-Fällen. Ausführliche Hinweise dazu finden Sie auf der Webseite des Informationsverbunds Asyl & Migration.

--- 10.8. Beschleunigtes Verfahren

Bestimmte Gruppen von Flüchtlingen werden von der Bundespolizei nach ihrer Kontrolle in „besondere Aufnahmeeinrichtungen“ (§ 5 Abs. 5 AsylG) verwiesen. Dort muss das Asylverfahren binnen einer Woche durchgeführt werden. Wenn das dem Bundesamt nicht gelingt, wird das Verfahren als nicht beschleunigtes Verfahren fortgeführt.
Das beschleunigte Verfahren (§ 30a AsylG) findet unter anderem statt bei: 

  • Ausländern aus sicheren Herkunftsstaaten, siehe oben. Die Länder Algerien, Georgien, Marokko und Tunesien sollen ebenfalls zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.
  • Ausländern, die die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit offensichtlich getäuscht haben, und
  • Ausländern, die ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung ihrer Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt haben, oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. 

Wir gehen davon aus, dass alle Asylbewerber ohne Papiere ins beschleunigte Verfahren verwiesen werden.
Die Asylbewerber sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamts und gegebenenfalls auch bis zu ihrer Ausreise oder Abschiebung in der besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Wenn sie den Bezirk der Ausländerbehörde verlassen, in dem die besondere Aufnahmeeinrichtung liegt, gilt ihr Asylantrag als zurückgenommen. 
Wenn die Asylbewerber in einem solchen Fall unverzüglich nachweisen, dass das Verlassen des Bezirks der Ausländerbehörde auf Umstände zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatten, wird das Verfahren fortgeführt.
Andernfalls stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein. Der Asylbewerber kann dann die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. 
Wenn der Antrag von Asylbewerbern als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, können sie gegen diesen Bescheid binnen einer Woche Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben und einen Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen. Der Eilantrag muss ausführlich begründet werden, weil das Verwaltungsgericht darüber nur im schriftlichen Verfahren entscheidet. Wenn der Eilantrag abgelehnt wird, kann die Abschiebung trotz des weiterhin laufenden Klageverfahrens vollzogen und der Asylbewerber abgeschoben werden.
Es ist deshalb sehr wichtig, dass LGBTTI*-Asylbewerber sofort sachkundig beraten werden. Das wird aber in den meisten Fällen nicht möglich sein, weil es viele LGBTTI*-Asylsuchende nicht schaffen, sofort offen über ihre sexuelle Orientierung und entsprechende Verfolgung zu berichten, wenn Homosexualität in ihrer Herkunftsgesellschaft tabuisiert ist und ihre bisherige Überlebensstrategie war, ihre sexuelle Orientierung gegenüber Dritten geheim zu halten.
Siehe auch die Hinweise für homosexuelle Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern.

--- 10.9 Flughafenverfahren

Eine Sonderform des beschleunigten Verfahrens stellt das Flughafenverfahren dar.
Das Flughafenverfahren findet statt (siehe § 18a AsylG), wenn:

  • Asylsuchende über die Flughäfen Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München einreisen,
  • aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen (siehe oben)
  • oder sich nicht mit einem gültigen Pass oder Passersatz ausweisen können.

Zur Einreise über die aufgeführten Flughäfen siehe oben und dort den Abschnitt "1. Einreise mit dem Flugzeug über bestimmte Flughäfen".
Die Verpflichtung zur Gewährung der Einreise aufgrund des Grundsatzes der Nichtzurückweisung der Genfer Flüchtlingskonvention (non-refoulement-Grundsatz) wird beim Flughafenverfahren dadurch umgangen, dass die Asylbewerber fiktiv so behandelt werden, als seien sie noch nicht ins Land eingereist und befänden sich noch außerhalb der EU-Außengrenzen. Deshalb werden die Asylberwerber über die gesamte Dauer des Flughafenverfahrens im Transitbereich der Flughäfen festgehalten. Außerdem sind die Fluggesellschaften aufgrund der Rückbeförderungspflicht (Annex 9 zu der Convention on International Civil Aviation) verpflichtet, die abgelehnten Asylbewerber in ihr Herkunftsland oder den Abflugort zurückzubefördern . Diese Länder sind ihrerseits zur "Rücknahme" verpflichtet. Die Asylsuchenden können also im Gegensatz zum üblichen Verfahren auch ohne Papiere in ihr Herkunftsland oder den Abflugort zurückgeschoben werden.

Zum konkreten Ablauf:


Das Flughafenverfahren dauert höchstens 19 Tage. Wegen der enormen Verkürzung ist eine effektiver Rechtsschutz kaum gewährleistet.
Die Bundespolizei prüft beim ersten Kontakt die genauen Reisemodalitäten, den Verdacht auf Straftaten und ob ein Asylgesuch gestellt werden soll. Deshalb ist es wichtig, ausdrücklich zu formulieren, dass der Eingereiste einen Asylantrag stellen will. Sonst kann eine Abschiebung erfolgen. Die Protokolle über diese Vernehmung werden an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet, das über den Asylantrag entscheidet.
Das BAMF muss den Asylbewerber innerhalb von 2 Tagen anhören und über das Asylgesuch entscheiden. Dem Asylbewerber wird erst nach der Anhörung Gelegenheit gegeben, eine Rechtsanwaltin oder einen Rechtsanwalt zu kontaktieren, es sei denn, er hat sich bereits vorher einen Anwalt oder eine Anwältin nehmen können (§ 18a Abs. 1 S. 5 AsylG). Das ist zu empfehlen, weil die Anwältin oder der Anwalt dann schon bei der Anhörung dabei sein kann.
Wenn der Antrag nicht als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wird oder wenn das BAMF nicht binnen zwei Tagen entscheidet, muss dem Asylbewerber die Einreise gestattet werden.
Wenn der Antrag dagegen als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird, wird die Einreise weiterhin verweigert und die Abschiebung angedroht. Dagegen kann innerhalb von drei Tagen vorläufiger Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht beantragt werden. Den Antragsstellern wird dafür eine kostenlose Rechtsberatung durch unabhängige Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten  zur Verfügung gestellt. Der Eilantrag muss eine ausführliche Begründung enthalten, da das Gericht im schriftlichen Verfahren entscheidet. Auf Antrag kann das Gericht weitere 4 Tage zur Begründung des Antrags gewähren. Gibt das Gericht einem Eilantrag statt oder entscheidet es nicht innerhalb von 14 Tagen, darf der Asylbewerber einreisen und es findet das übliche Asylverfahren statt. Hat der Asylbewerber mit dem Eilantrag vor Gericht keinen Erfolg, wird er trotz fehlender Papiere in sein Herkunftsland oder den Abflugort zurückgeschoben.

--- 10.10. Anhörung

Wenn Asylbewerber auf die Anhörung längere Zeit warten müssen und die Erfolgsaussichten ihres Asylantrags gut sind, sollten sie Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht erheben. Diese ist gemäß § 75 VwGO ohne das in den §§ 68 ff. VwGO vorgeschriebenen Vorverfahrens frühestens nach drei Monaten zulässig, wenn über einen Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist
Die EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU enthält in Art. 31 Abs. 3 bis 6 genaue Zeitvorgaben für das Prüfungsverfahren. Danach muss das Prüfungsverfahren grundsätzlich in sechs Monaten abgeschlossen werden. Das Verfahren darf neun Monate länger dauern, wenn eine große Anzahl von Flüchtlingen um Asyl nachsucht. Diese Fristen können ausnahmsweise um höchstens drei Monate überschritten werden, wenn dies für eine angemessene und vollständige Prüfung erforderlich ist. Die maximale Prüfungsfrist beläuft sich somit auf 21 Monate.
Zur Frage, welche Frist bei Asylanträgen „angemessen“ ist, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 11.07.2018, C 18.17 geäußert. Es hat aus der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU abgeleitet, dass "eine Frist von sechs Monaten als (noch) im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO angemessene Dauer des behördlichen Verfahrens angesehen werden" kann. 
Außerdem ergebe sich aus Art. 31 Abs. 3 bis 5 RL 2013/32/EU eine Orientierung, unter welchen Umständen eine Überschreitung der Sechsmonatsfrist auch für die Anwendung des § 75 Satz 1 VwGO als sachlich gerechtfertigt hinzunehmen ist; dies gelte auch für den Fristlauf und die in Art. 31 Abs. 5 RL 2013/32/EU genannte absolute Höchstfrist.
Die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU ist zwar von Deutschland noch nicht in deutsches Recht umgesetzt worden. Die Umsetzungsfrist ist aber am 20.07.2018 abgelaufen (Art. 51 Abs. 2 EUVfRl). Die Asylkbewerber können sich deshalb unmittelbar auf die Richtlinie berufen.
Die Anhörung ist die einzige Möglichkeit zur Glaubhaftmachung der Fluchtgründe, wenn keine anderen Dokumente für die Verfolgung oder Gefährdung vorgelegt werden können (§ 25 AsylG). Im Mittelpunkt der Anhörung steht die Frage, warum die Ausreise erfolgt ist, ob es in dem Herkunftsstaat eine Fluchtalternative gibt und was der Asylsuchende im Falle seiner Rückkehr befürchtet.
Bei der Anhörung werden die folgenden 25 Fragen abgefragt:

  1. Sprechen Sie neben der / den angegebenen Sprache (n) noch weitere Dialekte.
  2. Besitzen oder besaßen Sie noch weitere Staatsangehörigkeiten?
  3. Gehören Sie zu einem bestimmten Stamm / einer bestimmten Volksgruppe?
  4. Können Sie mir Personalpapiere wie z.B. einen Pass, Passersatz oder Personalausweis vorlegen?
  5. Haben Sie in Ihrem Heimatland Personalpapiere wie z.B. einen Pass, Passersatz oder einen Personalausweis besessen?
  6. Aus welchen Gründen können Sie keine Personalpapiere vorlegen?
  7. Können Sie mir sonstige Dokumente (z.B. Zeugnisse, Geburtsurkunde, Wehrpass, Führerschein) über Ihre Person vorlegen?
  8. Haben oder hatten Sie ein Aufenthaltsdokument / Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder ein anderes Land?
  9. Nennen Sie mir bitte Ihre letzte offizielle Anschrift im Heimatland. Haben Sie sich dort bis zur Ausreise aufgehalten? Wenn nein, wo?
  10. Nennen Sie bitte Familiennamen, ggf. Geburtsnamen, Vornamen, Geburtsdatum und -ort Ihres Ehepartners sowie Datum und Ort der Eheschließung.
  11. Wie lautet dessen Anschrift (falls er sich nicht mehr im Heimatland aufhält, bitte die letzte Adresse dort und die aktuelle angeben)?
  12. Haben Sie Kinder (bitte alle, auch volljährige mit Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und-ort angeben)?
  13. Wie lauten deren Anschriften (falls sich Kinder nicht mehr im Heimatland aufhalten, bitte die letzte Adresse dort und die aktuelle angeben)?
  14. Nennen Sie mir bitte Namen, Vornamen und Anschrift ihrer Eltern.
  15. Haben Sie Geschwister, Großeltern, Onkel oder Tante(n), die außerhalb Ihres Heimatlandes leben?
  16. Wie lauten die Personalien Ihres Großvaters väterlicherseits?
  17. Welche Schule(n) / Universität(en) haben Sie besucht?
  18. Welchen Beruf haben Sie erlernt? Bei welchem Arbeitgeber haben Sie zuletzt gearbeitet? Hatten Sie ein eigenes Geschäft?
  19. Haben Sie Wehrdienst geleistet?
  20. Waren Sie schon früher einmal in der Bundesrepublik Deutschland?
  21. Haben Sie bereits in einem anderen Staat Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling beantragt oder zuerkannt bekommen?
  22. Wurde für einen Familienangehörigen in einem anderen Staat der Flüchtlingsstatus beantragt oder zuerkannt und hat dieser dort seinen legalen Wohnsitz?
  23. Haben Sie Einwände dagegen, dass Ihr Asylantrag in diesem Staat geprüft wird?
  24. Bitte schildern Sie mir, wie und wann Sie nach Deutschland gekommen sind. Geben Sie dabei an, wann und auf welche Weise Sie Ihr Herkunftsland verlassen haben, über welche anderen Länder Sie gereist sind und wie die Einreise nach Deutschland erfolgte.
  25. Dem Antragsteller wird nun erklärt, dass er zu seinem Verfolgungsschicksal und den Gründen für seinen Asylantrag angehört wird. Er wird aufgefordert, die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen, Frage: Welches sind die Gründe dafür, dass Sie ... (Heimatland) verlassen haben?

Die Asylsuchenden sollten sich schon vor der Anhörung überlegen, was sie vorbringen wollen und sich wichtige Details in Erinnerung rufen. Um Ihre Erinnerung zu sortieren und mögliche Unstimmigkeiten zu erkennen, sollten sie sich die wichtigsten Daten und Ereignisse vorher aufschreiben. Sie sollten diese Notizen aber nicht mit zu der Anhörung nehmen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie eine erdachte Geschichte vortragen.
Siehe dazu ergänzend die Hinweise für homosexuelle Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern.
Die Asylsuchenden können sich von einer Vertrauensperson begleiten lassen. Das sollten die Asylsuchenden dem BAMF möglichst frühzeitig ankündigen. 
Wenn die Asylsuchenden Schriftstücke zu den Akten reichen, die ihre Verfolgung oder Gefährdung oder ihre Einreise mit dem Flugzeug (Flugticket oder Boarding Card) beweisen, sollten sie darauf bestehen, dass sie Kopien erhalten und dass die Übergabe der Schriftstücke im Protokoll vermerkt wird. 
Die Anhörung erfolgt unter Mitwirkung eines Dolmetschers. Die Asylsuchenden sollten dem BAMF schon bei der Antragstellung (siehe oben) mitteilen, in welcher Sprache sie sich bei der Anhörung äußern wollen. Das sollte die Sprache sein, in der sich die Asylsuchenden am besten ausdrücken können. 
Die Dolmetscher sollen nur als Übersetzerin an der Anhörung mitwirken. Sie sollen keine Kommentare abgeben. Falls die Asylsuchenden den Eindruck haben, dass die Dolmetscherin nicht richtig übersetzen oder dass die Verständigung unzureichend ist, sollen sie die Mitarbeiter des BAMF auf diese Probleme hinweisen und darum bitten, dass die Anhörung mit einem anderen Dolmetscher durchgeführt wird. Außerdem müssen sie darauf bestehen, dass ihre Kritik in das Protokoll aufgenommen wird.
Auch hier gilt: Die Asylsuchenden sollten sich das Protokoll der Anhörung vollständig rückübersetzen lassen, bevor sie es unterschreiben. Spätere Rügen, dass die Aussagen der Asylsuchenden von den Dolmetschern falsch oder verkürzt übersetzt worden seien, haben keine Aussicht auf Erfolg.

--- 10.11. Prüfung des Vorbringens von homosexuellen Flüchtlingen

In der Regel können die Entscheider des BAMF und die Verwaltungsgerichte die Asylgesuche nur anhand des Vorbringens der Antragsteller bewerten, weil keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Maßgebend sind folgende Gesichtspunkte:

1. Schlüssiger Sachvortrag

Die Glaubhaftmachung der behaupteten Verfolgung setzt einen schlüssigen Sachvortrag voraus, d.h. der Asylbewerber muss unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung die Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt.
Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine detaillierte, lückenlose Schilderung ohne wesentliche Widersprüche gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989, 9 B 405.89 juris). Die wahrheitsgemäße Schilderung eines realen Vorganges ist dabei erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum.
Widersprüchliches oder im Verfahren sich steigerndes Vorbringen genügt diesen Anforderungen in der Regel nicht, falls die Unstimmigkeiten nicht überzeugend aufgelöst werden.
Die Asylbewerber sind demgemäß verpflichtet, bei ihrer Anhörung vor dem BAM detailliert und nachvollziehbar sämtliche Fluchtgründe vorzutragen. Vielen lesbischen und schwulen Asylsuchenden ist es aber zunächst (noch) nicht möglich, offen über ihre sexuelle Identität und entsprechende Verfolgung zu berichten. Ein Outing vor fremden Behördenmitarbeitern stellt für sie eine immense Barriere dar. Außerdem werden die Asylbewerber in den Flüchtlingsheimen mit Menschen aus ihrem Kulturkreis untergebracht. Die problematische Folge ist, dass sie dort denselben Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt sind wie in ihrer Heimat. Wenn sie aber den eigentlichen Fluchtgrund erst später vorbringen, wurde das bisher nicht selten als "gesteigertes Vorbringen“ abgetan, d. h. den Flüchtlingen wurde vorgehalten, sie hätten diese Gründe bereits in der ersten Anhörung mitteilen können (und müssen); der neue Vortrag sei unglaubhaft.
Das ist aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 02.12.2014 (C-148-150/13) nicht mehr möglich. Der EuGH hat entschieden, dass die zuständigen nationalen Behörden (...) nicht allein deshalb zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass die Aussagen des betreffenden Asylbewerbers nicht glaubhaft sind, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat".

2. Art und Schwere der im Herkunftsland drohenden Maßnahmen

3. Vorliegen einer bestimmten sexuellen Ausrichtung des Antragstellers oder Unterstellung dieser durch den/die Verfolger

Ausreichend ist entweder eine glaubhaft geschilderte Vorverfolgung wegen der sexuellen Ausrichtung oder - bei deren Fehlen - die durch eine geeignete Befragung erlangte Überzeugungsgewissheit des Entscheiders hinsichtlich einer künftig drohenden Verfolgung.

Im Hinblick auf die oben erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde von den Gerichten bisher auch meist geprüft, ob eine sog. "irreversible Homosexualität" gegeben ist. Asylrelevant sei danach nicht bereits die bloße auf gleichgeschlechtliche Betätigung gerichtete Neigung, der nachzugehen mehr oder weniger im Belieben der Betreffenden stehe, sondern nur die unentrinnbare schicksalhafte Festlegung auf homosexuelles Verhalten bzw. Triebbefriedigung, bei welcher der Betreffende außerstande sei, eine gleichgeschlechtliche Betätigung zu unterlassen. Eine derartige Prüfung hatte dann nicht selten zur Folge, dass das BAMF oder die Gerichte von den Flüchtlingen verlangten, auf eigene Kosten sexualpsychologische Gutachten über das "Ausmaß" ihrer Homosexualität vorzulegen.

Darauf verzichtet das BAMF inzwischen. Der EuGH hat außerdem in dem Urteil vom 02.12.2014 (C-148-150/13) klargestellt,

  • dass die Asylbewerber nicht detailliert zu ihren sexuellen Praktiken befragt werden dürfen,
  • dass von ihnen keine Tests verlangt werden dürfen (z.-B. Phallogramm),
  • dass die Einbeziehung von intimen Fotos oder Videoaufnahmen in die Beweiswürdigung nicht zulässig ist und
  • dass Befragungen nach Dingen, die Homosexuelle üblicherweise wissen, wie z.B. Vereine zum Schutz der Rechte Homosexueller in ihrem Heimatland, zwar nützlich sein können, dass aber bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht allein auf diese Dinge abgestellt werden darf.

4. Individuelle Betroffenheit des Antragstellers als Person mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung

Es ist grundsätzlich unerheblich, in welche Komponente der sexuellen Selbstbestimmung eingegriffen wird. Auslöser der Repressionsmaßnahmen können die sexuelle Ausrichtung an sich oder entsprechende Handlungsweisen im privaten Bereich oder in der Öffentlichkeit sein.

5. Die Gefahr muss zielgerichtet wegen der sexuellen Ausrichtung drohen

Beispiel: Verstößt der Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit sowohl für Heterosexuelle als auch für Homosexuelle gegen die herrschenden Moralvorstellungen, werden Sanktionen grundsätzlich nicht zielgerichtet in einer bestimmten sexuellen Orientierung begründet sein, wenn sie unterschiedslos allen sich ungebührlich Verhaltenden in gleicher Art und Schwere drohen. Müssen aber z.B. Homosexuelle wegen ihrer sexuellen Orientierung mit einer besonders strengen, diskriminierenden Bestrafung rechnen, ist von einer drohenden politischen Verfolgung auszugehen.

6. Rückkehrprognose

Es ist eine doppelte Prognose erforderlich:

  • Wie wird sich der Antragsteller unter Berücksichtigung seiner sexuellen Identität im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland verhalten?
  • Wie werden Behörden oder andere Akteure auf dieses Verhalten voraussichtlich reagieren?

Bei glaubhafter Vorverfolgung gilt die Regelvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU mit der Folge, dass bei unveränderten Verhältnissen im Herkunftsland grundsätzlich von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit erneuter Verfolgung auszugehen und Flüchtlingsschutz festzustellen ist.

Bei fehlender Vorverfolgung ist zu ermitteln, ob die sexuelle Orientierung zwischenzeitlich im Herkunftsland bekannt geworden ist. Ist danach die Gefahr einer Verfolgung beachtlich wahrscheinlich, ist Flüchtlingsschutz festzustellen.

Bei fehlender Vorverfolgung und Unkenntnis der Umgebungsgesellschaft im Herkunftsland ist zu prognostizieren, ob sich die Antragsteller bei Rückkehr in einer das Verfolgungsrisiko auslösenden Art verhalten oder betätigen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob und warum ihre sexuelle Ausrichtung bisher unerkannt geblieben ist und ob die Antragsteller dies selbst durch ein entsprechendes Verhalten vermieden haben.

Die Antragsteller, die bisher diskret gelebt haben, werden deshalb befragt, ob sie dies aus Angst vor Verfolgung getan haben oder weil sie ihre Familie oder Freunde nicht bloßstellen wollten. Wenn die Antragsteller glaubhaft angeben, dass sie aus Angst vor Verfolgung diskret gelebt haben, wird - vorbehaltlich der anderen Voraussetzungen - Flüchtlingsschutz gewährt.
Wenn die Antragsteller dagegen angeben, dass sie aus eigenem Entschluss diskret gelebt haben, um niemanden zu brüskieren, geht das BAMF davon aus, dass sie diesen Lebensstil für sich akzeptieren können. Der Flüchtlingsschutz wird deshalb abgelehnt. Typisch dafür ist z.B. der Bescheid des BAMF vom 06.01.2017, Seite 3/4.

--- 10.12. Die Entscheidungen des BAMF

Positive Entscheidungen des BAMF

Nach einer positiven Entscheidung des BAMF kann die jeweilige Aufenthaltserlaubnis bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragt und von dieser erteilt werden. Die positiven Entscheidungen können lauten auf:

1. Anerkennung als Asylberechtigter
Die Anerkennung als Asylberechtigter hat folgende Rechtswirkungen:

  • Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG für drei Jahre (§ 26 Abs. 1 AufenthG), Niederlassungserlaubnis nach drei oder fünf Jahren, siehe den Abschnitt 11.3. des Ratgebers "Ausländerrecht". Die Aufenthalts- und die Niederlassungserlaubnis berechtigen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
  • internationaler Reiseausweis für Flüchtlinge (sog. blauer Pass)
  • Anspruch auf Regelsozialleistungen
  • Anspruch auf Integrationskurs
  • Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft, aber räumliche Beschränkung siehe unten
  • Familiennachzug (siehe unten), wenn der Visumsantrag binnen drei Monaten gestellt wird (§ 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG)

2. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat dieselben Rechtsfolgen wie die Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Aufenthaltserlaubnis siehe § 25 Abs. 2 AufenthG.

3. Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus
Die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter hat folgende Rechtsfolgen:

  • Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG für ein Jahr, danach für zwei Jahre (§ 26 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
  • Niederlassungserlaubnis nach 5 Jahren gemäß § 9 AufenthG (§ 26 Abs. 4 AufenthG, siehe den Abschnitt 11.1. des Ratgebers "Ausländerrecht")
  • Kein Flüchtlingspass, sondern Bemühung um Pass des Herkunftslandes erforderlich, sonst "grauer Pass" (Passersatz)
  • Anspruch auf Regelsozialleistungen
  • Anspruch auf Integrationskurs
  • Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft, aber räumliche Beschränkung siehe unten
  • der Familiennachzug ist nur eingeschränkt möglich (siehe unten und dort den Abschnitt 2).

4. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG
Das Abschiebungsverbot hat folgende Rechtsfolgen:

  • Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG für mindestens ein Jahr (§ 26 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Vorlage des Nationalpasses erforderlich (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 31 BeschV)
  • Niederlassungserlaubnis nach 5 Jahren gemäß § 9 AufenthG (§ 26 Abs. 4 AufenthG, siehe den Abschnitt 11.1. des Ratgebers "Ausländerrecht")
  • Anspruch auf Regelsozialleistungen
  • Anspruch auf Integrationskurs
  • Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft, aber räumliche Beschränkung siehe unten
  • Familiennachzug nur unter den allgemeinen Voraussetzungen, siehe den Ratgebertext zum Aufenthaltsrecht.

5. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG
Das Abschiebungsverbot hat dieselben Rechtsfolgen wie das Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Negative Entscheidungen des BAMF

Die negativen Entscheidungen des BAMF können lauten auf:

1. Ablehnung als unbegründet
Dann formuliert das BAMF folgendermaßen:

  1. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt.
  2. Der Antrag auf Asylanerkennung wird abgelehnt.
  3. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkennt.
  4. Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lieben nicht vor.
  5. Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollte der Antragsteller die Frist nicht einhalten, wird er in das Herkunftsland abgeschoben. Der Antragsteller kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf und der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (vgl. §§ 31, 34, 38 Abs. 1 AsylG).

Wenn die Asylbewerber nicht freiwillig ausreisen, sondern abgeschoben werden müssen, tritt ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot in Kraft, die sogenannte Wiedereinreisesperre. Sie wird in dem ablehnenden Bescheid befristet. Über die Länge der Frist entscheidet das BAMF nach Ermessen. Sie darf in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG). Asylbewerber sollten es deshalb nicht auf eine Abschiebung ankommen lassen, sondern freiwillig ausreisen, wenn der ablehnende Bescheid rechtskräftig geworden.
Gegen den ablehnenden Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen Klage zum Verwaltungsgericht erhoben werden (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Die Klage hat aufschiebende Wirkung, d.h. die Abschiebung ist bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgesetzt (§ 75 Abs. 1 AsylG).

2. Ablehnung als offensichtlich unbegründet
Sie kann z.B. erfolgen, wenn das BAMF den Vortrag des Asylsuchenden für vollkommen unglaubhaft hält oder wenn es nach Ansicht des BAMF keine relevanten Fluchtgründe gibt, so in der Regel bei sicheren Herkunftsstaaten (§§ 29a, 30 AsylG).
Gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG kann das Bundesamt gegen Ausländer, die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen und deren Asylantrag deshalb nach § 29a Absatz 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen, das mit der Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam wird. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird deshalb auch wirksam, wenn der Asylbewerber freiwillig ausreist. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten.
Gegen die Ablehnung als offensichtlich unbegründet kann Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 1 AsylG), so dass der Asylbewerber trotz der Klage sofort abgeschoben werden kann. Deshalb muss gleichzeitig beim Verwaltungsgericht ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt werden. Die Klage und der Eilantrag müssen binnen einer Woche ab Zustellung des ablehnenden Bescheids beim Verwaltungsgericht eingereicht werden (§ 74 Abs. 1 AsylG).
Da im Eilantragverfahren keine Anhörung stattfindet, muss der Eilantrag schriftlich begründet werden. Es muss deutlich gemacht, warum „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ des ablehnenden Bescheids bestehen. Wenn der Eilantrag abgelehnt wird, kann die Abschiebung trotz des weiterhin laufenden Klageverfahrens vollzogen werden.

3. Alehnung als unzulässig.
Sie erfolgt im Rahmen des Dublin-Verfahrens, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Der Bescheid enthält nicht bloß eine Abschiebungsandrohung, sondern eine Abschiebungsanordnung. Außerdem wird in dem Bescheid keine Frist für die Ausreise genannt, weil § 34a Abs. 1 AsylG dem BAMF nur die Möglichkeit der Abschiebung einräumt.
Die Vollzugsbehörde, also das Ausländeramt, muss dem Asylsuchenden aber die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise einräumen, wenn gesichert erscheint, dass er sich freiwillig in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat begibt und sich dort fristgerecht bei der verantwortlichen Behörde meldet. Eine solche freiwillige Überstellung ohne Verwaltungszwang ist keine Abschiebung und führt deshalb nicht zu einem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG (BVerwG, Urt. v. 17.09.2015 - 1 C 26.14 und 1 C 27.14).
Die Ablehnung als unzulässig kann ferner erfolgen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz (Flüchtlingsanerkennung oder subsidiärer Schutz) erhalten hat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine nochmalige Zuerkennung des Schutzes in einem zweiten Staat ist nicht zulässig (BVerwG, Urt. v. 17.06.2014, 10 C 7.13). 
Außerdem erfolgt eine Ablehnung als unzulässig:
- wenn ein sicherer Drittstaat i.S. v. § 26a AsylG oder ein sonstiger sicherer Drittstaat i.S.v. § 27 AsylG bereit ist, den Aslybewerber wieder aufzunehmen (Nr. 3 und 4) oder
- wenn in Falle eines Folgeantrags i.S.v. § 71 AsylG oder eines Zweitantrags i.S.v. § 71a AsylG kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
Für die Rechtsmittel gegen solche Bescheide gilt dasselbe wie für die Ablehnung als offensichtlich unbegründet
In den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten besteht kein Anwaltszwang. Die Vertretung durch eine Rechtsanwält*in ist aber zu empfehlen, schon damit auf Mitteilungen des Gerichts gegebenenfalls kurzfristig reagiert werden kann.
In Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz werden keine Gerichtskosten erhoben (§ 83b AsylG).

11. Wohnsitz nach der Anerkennung

Der Gesetzgeber hat die Freizügigkeit der Asylbewerber nach ihrer Anerkennung durch das „Integrationsgesetz“ für die nächsten drei Jahre eingeschränkt. 
Der neue "§ 12a AufenthG Wohnsitzregelung" gilt für alle Ausländer, die nach dem 01.01.2016 als

  • Asylberechtigte (Art. 16 a GG),
  • Flüchtlinge (§ 3 AsylG) oder
  • subsidiär Schutzberechtigte (§ 4 AsylG) anerkannt worden sind oder bei denen
  • ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 u. 7 AufenthG festgestellt worden ist und für
  • Flüchtlinge, die aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben (§§ 22, 23 AufenthG).

11.1. Wohnsitz in einem bestimmten Bundesland

Die Ausländer dürfen drei Jahren lang nur in dem Bundesland ihren Wohnsitz nehmen, in dem die Aufnahmeeinrichtung liegt, in die sie zur Durchführung ihres Verfahrens zugewiesen worden sind (§ 12a Abs. 1 AufenthG). Die Verpflichtung entfällt, wenn die Ausländer, ihre Ehegatten oder Lebenspartner oder ihr minderjährigen Kinder

  • eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen oder aufgenommen haben, durch die diese Personen mindestens über ein Einkommen verfügen, das dem monatlichen durchschnittlichen Regelbedarf (§ 20 SGB II) und der Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§§ 20 SGB u. 22 SGB II) für eine Einzelperson entspricht oder 
  • eine Berufsausbildung aufnehmen oder aufgenommen haben oder in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis stehen.

11.2. Ausländer in Aufnahmeeinrichtungen: Wohnsitz an einem bestimmten Ort

Solange die Ausländer in einer Aufnahmeeinrichtung oder anderen vorübergehenden Unterkunft wohnen, können sie zwecks Versorgung mit angemessenem Wohnraum innerhalb von sechs Monaten nach der Anerkennung verpflichtet werden, ihren Wohnsitz längstens drei Jahre lang nach der Anerkennung an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dies der Förderung ihrer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht. Wenn im Einzelfall eine Zuweisung angemessenen Wohnraums innerhalb von sechs Monaten nicht möglich war, kann die Zuweisung in den folgenden sechs Monaten nachgeholt werden (§ 12a Abs. 2 AufentG).

11.3. Ausländer außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen: Wohnsitz an einem bestimmten Ort

Wenn die Ausländer nicht (mehr) in einer Aufnahmeeinrichtung oder anderen vorübergehenden Unterkunft wohnen, können sie gleichwohl innerhalb von sechs Monaten nach der Anerkennung verpflichtet werden, ihren Wohnsitz längstens drei Jahre lang nach der Anerkennung an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dadurch

  • ihre Versorgung mit angemessenem Wohnraum,
  • ihr Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und
  • unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

erleichtert werden kann (§ 12a Abs. 3 AufenthG)

11.4. Verbot des Wohnsitzes an einem bestimmten Ort

Zur Vermeidung von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung können die Ausländer verpflichtet werden, ihren Wohnsitz längstens drei Jahre lang nach der Anerkennung nicht an einem bestimmten Ort zu nehmen, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass die Ausländer Deutsch dort nicht als wesentliche Verkehrssprache nutzen werden. Die Situation des dortigen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen (§ 12a Abs. 4 AufenthG).

11.5. Sanktionen

Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat.
Wenn der Ausländer in einem nicht zulässigen Bundesland (Fall 1) oder an einem verbotenen Ort seinen Wohnsitz nimmt (Fall 4), ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist (§ 23 Abs. 5 SGB XII).
Der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Wohnsitznahme oder Wohnsitzzuweisung kann als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro (Fall 1) oder bis zu dreißigtausend Euro (Fall 2 bis 4) geahndet werden (§ 98 Abs. 3 Nr. 2a u. 2b AufenthG).

11.6. Aufhebung der Verpflichtungen

Die Verpflichtungen nach § 12a Abs. 1 bis 4 sind auf Antrag der Ausländer aufzuheben, wenn sie nachweisen,

  • dass ihnen, ihren Ehegatten oder Lebenspartnern oder ihren minderjährigen Kindern an einem anderen Ort eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im oben (Nr. 2) beschriebenen Umfang, ein den Lebensunterhalt sicherndes Einkommen oder ein Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stehen oder
  • dass die Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner oder minderjährigenledige Kinder an einem anderen Wohnort leben,
  • oder zur Vermeidung einer Härte.

Eine Härte liegt insbesondere vor, wenn

  • nach Einschätzung des zuständigen Jugendamtes Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch mit Ortsbezug beeinträchtigt würden,
  • aus anderen dringenden persönlichen Gründen die Übernahme durch ein anderes Land zugesagt wurde oder
  • für den Betroffenen aus sonstigen Gründen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen.

Das kann bei Lesben und Schwule der Fall sein, wenn sie in einer Stadt oder in einer Gegend leben müssen, in denen es keine Beratungs- und Betreuungsstellen für Lesben und Schwule gibt und keine Treffpunkte, wo sich Lesben und Schwule treffen können. Gerade bei der Integration ist es hilfreich, dass Flüchtlinge auf ihre Netzwerke zurückgreifen können. Dasselbe gilt, wenn Lesben und Schwulen der Umzug zu Freunden oder (entfernteren) Verwandten nicht erlaubt wird. Diese leisten einen sehr wertvollen Beitrag bei der Integration, da sie zumeist die Funktion der Integrationslotsen übernehmen.
Wenn die Verpflichtung zur Vermeidung einer Härte aufgehoben wird, ist dem Ausländer für längstens drei Jahre lang nach der Anerkennung die Verpflichtung aufzuerlegen, an einem bestimmten Ort zu wohnen oder nicht zu wohnen, die seinem Interesse Rechnung trägt.
Für nachziehende Familienangehörige gelten diese Verpflichtungen längstens bis zum Ablauf der Dreijahresfrist des Ausländers, zu dem sie nachziehen, es sei denn, die zuständige Behörde hat etwas anderes angeordnet. Die Familienangehörigen können ebenfalls beantragen, die Verpflichtung aufzuheben.
Widerspruch und Klage gegen die Verpflichtungen haben keine aufschiebende Wirkung. Die Ausländer müssen deshalb zugleich mit der Einlegung des Widerspruchs beim Verwaltungsgericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragen, dass es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnet
Die Bundesländer können die Einzelheiten durch Verordnungen regeln (siehe § 12a Abs. 9 AufenthG).

12. Integrationskurs für Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis

Wenn Asylberechtigten (Art. 16 a GG), Flüchtlingen (§ 3 AsylG) oder subsidiär Schutzberechtigten (§ 4 AsylG) erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird und sie sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, haben sie Anspruch auf einmalige Teilnahme an einem Integrationskurs (§ 44 AufenthG). Von einem dauerhaften Aufenthalt ist in der Regel auszugehen, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem Jahr erhält oder seit über 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, es sei denn, der Aufenthalt ist vorübergehender Natur. Bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist.
Der Teilnahmeanspruch erlischt ein Jahr nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder bei ihrem Wegfall. Dies gilt nicht, wenn sich der Ausländer bis zu diesem Zeitpunkt aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht zu einem Integrationskurs anmelden konnte.
Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland (§ 43 Abs. 3 AufenthG).
Bei erkennbar geringem Integrationsbedarf besteht kein Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs. Wenn die Ausländer bereits über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, haben sie nur Anspruch auf Teilnahme am Orientierungskurs.
Anerkannte Asylberechtigte, Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten sind zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, 

  • wenn sie sich nicht zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können. Die Teilnahmeverpflichtung stellen die Ausländerbehörden bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis fest (§ 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AufenthG) oder
  • wenn sie sich lediglich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können und die Ausländerbehörden sie zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichten (§ 44a Abs. 1 Satz 7 AufenthG).
  • wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig sind und die Ausländerbehörden sie zur Teilnahme am Integrationskurs auffordern (§ 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) oder
  • wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen und die Teilnahme am Integrationskurs in einer Eingliederungsvereinbarung vorgesehen ist (§ 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) oder die Sozialbehörden sie zur Teilnahme auffordern (§ 44a Abs.1 Nr. 2 und Satz 3 AufenthG).

Die Verpflichtung ist zu widerrufen, wenn einem Ausländer neben seiner Erwerbstätigkeit eine Teilnahme auch an einem Teilzeitkurs nicht zuzumuten ist.
Die Teilnahmeverpflichtung entfällt
  1. wenn sich die Ausländer im Bundesgebiet in einer beruflichen oder sonstigen Ausbildung befinden,
  2. wenn sie die Teilnahme an vergleichbaren Bildungsangeboten im Bundesgebiet nachweisen oder
  3. wenn ihnen die Teilnahme auf Dauer unmöglich oder unzumutbar ist, weil sie z.B. einen Familienangehörigen pflegen müssen.

Kommt ein Ausländer seiner Teilnahmepflicht aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nach oder legt er den Abschlusstest nicht erfolgreich ab, kann das Auswirkungen auf die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (§ 8 Abs. 3 AufenthG), auf die Erteilung der Niederlassungserlaubnis (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG) und auf seine Einbürgerung (§ 10 Abs. 3 StAG) haben. 
Zu den Kosten des Integrationskurses und zu den weiteren Einzelheiten siehe die Angaben auf der Webseite des BAMF.

13. Duldung

Trotz Rechtskraft des Bescheides kann die Abschiebung sehr oft nicht vollzogen werden, weil die abgelehnten Asylbewerber keinen Reisepass oder sonstiges Heimreisedokument besitzen. Die Beschaffung dieser Papiere ist für die zuständigen Ausländerbehörden oft sehr schwierig. Die abgelehnten Asylbewerber sind deshalb trotz der rechtskräftigen Ablehnung ihres Asylgesuchs noch viele Monate in Deutschland, manche sogar jahrelang. Solche vollziehbar Ausreisepflichtigen erhalten eine Duldung (§ 60a AufenthG). Sie ist kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die Aussetzung der Abschiebung. Die Duldung wird häufig für ein, drei oder sechs Monate erteilt.
Eine Duldung kann aber auch aus familiären oder gesundheitlichen Gründen erteilt werden, wenn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht Betracht kommt, weil z.B. der Ausländer keinen Pass hat. 
Eine Duldung kommt ferner in Betracht, wenn rechtliche Gründe der Aussetzung entgegenstehen. Das ist nach den "Allgemeinen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz" vom 30.05.2017 u.a. der Fall (S. 6/7):

"wenn die Eheschließung (…) mit einer deutschen oder aufenthaltsberechtigten ausländischen Person sicher erscheint und unmittelbar bevorsteht sowie das - durch die Anmeldung zur Eheschließung beim zuständigen Standesamt eingeleitete - Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit nachweislich abgeschlossen ist und seitdem nicht mehr als sechs Monate vergangen sind (vgl. Ziffer 30.0.6 AVV-AufenthG). In diesem Fall besteht ein Duldungsanspruch, wenn der Eheschließung nur noch Umstände entgegenstehen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Verlobten fallen."

Eine Duldung besteht solange, wie auch der Duldungsgrund besteht. Das heißt, dass eine Duldung zum Beispiel erlischt, wenn der bis dahin fehlende Pass ausgestellt wird und dies der Duldungsgrund war. Die Person kann ab dann abgeschoben werden, es kommt nicht auf die Duldungsbescheinigung an. Eine Duldung bedeutet also für die betroffene Person meistens kaum Rechtssicherheit, sondern ständige Angst vor der Abschiebung – teilweise jahrelang.
Der Aufenthalt eines geduldeten Ausländers ist räumlich auf das Gebiet des Bundeslandes beschränkt. Die räumliche Beschränkung erlischt, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 61 Abs. 1 und 1b AufenthG).
Wenn der Lebensunterhalt des Ausländers nicht gesichert ist, muss er an dem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, an dem er zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Die Ausländerbehörde kann die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern; hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen. Der Ausländer kann den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen (§ 61 Abs. 1d AufenthG).
Der notwendige Bedarf nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist für Ausländer mit einer Duldung, die nicht in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, vorrangig als Geldleistungen zu erbringen (§ 3 Abs. 2 AsylbLG). Nach 15 Monaten Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung erhalten die Ausländer mit Duldung Leistungen analog dem SGB XII, sofern sie die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (§ 2 AsylbLG).
Ausländern mit Duldung kann eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn sie sich seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten. Die Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit entfällt (§ 32 Abs. 1, 3 u. 4 BeschV) Für die Beantragung der Arbeitserlaubnis gilt dasselbe wie für Asylsuchende.
Geduldeten Ausländern darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen oder wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihnen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben, nicht vollzogen werden können. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeigeführt haben (§ 60a Abs. 6 AufenthG).

14. Duldung zum Zwecke der Berufsausbildung

Der Gesetzgeber hat Betrieben, die Ausländer als Auszubildende einstellen wollen, durch das Integrationsgesetz mehr Rechtssicherheit verschafft. Die Betriebe sollen darauf vertrauen können, dass die Ausländer ihre Berufsausbildung abschließen können.
§ 60a Abs. 2 Satz 4 ff. AufenthG bestimmt, dass einem ausreisepflichtigen Ausländer, der nicht abgeschoben werden kann, eine Duldung zu erteilen ist, wenn er eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat. 
Asylbewerber fallen nicht unter diese Regelung. Sie sind nicht ausreisepflichtig, sondern besitzen mit der Aufenthaltsgestattung (siehe oben) eine Aufenthaltserlaubnis. Für sie gelten daher die oben unter "Ausbildung und Praktika" erläuterten Regeln.
Zur Duldung zum Zwecke der Berufsausbildung gibt es inzwischen die "Allgemeinen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz" vom 30.05.2017. Auch gibt es zu dieser Regelung inzwischen viele Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, siehe unsere Rechtsprechungsliste

14.1. Qualifizierte Berufsausbildung

Zwingende Voraussetzung ist nach § 60a Absatz 2 Satz 4 AufenthG, dass der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat.
Eine qualifizierte Berufsausbildung liegt nach § 6 Absatz 1 Satz 2 BeschV vor, wenn die Ausbildungsdauer mindestens zwei Jahre beträgt. Maßgeblich ist die generell vorgesehene Dauer der Ausbildung, nicht die individuelle Ausbildungsdauer, die bei Anrechnung bestimmter Vorausbildungen zu einer verkürzten Ausbildungszeit führen kann.
Staatlich anerkannte oder vergleichbar geregelte Ausbildungsberufe sind alle anerkannten Aus- und Fortbildungsabschlüsse nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) sowie vergleichbare bundes- oder landesrechtlich geregelte Berufsabschlüsse oder diesen Berufsabschlüssen entsprechende Qualifikationen (siehe das vom Bundesinstitut für Berufsbildung geführte Verzeichnis der staatlich anerkannten Berufe, siehe hier und dort unter "Downloads").
Betriebliche Berufsausbildungen bedürfen eines Berufsausbildungsvertrages, der die Voraussetzungen nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung erfüllen muss und von der zuständigen Stelle im Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen wird, siehe dazu die Hinweise in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern.
Neben qualifizierten betrieblichen Berufsausbildungen, die als duale Berufsausbildungen durchgeführt werden, fallen auch qualifizierte Berufsausbildungen an Berufsfachschulen oder Fachschulen in den Anwendungsbereich dieser Regelung. Auch im Zusammenhang mit dualen Studiengängen ist der Anwendungsbereich der Ausbildungsduldung eröffnet, siehe dazu die Hinweise in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern.
Berufsvorbereitende Maßnahmen wie z.B. die sog. Einstiegsqualifizierung sind keine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG. Sie können aber eine überbrückende Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG rechtfertigen, sofern ein Ausbildungsvertrag für eine anschließende qualifizierte Berufsausbildung zuverlässig belegt ist oder der regelhafte Übergang aus der Qualifizierungsmaßnahme in qualifizierte Berufsausbildung nachgewiesen werden kann und eine Duldungserteilung nach § 60a Absatz 2 Satz 4 AufenthG noch nicht möglich ist, siehe dazu die Hinweise in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern.

14.2. Aufnahme der Berufsausbildung

Die Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer die Ausbildung "aufnimmt oder aufgenommen hat". Es reicht deshalb aus, wenn der Ausländer die Ausbildung zwar tatsächlich noch nicht aufgenommen hat, dies aber aufgrund eines bereits geschlossenen Ausbildungsvertrages demnächst zu erwarten ist.
Im Hinblick auf den häufig mehrmonatigen Vorlauf zwischen dem Abschluss des Ausbildungsvertrages und dem tatsächlichen Ausbildungsbeginn kann eine überbrückende Duldung auf Basis des § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG nach Ermessen der Ausländerbehörden gerechtfertigt sein, siehe dazu die Hinweise in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern

14.3. Beschäftigungsverbote und aufenthaltsbeendende Maßnahmen

Die Duldung darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer keinem Beschäftigungsverbot unterliegt und wenn keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen<

Die Beschäftigung ist verboten:

  • wenn der Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt und sein nach dem 31.08.2015 gestellter Asylantrag abgelehnt worden ist (§ 60a Abs. 6 Nr. 3 AufenthG). Nach dem Gesetzeswortlaut ist entscheidend, wann der förmliche Asylantrag i.S.d. § 14 AsylG beim BAMF gestellt wurde. Wann der Ausländer in das Bundesgebiet eingereist ist und wann ihm der Ankunftsnachweis nach § 63a Abs. 1 AsylG ausgestellt wurde, ist unerheblich
  • wenn bei einem Ausländer aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen nicht vollzogen werden können, die er selbst zu vertreten hat, sofern die unzureichende Mitwirkung kausal dafür ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (§ 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG). Zu vertreten hat ein Ausländer das Abschiebungshindernis insbesondere, wenn er es durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt.
  • wenn sich der Ausländer in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen (§ 60a Abs. 6 Nr. 1 AufenthG).

Die Duldung wird nicht erteilt, wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Das ist der Fall, wenn die Ausländerbehörde konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts unternommen bzw. eingeleitet hat. Darunter fallen alle Maßnahmen, die in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit einer geplanten Abschiebung stehen, z.B. 

  • Kontaktaufnahme mit der deutschen Auslandsvertretung im Abschiebezielstaat zur Vorbereitung der Abschiebung,
  • Aufforderung zur Beschaffung und Vorlage eines Passes oder Passersatzes
  • die Beantragung eines Pass(ersatz)papiers zum Zwecke der Abschiebung, es sei denn, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein gestellter Antrag auf Erteilung eines Passersatzpapiers von den Behörden des Herkunftsstaates überhaupt nicht bearbeitet wird.
  • die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, 
  • die Veranlassung einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit,
  • das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde, 
  • die Bestimmung eines Abschiebetermins, 
  • die Buchung des Ausländers auf einen bestimmten Flug, mit dem die Abschiebung erfolgen soll oder
  • die Beantragung von Abschiebungshaft.

Die Anordnung nach § 34a AsylG, dass der Ausländer in den zuständigen Drittstaat abgeschoben werden soll, ist eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung, wenn die Abschiebungsanordnung vollziehbar ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für bevorstehende konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ist der Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung müssen bereits in diesem Zeitpunkt eingeleitet worden sein oder vorliegen, um als Ausschlussgrund herangezogen zu werden. Sofern die Ausländerbehörde erst nach einem solchen Antrag konkrete Abschiebungsmaßnahmen einleitet, stehen diese der Erteilung der Duldung nicht entgegen.
Die Duldung wird nicht erteilt oder eine erteilte Duldung erlischt, wenn der Ausländer wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben (§ 60a Abs. 2 Satz 6 AufenthG).

14.4. Beschäftigungserlaubnis  

Ein Antrag auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 4 ff. AufenthG ist zugleich auch als Antrag auf die Erteilung der erforderlichen Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Absatz 2 Satz 3 AufenthG auszulegen. Die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis für eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf nicht erforderlich (§ 32 Absatz 2 Nr. 2 BeschV).
Die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis steht nach § 4 Absatz 2 Satz 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörden. Wenn die Voraussetzungen von § 60a Absatz 2 Satz 4 ff. AufenthG vorliegen, ist das Ermessen in Bezug auf die Beschäftigungserlaubnis in der Regel zugunsten des Ausländers weitgehend reduziert, um den Anspruch des Ausländers auf Duldungserteilung nach § 60a Absatz 2 Satz 4 AufenthG nicht zu konterkarieren.
Gleichwohl ist das Ermessen auch in diesem Fall nicht automatisch auf Null reduziert. In Fällen, in denen Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten ihren Asylantrag nachweislich nach dem 31.08.2015 gestellt haben, diesen jedoch vor Ablehnung durch das Bundesamt zurücknehmen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Rücknahme auch mit dem Ziel erfolgte, den Versagungsgrund nach § 60a Absatz 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht zu erfüllen. Ein solcher Sachverhalt kann als Umgehung der vorgesehenen Verfahren zur Erlangung einer Duldung zu Ausbildungszwecken berücksichtigt werden.
Gleiches gilt für Ausländer, die bewusst keinen Asylantrag stellen, um nicht unter das Erwerbstätigkeitsverbot nach § 60a Absatz 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu fallen
Bei Asylbewerbern, die eine Berufsausbildung aufgenommen hatten und deren Asylantrag abgelehnt wurde, ist das Ermessen ebenfalls auf Null reduziert, wenn keine Versagungsgründe nach § 60a Absatz 6 AufenthG vorliegen. Ihnen ist nach dem Erlöschen ihrer Aufenthaltsgestattung eine Ausbildungsduldung nach § 60a Absatz 2 Satz 4 ff. AufenthG zu erteilen, so dass auf die sofortige Einleitung konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung zu verzichten ist. Das gilt aber nicht, wenn der Asylantrag im Rahmen eines Dublin-Überstellungsverfahrens gestellt wurde, siehe dazu die Hinweise in den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern.

14.5. Dauer der Duldung

Die Duldung wird für die im Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer der Berufsausbildung erteilt. Die Duldung erlischt, wenn die Ausbildung nicht mehr betrieben oder abgebrochen wird. Das muss der Ausbildungsbetrieb binnen einer Woche der Ausländerbehörde schriftlich mitteilen.
Wird das Ausbildungsverhältnis vorzeitig beendigt oder abgebrochen, wird dem Ausländer einmalig eine Duldung für sechs Monate zum Zweck der Suche nach einer weiteren Ausbildungsstelle zur Aufnahme einer Berufsausbildung erteilt.
Nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung kann dem geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer der beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung nach § 18a AufenthG erteilt werden.
Wenn nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb nicht erfolgt, wird die Duldung einmalig für sechs Monate zum Zweck der Suche nach einer der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung verlängert.

15. Asylfolgeantrag, Zweitantrag, isolierter Antrag auf Wiederaufgreifen

1. Der Asylfolgeantrag


Der Asylfolgeantrag ist in § 71 AsylG geregelt. Man kann ihn nach Rücknahme oder unanfechtbare Ablehnung eines früheren Asylantrags stellen, um weitere Asylgründe geltend zu machen. Dann ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG vorliegen. Die Prüfung obliegt dem BAMF. 
Der Folgeantrag muss wie der Asylantrag grundsätzlich persönlich gestellt werden und zwar bei der Außenstelle, die dem Aufenthaltsort des Antragstellers zugeordnet worden war. Darauf ist besonders zu achten, da eine Antragstellung bei einer unzuständigen Stelle dazu führen kann, dass die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwfG ist (siehe unten) überschritten wird Eine Anhörung findet nicht immer statt. Das BAMF kann sich mit einer protokollierten Äußerung begnügen. Während des Verfahrens erhalten die Antragsteller keine Aufenthaltsgestattung, sondern nur eine Duldung (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG).
Das BAMF hat gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG über den Antrag neu zu entscheiden, wenn
  1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
  2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder
  3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind. Damit sind vor allem schwerwiegende Verfahrensfehler gemeint, die zu entsprechenden Verurteilungen der beteiligten Amtspersonen geführt haben.

Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Nach Abs. 3 der Vorschrift muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
Das BAMF prüft zunächst die Zulässigkeit, ob aufgrund der vorgebrachten Gründe eine positive Entscheidung zu erwarten ist. Meist scheitert das schon daran, dass der Wiederaufnahmegrund schon in dem ersten Verfahren hätte geltend gemacht werden können.
§ 28 Abs. 2 AsylG sieht den Ausschluss sogenannter selbst geschaffener Nachfluchtgründe vor. Er bestimmt: "Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbare Ablehnung eines Asylantrages erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbare Ablehnung seines früheren Antrages selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden." Das gilt zum Beispiel für den Glaubenswechsel oder exilpolitische Tätigkeiten. Sie müssen besonders begründet werden. Z.B. jetzt Auftreten als Redner auf Demos oder nicht nur Taufe, sondern Mitarbeit in der neuen Gemeinde.
Das ist besonders wichtig, wenn der Asylbewerber seine homosexuelle Orientierung in dem ersten Verfahren nicht angegeben hat. Dann muss möglichst detailliert, lebensnah und authentisch dargelegt werden, weshalb sich der Betroffene erst jetzt offenbart: unüberwindbares Schamgefühl, Angst vor Übergriffen anderer Asylbewerber, Misstrauen gegenüber dem Dolmetscher bei der Anhörung, warum jetzt Sinneswandel usw. 
Wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach Art. 51 Abs. 1 VwVfG nicht vorliegen, muss das BAMF nach § 48 Abs. 1 Satz 1 i. V m § 51 Abs. 5 VwVfG entscheiden, ob bei dem Antragstelle Abschiebungshindernisse vorliegen, weil er zum Beispiel tatsächlich doch homosexuell ist und in seinem Herkunftsland mit Verfolgung rechnen muss. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das behördliche Ermessen des BAMF regelmäßig "auf Null" reduziert, wenn das  Festhalten an der früheren Negativentscheidung zu einem "schlechthin unerträglichen Ergebnis" führen würde, weil die Person im Herkunftsland einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre. In diesem Fall scheidet zwar die Zuerkennung des internationalen Schutzes aus, das BAMF muss dann aber ein Abschiebungsverbot feststellen.
Aufgrund der hohen rechtlichen Anforderungen sollte ein Asylfolgeantrag, wenn möglich, stets durch fachkundige Anwälte und Anwältinnen begleitet werden. Es wird dabei vor allem darum gehen einzuschätzen und zu erkennen, ob ein Asylfolgeantrag im Einzelfall grundsätzlich infrage kommt. Wenn ein ablehnender Bescheid des BAMF rechtskräftig wird, droht unter Umständen eine unmittelbare Abschiebung.

2. Der Zweitantrag


Der Zweitantrag ist in § 71a AsylG geregelt. Er bestimmt: "Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a, siehe oben), (…) im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
Diese Regelung betrifft somit Personen, bei denen nach dem erstmaligen Asylgesuch in Deutschland zunächst ein Zuständigkeitsverfahren nach der Dublin-III-Verordnung durchgeführt wurde – sogenannten "Dublin Fälle".
Zentrale Voraussetzung für die Einstufung des Asylantrags als Zweitantrag ist die Feststellung, dass das Asylverfahren in dem betreffenden Dublin-Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossen wurde. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn der betreffende Mitgliedstaat den Asylantrag auch tatsächlich inhaltlich geprüft und daraufhin abgelehnt hat oder die antragstellende Person den Asylantrag ausdrücklich zurückgenommen hat. Ist das Asylverfahren lediglich eingestellt bzw. die Rücknahme fingiert worden, ist der in Deutschland gestellte Asylantrag als Erstantrag zu behandeln, sofern die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland übergegangen ist. Es muss eine verbindliche Feststellung vorliegen, dass das Asylverfahren im sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen wurde – nur dann greift die Konstruktion des Zweitantrages.
Kommt das BAMF zu der Auffassung, dass ein Zweitantrag nach § 71a AsylG vorliegt, prüft es – wie bei einem Folgeantrag – zunächst, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind (siehe oben). Der Antragsteller wird angehört. Er erhält während der Zulässigkeitsprüfung eine Duldung.
Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vor, erlässt das BAMF einen Bescheid, in dem es feststellt, dass kein erneutes Asylverfahren durchgeführt wird und stuft den Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nummer 5 Asylgesetz ein. Zugleich erlässt das BAMF eine Abschiebungsandrohung. Die Frist für eine "freiwillige" Ausreise beträgt eine Woche.
Gegen den Bescheid kann innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden. Da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, muss zusätzlich ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden, der innerhalb der einwöchigen Frist beim Verwaltungsgericht eingehen muss.
Wird der Asylantrag als zulässig eingestuft so prüft das BAMF den Asylantrag inhaltlich. Die antragstellende Person erhält eine Aufenthaltsgestattung und der Antrag wird nach den allgemeinen Kriterien eines Asylverfahren behandelt.
Auch bei zwei Zweitanträge ist die Hinzuziehung rechtskundiger Anwältinnen oder Anwälte dringend zu empfehlen.

3. Isolierter Wiederaufgreifensantrag


Mit dem isolierten Wiederaufgreifensantrag können Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 AufenthG geltend gemacht werden. 
Da es sich beim isolierten Wiederaufgreifensantrag nicht um einen Asylantrag handelt, finden einige der negativen Folgen, wie zum Beispiel das Beschäftigungsverbot für Menschen aus den als sicher erklärten Herkunftsländern, keine Anwendung. Insbesondere für diese Personengruppe dürfte der isolierte Wiederaufgreifensantrag in der Praxis eine Alternative zum Asylfolgeantrag darstellen.
Wurde in der Vergangenheit ein Asylantrag im Bundesgebiet gestellt und hat das BAMF somit schon einmal über das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten unanfechtbar negativ entschieden, so ist das BAMF für die Prüfung des isolierten Wiederaufgreifensantrags zuständig. Hatte das Ausländeramt Abschiebungsverbote abgelehnt, so entscheidet dieses unter vorheriger Beteiligung des BAMFs über das Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 72 Abs. 2 AufenthG).
Die Rechtsgrundlage für den isolierten Wiederaufgreifensantrag ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 i. V m § 51 Abs. 5 VwVfG. Danach muss das BAMF (auch bei Folgeanträge) entscheiden, ob bei dem Antragsteller Abschiebungshindernisse vorliegen, weil er zum Beispiel tatsächlich doch homosexuell ist und in seinem Herkunftsland mit Verfolgung rechnen muss. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das behördliche Ermessen des BAMF regelmäßig "auf Null" reduziert, wenn das  Festhalten an der früheren Negativentscheidung zu einem "schlechthin unerträglichen Ergebnis" führen würde, weil die Person im Herkunftsland einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre. In diesem Fall muss das BAMF ein Abschiebungsverbot feststellen.
Die Form der Antragstellung ist nicht geregelt.  Der Antrag kann schriftlich bei der Zentrale des BAMF in Nürnberg oder schriftlich bzw. persönlich bei jeder beliebigen Außenstelle des BAMFgestellt werden. Der Antrag wird sodann vom BAMF an die Außenstelle weitergeleitet, die dem Wohnort der antragstellenden Person am nächsten liegt und in der Anträge aus dem jeweiligen Herkunftsland bearbeitet werden. 
Zunächst prüft das BAMF ob die Voraussetzungen des Paragrafen 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen und die vorgetragenen Wiederaufgreifensgründe geeignet entscheiden, eine günstigere Entscheidung im Vergleich zum früheren Verfahren herbeizuführen. Wird eine geänderte Sachlage bzw. das Vorliegen neuer Beweismittel verneint, so entscheidet  das BAMF, dass ein Wiederaufgreifen Verfahren nicht durchgeführt wird.
Kommt das bei BAMF im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu dem Schluss, dass zwar Wiederaufgreifensgründe vorliegen aber die Voraussetzung des 51 Abs. 2 und/oder 3 VwVfG nicht vorliegen, muss das BAMF prüfen, ob es das Verfahren gemäß § 50 Abs. 5 VwVfG im Ermessensweg wieder aufgreift (siehe dazu die oben zitierte Rechtsprechung des BVerwG) Erst dann wird der Antrag inhaltlich geprüft. 
Wenn das BAMF den Antrag als unzulässig ablehnt, weil die Voraussetzungen für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen, gilt für die Rechtsmittel dasselbe wie bei den Zweitanträgen.
Wenn das BAMF die Zulässigkeit bejaht, prüft es den Antrag inhaltlich. Dafür gilt dasselbe wie beim Erstverfahren.
Während des Verfahrens besteht kein gesetzlich geregelten Schutz vor Abschiebung.
Die Beratung durch fachkundige Rechtsanwälte ist auch bei dem isolierten Wiederaufgreifensantrag sehr zu empfehlen.
  • Siehe ergänzend die Broschüre "Der Asylfolgeantrag", die Ende 2018 vom Deutschen Roten Kreuz und dem Informationsverbund Asyl & Migration herausgegeben worden ist. Wir haben einige Passagen aus der Broschüre übernommen.

16. Familiennachzug

1. Familiennachzug zu Asylberechtigte und Flüchtlinge


Wenn Ausländern als "Asylberechtigte" oder als "Flüchtlinge" anerkannt worden sind und ihre Ehegatten noch im Heimatland der Ausländer leben, können die Ehegatten binnen drei Monaten bei der deutschen Auslandsvertretung die Erteilung eines Visums beantragen, damit sie mit ihren Ehegatten in Deutschland zusammenleben können. Die Drei-Monats-Frist wird durch die Antragstellung bei der deutschen Auslandsvertretung gewahrt. Weitere Voraussetzung ist, dass die Herstellung der ehelichen Gemeinschaft im Heimatstaat oder einem anderen Dritt-Staat nicht möglich ist, zu dem der Ausländer oder seine Partnerin oder sein Partner eine besondere Bindung haben (§ 29 Abs. 2 AufenthG). 
Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, brauchen die Ausländer und ihre Partner nicht nachzuweisen, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist und dass ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht, siehe § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Sie brauchen auch nicht nachzuweisen, dass sich die Partnerin oder der Partner in einfacher Form in Deutsch verständigen kann, wenn die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AufenthG). 
Danach scheint ein Familienachzug für die Partner von homosexuellen Asylberechtigten oder Flüchtlingen nicht in Betracht zu kommen, weil diese vor der Flucht nicht heiraten konnten. 
Wir meinen aber, dass dies den zurückgebliebenen Partnern nicht entgegengehalten werden darf, wenn die Eheschließung nur wegen der Verfolgung unterblieben ist, die zur Anerkennung des in Deutschland lebenden Partners als Asylberechtigten geführt hat. 
Denn die Paare hätten ohne weiteres bei einem Besuchsaufenthalt in einem Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe zulässt, heiraten, als verheiratetes Paar in ihr Heimatland zurückkehren und dort offen als Paar leben können, wenn Homosexuelle dort nicht verfolgt würden. Wenn ihnen der Familienachzug in Deutschland verweigert würde, weil sie noch nicht verheiratet sind, würde das letztlich nur wegen der Verfolgungsgefahr erfolgen, die durch die Asylanerkennung bestätigt worden ist.
Das würde gegen Art. 6 Abs. 1 GG und gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen.
Die in Deutschland jetzt zulässige gleichgeschlechtliche Ehe ist eine Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG und unterfällt deshalb dem besonderen Schutz dieser Vorschrift. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, wenn eine bestehende Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik gelebt werden kann (BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Zweiten Senats v. 31.08.1999, 2 BvR 1523/99 juris, NVwZ 2000, 59; Beschl. der 2. Kammer des 2. Senats v. 23.01.2006, 2 BvR 1935/05 juris, NVwZ 2006, 682; Beschl. der 3. Kammer des Zweiten Senats v.10.05.2008, 2 BvR 588/08 juris, InfAuslR 2008, 347; ebenso Bayr. VGH, Beschl. v. 22.07.2008, 19 CE 08.781 juris; InfAuslR 2009, 158). Das ist bei diesen Paaren der Fall, weil sie ihre bisherige familiäre Beziehung nur in Deutschland fortsetzen können
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung zur Familienzusammenführung gegen das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens verstößt, wenn sie allein oder entscheidend deshalb abgelehnt wird, weil die Partner in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben (EGMR, 2. Sektion, Urt. v. 23.02.2016, 68453/13, Fall PAJI? v. Kroatien, deutsche Übersetzung). Dieselbe Rechtsauffassung hat der EGMR in einem Beschluss vom 30.06.2016 vertreten (EGMR, 1. Sektion, Urt. v. 30.06.2016 - 51362/09, Fall Taddeucci u. McCaLL v. Italien - deutsche Übersetzung). Er hat dort entschieden, dass es gegen Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstößt, wenn unverheiratete verschiedengeschlechtliche Paare die Nachzugserlaubnis für den ausländischen Partner dadurch erlangen können, dass sie heiraten oder eine registrierte Partnerschaft eingehen, während unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare diese Möglichkeit nicht haben.
Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für homosexuelle Asylbewerber, weil sie nur wegen ihrer homosexuellen Orientierung bisher nicht haben heiraten können und daher dem Wortlaut des Gesetzes nach keine Nachzugsrecht haben. Ihnen darf deshalb nicht entgegengehalten werden, dass sie in ihrem Heimatland noch nicht verheiratet waren.
Hier finden Sie ein Muster für den Antrag der zurückgebliebenen Partner an die deutsche Auslandsvertretung auf Erteilung einer Nachzugserlaubnis.

2. Nachzugsrecht zu Flüchltlingen mit subsidiärem Schutzstatus


§ 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sieht vor, dass auch Ehegatten von Ausländern, denen "nur" subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist (siehe oben) ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs zu erteilen ist, wenn sie dies binnen drei Monaten bei der deutschen Auslandsvertretung beantragen. Diese Vorschrift ist durch die Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 13 AufentG mit Wirkung ab dem 17.03.2016 "vorübergehend" außer Kraft gesetzt worden. Die Regelung war zunächst bis zum 17.03.2018 befristet und ist dann bis zum 31.07.2018 verlängert worden. 
§ 104 Abs. 13 AufenthG in der ab dem 01.08.2018 geltenden aktuellen Fassung bestimmt, dass der Familiennachzug weiter ausgeschlossen bleibt, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzugs zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist.
Für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus, deren Ehegatten den Antrag auf Familiennachzug ab dem 01.08.2018 stellen, ist der Familiennachzug in dem neuen § 36a AufenthG geregelt. Danach können für Ehegatten, minderjährige Kinder und Eltern von minderjährigen Ausländern monatlich 1000 Visa zum Zwecke des Familiennachzugs "aus humanitären Gründen" erteilt werden. 
Die Ehegatten brauchen nicht nachzuweisen, dass sie sich in einfacher Form auf Deutsch verständigen können (§ 36a Abs. 4 AufentG). 
Humanitäre Gründe liegen insbesondere vor, wenn die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit nicht möglich ist (36a Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde (§ 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).
Wir meinen, dass Partner von subsidiären Schutzberechtigten, die in ihrem Heimatland nicht heiraten konnten, weil dort die Heirat von gleichgeschlechtlichen Paaren nicht zulässig ist, durchaus geltend machen können, dass in ihrem Fall ein von der Regel abweichender Sonderfall vorliegt, wenn in ihrem Heimatland das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Personen als Paar nicht geduldet wird und wenn sie schon seit längerer Zeit tatsächlich ein Paar sind.

17. Nachfluchtgründe und spätes Coming out

Nach Art. 5 Abs. 3  der Richtlinie 2011/95/EU bzw. § 28 AsylVerfG sind sogenannte Nachfluchttatbestände unbeachtlich. Darunter versteht man Sachverhalte und Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Sie werden nur anerkannt, wenn sie Ausdruck und Fortsetzung einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung oder Ausrichtung sind. Das kann zu Problemen führen, wenn ausländische Lesben oder Schwule erst in Deutschland ihr Coming Out erleben und deshalb Angst vor Verfolgung haben, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren müssen.

Das späte Coming out ist kein "selbstgeschaffener“ Nachfluchtgrund, sondern lediglich Folge einer Persönlichkeitseigenschaft, die schon immer vorhanden war und die lediglich wegen der Diskriminierung und Verfolgung im Heimatland "unbewusst“ unterdrückt bzw. nicht zugelassen worden ist. Solche Sachverhalte sind Ausdruck einer bereits im Herkunftsland bestehenden Ausrichtung und deshalb asylrelevant.